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KonflikteDeutschland

Ändert Deutschland seine Haltung zu Israel und Gaza?

Cathrin Schaer
6. September 2025

In Europa wächst der Unmut über Deutschland. Eine Mehrheit der EU-Staaten möchte gegen Israel wegen seines Vorgehens in Gaza Sanktionen verhängen. Doch dem steht Deutschland als bevölkerungsreichstes EU-Land entgegen.

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Palästina-Flagge auf einem Protest gegen israelische Angriffe auf Gaza in Berlin
Protest in Berlin Ende Juni: Die Mehrheit der Deutschen hält das Vorgehen Israels im Gazastreifen für ungerechtfertigtBild: Halil Sagirkaya/Anadolu Agency/IMAGO

Beim informellen Treffen der europäischen Außenminister in Kopenhagen stand wieder einmal die Frage auf der Tagesordnung, ob man gegen Israel Sanktionen wegen seines Vorgehens in Gaza verhängen solle und wie diese aussehen könnten. In welchem Ausmaß das Verhalten Israels in Gaza als kriminell einzustufen ist, ist noch immer Gegenstand von Debatten.

Doch die Mehrheit der Beobachter ist sich einig, dass bei der Militärkampagne Israels in Gaza, die nach dem Angriff der militanten Hamas im Oktober 2023 begann, Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht begangen werden. Eine "wachsende Mehrheit" von Ländern spreche sich für Sanktionen gegen Israel aus, sagte die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas kürzlich. Zu einer Einigung sind die Spitzendiplomaten der EU jedoch noch nicht gekommen. Privat äußern sich einige frustriert über die EU-Staaten, die Sanktionen gegen Israel verhindern.

Einer dieser Staaten ist Deutschland.

Familienfoto beim informellen Ministertreffen der EU-Europaminister
Länder wie Spanien, Irland, Slowenien, Frankreich, Belgien, die Niederlande, Schweden und Dänemark würden gerne Sanktionen verhängen, doch Italien, Österreich, Ungarn, die Tschechische Republik und Deutschland zögern nochBild: Thomas Traasdahl/Ritzau Scanpix/AFP/Getty Images

Die EU sei in ständigem Kontakt mit Israel und übe Druck auf das Land aus, mehr Hilfsgüter in den Gazastreifen zu lassen, sagte Kallas nach dem Treffen in Kopenhagen zur DW. "Einige Dinge haben sich verbessert", stellte sie fest, "doch das reicht nicht. Es ist frustrierend, dass wir nicht mehr tun können."

Verschiedene Maßnahmen wurden diskutiert, darunter die Aussetzung des Assoziierungsabkommens zwischen der EU und Israel, der Ausschluss israelischer Unternehmen von der Teilnahme am EU-Forschungsprogramm Horizon oder direkte Sanktionen gegen israelische Siedler. Für die Verabschiedung einiger dieser Maßnahmen wäre eine qualifizierte Mehrheit erforderlich. Es müssten also 55 Prozent der EU-Staaten, die mindestens 65 Prozent der EU-Bürger und –Bürgerinnen repräsentieren, dafür stimmen. Deshalb ist die Stimme Deutschlands, dem bevölkerungsreichsten Land der Union, so wichtig.

Bisher jedoch beschränken sich führende deutsche Politiker, darunter Kanzler Friedrich Merz und Außenminister Johann Wadephul, darauf, zu betonen, dass Israel im Rahmen des Völkerrechts handeln müsse. Einige deutsche Waffenlieferungen nach Israel wurden zurückgehalten, könnten aber in Zukunft wiederaufgenommen werden. Ein Handelsembargo oder andere Sanktionen hat Deutschland abgelehnt.

Deutschlands Rolle beschränkt sich laut einem Kommentar des Peace Research Institute Frankfurt vom Mai 2025 auf "Kritik ohne Konsequenzen". Wegen des Holocausts trägt Deutschland gegenüber Israel eine besondere historische Verantwortung. Doch der Druck auf Deutschland, etwas zu unternehmen, wächst. Was könnte die deutsche Regierung dazu bewegen, ihre Haltung zu ändern? Diese Frage wurde von einem Sprecher der Regierung mit dem Verweis auf frühere Äußerungen von Kanzler Merz beantwortet. Eine direkte Antwort gab es nicht.

