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KonflikteÄthiopien

Äthiopien: Eskalation in Tigray gefährdet die Region

19. März 2025

In Tigray ist die Führung tief gespalten und es droht ein neuer Krieg. Ein Konflikt mit dem benachbarten Eritrea könnte unmittelbar bevorstehen. Analysten warnen vor den Auswirkungen auf die gesamte Region um Äthiopien.

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Menschen stehen in einer Schlange vor einer Bank an
Die politische Krise in Tigray spitzt sich zu - in Mekelle führt das zu langen Schlangen vor Banken, weil sich die Menschen mit Bargeld und Lebensmittelvorräten versorgen wollenBild: Million Haileselassie Brhane/DW

"Die Menschen sind besorgt", sagt Kiflom Abraha. Der junge Mann lebt in Mekelle, der Hauptstadt von Tigray, dem nördlichsten Bundesstaat von Äthiopien. "Die Menschen arbeiten nicht. Vor den Banken haben sich lange Schlangen gebildet, weil die Leute versuchen, Geld abzuheben. Die Lebenshaltungskosten sind in die Höhe geschossen."

Die Spannungen im Norden des Landes sind wieder groß. Vor mehr als zwei Jahren unterzeichnete die Regierung von Äthiopien mit Vertretern der Volksbefreiungsfront von Tigray (TPLF) in Südafrika ein Friedensabkommen, auch Pretoria-Abkommen genannt. Ein erbitterter Krieg in Tigray endete damit offiziell.

Obwohl das Friedensabkommen vom November 2022 etwas Ruhe brachte, sind viele Menschen immer noch nicht in ihre Heimat zurückgekehrt. Die Angst ist allgegenwärtig, dass der Krieg zurückkommt, der Tigray und die benachbarten Regionen zwischen 2020 und 2022 erschütterte.

Menschen sitzen auf einer Straße und halten Protestplakate hoch
Noch immer sind Menschen durch den Krieg vertrieben, der 2022 endete: Im Januar protestierten Vertriebene in Mekelle mit StraßenblockadenBild: Million Hailesilassie/DW

"Nach dem Pretoria-Abkommen herrschte Frieden, aber mit vielen Herausforderungen", sagte Nigisti Garede, Leiter der Tigray Teachers' Association in Mekelle, zur DW. "Nach einiger Zeit traten Probleme auf wegen Differenzen zwischen den Führern. Sie haben sich in zwei Fraktionen aufgespalten, was zu Unruhe in der Gesellschaft führte. Das schürt Angst vor dem, was als Nächstes passiert. Recht und Ordnung gibt es nicht."

Tigray ist jetzt gespalten

Ein Machtspiel innerhalb der Elite Tigrays hat Getachew Reda ins Abseits gedrängt, der seit 2023 Führer der regionalen Übergangsverwaltung von Tigray ist. Mehrere Militärkommandeure hatten sich auf die Seite von Debretsion Gebremichael geschlagen, dem Führer der Volksbefreiungsfront von Tigray (TPLF). Teile von Tigray entlang der eritreischen Grenze werden bereits von dieser Gruppierung kontrolliert. Vergangene Woche nahm sie Adigrat, die zweitgrößte Stadt Tigrays, ein. Sie beschuldigt die Übergangsverwaltung, die Interessen Tigrays zu verkaufen. Die Übergangsverwaltung ihrerseits beschuldigt die abgespaltene Fraktion unter Debretsion, mit Eritrea zusammenzuarbeiten. Beide Seiten weisen die Anschuldigungen zurück.

"Die TPLF war viele Jahre lang sehr geschlossen", sagte der in London ansässige Analyst Martin Plaut der DW. "Sie hat ihre Probleme immer intern gelöst. Jetzt ist sie vollkommen gespalten."

Getachew, der das Pretoria-Abkommen für die TPLF im Jahr 2022 ausgehandelt hatte, wurde Präsident der Übergangsverwaltung von Tigray. Unterstützt wurde er von Äthiopiens Premierminister Abiy Ahmed, der Debretsion ablehnte.

Rückschlag für Tigrays Elite

Abiy, seit 2018 im Amt, schien zunächst die Demokratisierung und Versöhnung im Land voranzutreiben. Seine Annäherung an den langjährigen Feind Eritrea brachte ihm 2019 den Friedensnobelpreis ein.

