Über die Integration der Serben zur Unabhängigkeit
15. November 2001Köln, den 15.11.2001 (DW-radio)
Im Kosovo wird am Samstag (17.11.) ein Parlament gewählt. 1,2 Millionen Wähler haben die Möglichkeit, eine ihrer Stimmen an die insgesamt 26 Parteien und Bündnisse zu vergeben. Es sind die ersten Parlamentswahlen für die kleine Krisenregion seit dem Krieg 1999. Vor den Angriffen der NATO herrschte im Kosovo ein Unterdrückungsregime, das die Machtclique um Slobodan Milosevic dort installiert hatte. Die albanische Bevölkerung war ohne Rechte. Der von ihr gewählte Präsident Ibrahim Rugova wurde international nie offiziell anerkannt.
Heute ragt in der Mitte eines kleinen Platzes in der Hauptstadt Prishtina die Statue eines Freiheitskämpfers empor. Die leicht stalinistisch anmutende Figur zeigt Zahir Pajaziti, mit einem Colt an der Hüfte und einer Kalaschnikow in der rechten Hand. Auf seiner Jacke ist das Emblem der UCK zu sehen.
Pajaziti war einer der ersten, die im Jahr 1997 zur Waffe griffen, um gegen die Serben im Kosovo zu kämpfen. Für die Serben ist er ein Polizistenmörder, für die meisten Albaner ein Held. In Überlebensgröße, mächtig und martialisch steht seine Statue im Herzen von Prishtina. Gleich hinter der Statue sind an einer Wand Graffitis aufgesprüht. Sie sind ebenfalls einem Helden der UCK gewidmet: Hashim Thaci.
Mittlerweile will Thaci nicht mehr mit der Waffe an der Front seine Siege erringen, sondern an der Wahlurne. Seine Demokratische Partei des Kosovo, abgekürzt PDK, ist einer der Hauptfavoriten in der bevorstehenden Parlamentswahl. Ein potenzieller Koalitionspartner für die PDK ist das Bündnis Allianz für die Zukunft Kosovos von Ramush Haradinaj. Haradinaj war ebenfalls in der UCK und könnte je nach Stimmenverteilung ein wichtiger Helfer für Thaci werden.
Ibrahim Rugova von der Demokratischen Liga von Kosovo (LDK), der lange als der uneingeschränkte Führer der Kosovo-Albaner galt, weil er ohne Gegenkandidat von den Kosovaren zum Präsidenten des Schattenstaates gewählt wurde, ist der große Gegenspieler zu Hashim Thaci. Sowohl Thaci als auch Rugova haben Ambitionen auf das Amt des Präsidenten. Und der wird nach der Parlamentswahl durch die neue Versammlung bestimmt werden.
Der Wahlkampf verlief bisher sehr ruhig. Es gab keine politisch motivierten Morde wie noch vor einem Jahr. Die Rhetorik ist sachlich. Für lokale Journalisten wie Baton Haxhiu von der unabhängigen Zeitung KOHA DITORE sind die Wahlkampfreden im Kosovo allerdings inhaltsleer, unprogrammatisch und vage. Nach der Meinung von Haxhiu haben die Parteien keine konkreten Konzepte:
(Haxhiu) "Wenn man schon diese Sprache hört. Das ist langweilig, einfach langweilig! Die haben alle die gleichen Phrasen. Wenn die mit den Menschen reden, sind sie einfach nur Populisten. Sie haben keine Visionen für etwas. Insbesondere die Parteichefs. Ramush Haradinaj drückt sich zwar etwas klarer aus, aber wenn wir mal auf die beiden großen Parteien LDK und PDK schauen: die gleichen sich absolut. Man könnte fast sagen, dass es keine politischen Parteien sind, sondern nur zwei Gruppen von Leuten. Denn sie haben ja gar nicht ihr Programm dargelegt."
Für die Parteien im Kosovo gibt es offensichtlich nur ein Programm. Das lautet Unabhängigkeit. Der Status des Kosovo ist nach wie vor nicht völlig geklärt. Nach der UN-Resolution 1244 gehört die Provinz immer noch zur Bundesrepublik Jugoslawien. Faktisch regiert wird sie von der internationalen Gemeinschaft, vertreten durch den Dänen Hans Haekkerup und seine UNO-Verwaltung. Und so wird das auch noch lange bleiben. Denn schon im Vorfeld ist klar, dass das neu gewählte Parlament nicht die Kompetenz besitzen wird, den Kosovo für unabhängig zu erklären. Doch die Albaner im Kosovo wollen unbedingt ihre völlige Selbstständigkeit.
Für die ethnischen Minderheiten sind 20 der insgesamt 120 Parlamentssitze reserviert, zehn davon für die serbische Minderheit. Die Frage, wer mit wem koalieren wird und welche Rolle die Serben dabei spielen werden, beschäftigt auch Haxhiu:
"Es gibt wohl folgende Lösung. Rugovas LDK wird eine Koalition mit den Serben und den anderen Minderheiten eingehen oder mit der Partei von Ramush Haradinaj. Nur die Sache ist eben: Ramush Haradinajs Partei wird niemals für Rugova stimmen. Sollte die LDK einen anderen als Rugova zum Präsidentschaftskandidaten aufstellen, könnte es eine Lösung für eine Koalition geben. Das wären dann LDK und AAK. Aber ich glaube, Rugova würde nie eine Koalition mit den Serben eingehen."
Wahrscheinlicher ist da schon eine Koalition von Hashim Thacis PDK mit Haradinajs AAK, ergänzt durch die Sitze der Minderheiten. Doch bislang ist unklar, wie groß die Wahlbeteiligung der Serben sein wird. Die Kommunalwahl vom vergangenen Jahr boykottierten sie. Nachdem die UN-Verwaltung UNMIK kürzlich mit Belgrad ein Abkommen über die Teilnahme der Serben getroffen hat, herrscht vorsichtiger Optimismus.
Oliver Ivanovic, ein Vertreter der Serben in der geteilten kosovarischen Stadt Mitrovica, hat die Serben aufgerufen, am 17. November an die Urnen zu gehen. Das hat ihm unter den Kosovo-Serben viel Kritik gebracht. Bei einer Versammlung in der Stadt Gracanica wurde er zu Beginn dieser Woche von einer aufgewühlten Menge wüst beschimpft. Ivanovic erklärt sich die Aggressionen so:
"Also zunächst einmal sind diese Menschen ziemlich frustriert und absolut unzufrieden mit den bisherigen Ergebnissen der internationalen Mission hier. Was den Rückkehrprozess anbelangt, die Sicherheit, die Bewegungsfreiheit und das Auffinden von vermissten Personen. Ihr Schicksal also. Was sie von der Zukunft erwarten können, das ist die wichtigste Frage und sie haben Angst, dass sich ihre Lage nach den Wahlen sogar noch verschlechtert."
Das serbische Lager im Kosovo ist zerstritten. Die bedeutendste serbische Partei ist die Koalition "Rückkehr". Wie sie in der Wahl abschneiden wird, weiß niemand genau. Die Intellektuellen unter den Albanern hoffen darauf, dass möglichst viele Serben zur Wahl gehen, denn nur dann, wenn die serbische Minderheit integriert wird, dürfen die Albaner darauf hoffen, einen international anerkannten Staat zu bekommen. (TS)