Können die Wähler Einfluss nehmen?

Umfragen zufolge lehnen deutsche Wähler und Wählerinnen die Lieferung deutscher Waffen nach Israel zunehmend ab. Laut Politbarometer des Fernsehsenders ZDF halten 76 Prozent der Wahlberechtigten das militärische Vorgehen Israels im Gazastreifen für nicht berechtigt. 83 Prozent der Wahlberechtigten findet es laut derselben Umfrage richtig, deutsche Waffenlieferungen an Israel zu begrenzen. Andere Umfragen zeigen, dass das Bild Israels bei vielen Deutschen gelitten hat.

Einige dieser Ansichten sind nicht neu. Seit über einem Jahr zeigen die Umfrageergebnisse, dass die Mehrheit der Deutschen so denkt. Darauf angesprochen, sagte im Juni ein Regierungssprecher, die öffentliche Meinung sei bei solch grundlegenden Entscheidungen nicht ausschlaggebend.

Demonstrant mit einem Schild mit der Aufschrift "Fear to feel is killing people. Stop arming Israel"
Schon im März 2024 waren 69 Prozent der Deutschen laut Politbarometer der Meinung, Israels Vorgehen im Gazastreifen sei nicht gerechtfertigtBild: Ilkin Eskipehlivan/Anadolu Agency/IMAGO

"Es ist schwer vorstellbar, was Deutschland dazu veranlassen könnte, seine Haltung zu ändern" meint René Wildangel, unabhängiger Nahostexperte und ehemals Fellow beim European Council on Foreign Relations, zur DW. "Seit Kanzler Merz im August ein Teilverbot für Waffenlieferungen verkündet hat und dafür von verschiedenen Mitgliedern seiner eigenen Partei kritisiert wurde, verhält sich Deutschland sehr defensiv", erklärt er. "Ich sehe nur die Möglichkeit, dass immer mehr Deutsche auf die Straße gehen und ihre Stimme erheben. Ein Blick auf die Umfragen zeigt schließlich, dass eine große Mehrheit Israels Vorgehen in Gaza ablehnt."

Innenpolitisch wächst der Druck

Während der vergangenen Monate haben sich parteiübergreifend immer weitere deutsche Politiker geäußert. Die Oppositionspartei Die Linke drängt darauf, das Assoziierungsabkommen zwischen der EU und Israel auszusetzen und den Export von Rüstungsgütern zu stoppen. "Diese Themen werden bereits öffentlich diskutiert und ich vermute, dass der Druck in Deutschland und in der EU weiter zunimmt", sagt Katja Hermann, Referentin bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung, einer der Linken nahestehenden Stiftung.

Treffen zwischen Friedrich Merz und Benjamin Netanjahu
Im Mai ließ Kanzler Merz sogar anklingen, dass Israel das Völkerrecht gebrochen haben könnteBild: Kobi Gideon/GPO/dpa/picture alliance

In jüngerer Zeit begannen auch einige Mitglieder der Sozialdemokraten (SPD), konkretere Maßnahmen vorzuschlagen. In der von den Christdemokraten (CDU) angeführten aktuellen Regierungskoalition stellt die SPD den Juniorpartner. Zu Beginn des Jahres verabschiedete eine SPD-Ortsgruppe in Berlin eine Resolution, in der die Regierungskoalition aufgefordert wurde, mehr zu unternehmen. Gefordert wurde unter anderem, die Aussetzung des EU-Israel-Assoziierungsabkommens nicht zu blockieren.

Merz und Wadephul sind beide Mitglieder der CDU und haben das Vorgehen Israels in Gaza kritisiert. Sanktionen auf EU-Ebene lehnen jedoch sowohl CDU als auch CSU, die bayrische Schwesterpartei der CDU, ab. Die beste Chance, Israel von seinem - wie es ein Politiker formulierte - "Irrweg" abzubringen, böten die engen Beziehungen mit dem Land.