Die drei Staats- und Regierungschefs bei der Einweihung eines Hospitals in Nordäthiopien
Ein Foto aus friedlicheren Tagen im November 2018: Eritreas Präsident Isaias Afwerki, Äthiopiens Premierminister Abiy Ahmed und Somalias Präsident Mohamed Abdullahi Mohamed (v.l.n.r.)Bild: Eduardo Soteras/AFP/Getty Images

Doch das Image des äthiopischen Premierministers als Reformer bekam Risse, als er sich gegen die politische Elite aus Tigray wandte. Abiys Reformen führten dazu, dass Mitglieder der Elite aus privilegierten Positionen in Regierung und im Sicherheitsbereich gedrängt wurden, die sie jahrzehntelang innehatten. In der Region Tigray aber blieben sie stark.

Laut Plaut, der kürzlich ein Buch über den Tigray-Krieg mitverfasst hat, ging es im Krieg 2020 bis 2022 darum, die Macht der TPLF zu brechen. "Das war etwas, worauf sich sowohl Premierminister Abiy als auch der eritreische Führer, Präsident Isaias Afwerki, geeinigt hatten", so Plaut zur DW.

"Das war die eine Sache, in der sie sich wirklich einig waren. Das Ziel haben sie nicht erreicht. Es ist ihnen nicht gelungen, die TPLF militärisch zu zerstören, und sie waren nicht in der Lage, sie zu entfernen", sagt Plaut weiter. "So blieben beide Seiten, die in Tigray eingedrungen waren, frustriert zurück. Damit ist die Situation ungelöst." Zwischen die beiden Nachbarstaaten ist bereits wieder ein Keil getrieben.

Politische Akteure in Äthiopien und Beobachter sagen, eine Eskalation des Konflikts stehe unmittelbar bevor. Der einflussreiche Generalleutnant Tsadkan Gebretensae, Vizepräsident der Tigray-Übergangsverwaltung, bezeichnete einen Krieg als scheinbar "unvermeidlich" und rief vergangene Woche zu Verhandlungen auf.

Verschiedene Parteien sprechen von der Notwendigkeit, die Übergangsverwaltung zu stärken. Während es in Äthiopien Anzeichen auf Kriegsvorbereitungen gibt, heißt es, das benachbarte Eritrea tue dasselbe. Eritreas Kommunikationsminister Yemane Gebremeske bezeichnete solche Behauptungen als "falsche Anschuldigungen".

Plaut hütet sich vor Vorhersagen. Eritreas Präsident Afwerki habe sich wiederholt in die inneren Angelegenheiten Äthiopiens eingemischt und bestimmte Gruppierungen innerhalb Äthiopiens bereits bewaffnet. Doch er sei "immer sehr vorsichtig und handelt erst im letzten Moment", sagt Plaut.

Eingefrorene USAID-Hilfe: Furcht vor Hungersnot in Tigray

Die steigenden Spannungen kommen zu einem Zeitpunkt, an dem sich das Horn von Afrika und die Region am Roten Meer in verschiedenen Krisen befinden. Dazu zählt der Krieg im Sudan. Sowohl Äthiopien als auch Eritrea und die TPLF unterstützen Fraktionen im Sudan.

Auch die Spannungen zwischen Somalia und Somaliland flammten vor kurzem auf, als Äthiopien versuchte, eine Zusammenarbeit in einem somaliländischen Hafen zu vereinbaren, wovon Äthiopien aber offenbar wieder Abstand genommen hat. Äthiopiens riesiges Wasserkraftprojekt am Nil hat ebenfalls zu einem Streit mit Ägypten und dem Sudan geführt.

Interessen des Nahen Ostens

Plaut zufolge sind die Ambitionen der Länder des Nahen Ostens zentral für die Stabilität der Region. "Man muss sich die außenpolitische Agenda sowohl der Saudis als auch der Vereinigten Arabischen Emirate ansehen", sagte er. "Sie sind die Großmächte in der Region mit viel Geld und viel Ehrgeiz."

Während die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) Äthiopien unterstützen, sagte Plaut, blicke Saudi-Arabien misstrauisch auf die Ambitionen der VAE. Um dem entgegenzuwirken, könnte Saudi-Arabien Eritrea unterstützen. Das Ergebnis sei schwer abzuschätzen, fügt er hinzu, weil sich die Loyalitäten "ständig ändern".

Mitarbeit: Million Haileselassie in Mekelle

Dieser Artikel erschien zuerst auf Englisch.