Internationaler Druck auf Deutschland

Innerhalb der EU steht Deutschland mit seiner Haltung Beobachtern zufolge zunehmend isoliert da. So wollten zum Beispiel im Mai dieses Jahres zwei Drittel der EU-Staaten das Assoziierungsabkommen mit Israel wegen angeblicher Menschenrechtsverletzungen in Gaza auf den Prüfstand stellen. Deutschland widersetzte sich. Seit dem Treffen in Kopenhagen zeige sich Deutschlands Isolation immer deutlicher, sagt Martin Kobler, der vor seiner Pensionierung als Botschafter Deutschlands Interessen in Ägypten, Irak und Pakistan vertrat und jetzt Mitglied bei Diplomats without Borders ist. 

 Israelische Soldaten bei wöchentlicher Tour von Siedlern durch Hebron
Die Aktionen extremistischer israelischer Siedler bezeichnete Außenminister Wadephul auch schon als "Terror"Bild: Mussa Qawasma/REUTERS

"Selbst die Holländer wollen mittlerweile eine härtere Linie fahren", sagt Kobler zur DW. "Und wenn man in einer politischen Frage wie dieser isoliert ist, muss man immer mehr Energie dafür aufwenden, sich zu rechtfertigen." Die EU-Staaten verstehen allerdings auch, dass sich Deutschland in Bezug auf Israel aus geschichtlichen Gründen zurückhält. "Doch die Sicherheit Israels heißt nicht notwendigerweise die Sicherheit der Regierung Netanjahu", betont Kobler.

Weltweite Vereinigung Forschender wirft Israel Genozid vor

Hinter vorgehaltener Hand berichtete ein anderer Diplomat der DW, die deutsche Regierung habe sich rechtlich beraten lassen, weil sie fürchte, Deutschland könne sich wegen seiner Unterstützung Israels mitschuldig machen an Kriegsverbrechen oder sogar Völkermord. Anfang der Woche warf die Organisation International Association of Genocide Scholars Israel vor, in Gaza Völkermord zu begehen.

Auch die Vizepräsidentin der EU-Kommission und Wettbewerbskommissarin Teresa Ribera sprach in einer Rede von einem "Genozid in Gaza". Seitens der EU-Kommission hieß es jedoch dazu in einer Stellungnahme, dass man vorerst nicht von Völkermord spreche, sondern die Frage Gerichten überlasse. Es sind verschiedene Szenarien denkbar, in denen Deutschland in solche Vorwürfe verwickelt sein könnte, unter anderem vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag sowie vor nationalen Gerichten.

Wadephul: "Israel muss handeln"

"Unsere Organisation prüft direkt vor deutschen Gerichten, welche Verpflichtungen Deutschland nach internationalem Recht hat"; sagt Alexander Schwarz, Anwalt beim European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) in Berlin. Mitte November wird das ECCHR wieder in Berlin vor Gericht ziehen, um die Rechtmäßigkeit deutscher Waffenlieferungen an Israel prüfen zu lassen.

"Wenn nur eines dieser Verfahren damit endet, dass beteiligte Länder wie Deutschland spezielle Maßnahmen ergreifen müssen, hat das Auswirkungen", sagt Schwarz zur DW. "Seit kurzem ist in Deutschland eine leichte Richtungsänderung spürbar", gibt er zu. "Doch die Hoffnung, dass sich viel ändern würde, sei gering. Einzig etwas bewegen würde es wohl, "wenn ein Gericht, sei es ein deutsches oder internationales, zu dem Schluss käme, dass Deutschland durch seine Waffenlieferungen das Völkerrecht bricht oder sich an einem Völkermord mitschuldig macht."

Rosie Birchard in Kopenhagen hat zu diesem Artikel beigetragen.

Adaptiert aus dem Englischen von Phoenix Hanzo.

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