Anders Denken: Ist das die Rettung der Menschheit?
9. April 2025Die ökologische Krise und der menschengemachte Klimawandel sind längst eine Krise der gesamten Menschheit. Das ist nicht neu. Trotzdem verbrennt der Mensch mehr Kohle, Öl und Gas als je zuvor, produziert mehr Müll, verbraucht mehr Ressourcen als der Planet vertragen kann.
"Bildlich gesprochen sehen wir den Abgrund vor uns. Wir wissen, wie wir umkehren können. Und dennoch gehen wir weiter auf ihn zu," so Shen Xiaomeng, Direktorin des Institute for Environment and Human Security an der United Nations University (UNU-EHS) in einem Statement.
Warum ist das so und welche Wege gibt es also aus der Umweltkrise? Diese Frage versucht der heute veröffentlichte Bericht "Ein neues Kapitel aufschlagen” (Turning Over a New Leaf) ihres Instituts zu beantworten. Der jährlich erscheinende Bericht analysiert, wie Risiken und Naturkatastrophen miteinander zusammenhängen und von Menschen beeinflusst werden, und welche Lösungen möglich sind.
Viele Krisen, wenig struktureller Wandel
Die gute Nachricht: Laut den Forschern ist eine Zukunft in Wohlstand möglich. Viele der heutigen Ansätze konzentrieren sich jedoch vor allem auf die Symptombekämpfung, statt auf die zusammenhängenden Ursachen, so die Wissenschaftler der UNU-EHS mit Sitz in Bonn.
So werde beispielsweise ein vermüllter Strand oder Fluss nicht allein durch mehr Recycling wieder sauberer. Zwar sei Recycling ein wertvoller Ansatz um das Problem anzugehen, die Kernprobleme sind aber andere: nämlich Einwegverpackungen und das System von Massenproduktion. Wenn das Ziel beispielsweise eine Zukunft ohne Müll sei, müsse man das System der Wegwerfgesellschaft an der Wurzel verändern, heißt es im Bericht.
Dabei würden Glaubenssätze, Werte und Annahmen, die zu den Auswirkungen führen, oft nicht in Frage gestellt. Genau hier setzen die Forscher an.
Theorie des tiefgreifenden Wandels
Um den tieferliegenden Ursachen globaler Probleme auf die Spur zu kommen, haben die Wissenschaftler die sogenannte Theorie des tiefgreifenden Wandels (Theory of Deep Change) entwickelt.
Dabei werden die gesellschaftlichen Strukturen und Denkweisen beleuchtet, die zu bestimmten Problemen geführt haben und heute dafür verantwortlich sind, dass sie fortbestehen. Die Autoren betrachten dabei die Gesellschaft als ein soziales Konstrukt.
Durch bestimmte Denkweisen sind Strukturen entstanden, die unbeabsichtigte Effekte verursacht haben: etwa den Klimawandel, Wasserknappheit, Überproduktion, und die Übernutzung der weltweiten Ressourcen.
"Unsere Forschung hat ergeben, dass diese Prozesse und Strukturen größtenteils auf der Annahme aufbauen, dass der Mensch die Natur beherrschen oder kontrollieren kann und sollte," so Caitlyn Eberle im DW Interview. Sie ist eine der Hauptautoren des Berichts.
Diese Grundannahme findet sich in unterschiedlicher Ausprägung etwa in Gesetzen, in der Literatur, in Filmen und in religiösen Kontexten wieder, so die Autoren. Das wiederum habe Einfluss auf die Ziele und die Strukturen der Gesellschaft.
Das Resultat: Monokulturen, Flussbegradigungen, die Domestizierung von Tieren und Pflanzen, oder auch der Einsatz von Pestiziden und Unkrautvernichtern gelten als Mittel zum Erreichen der Ziele.
Die Annahme oder das Mindset "der Mensch beherrscht die Natur" birgt also Risiken und steht auch möglichen Veränderung im Weg, so die Autoren.
"Eine Änderung dieser Denkweise würde bedeuten, dass wir anerkennen, dass der Mensch ein Teil der Natur ist, nur eine Spezies in einem riesigen Ökosystem. Und dass würde bedeuten, dass wir versuchen sollten, unsere Systeme besser auf die Bedürfnisse der Natur abzustimmen", sagt Eberle.
Auch die weit verbreiteten Annahmen, dass endloses wirtschaftliche Wachstum tatsächlich Wohlstand bringt, oder dass der Planet über endlose Kapazitäten verfügt, Schadstoffe aufzunehmen und Ressourcen abzugeben, stehen möglichen Veränderungen im Weg. Diese Denkweise sei aus wissenschaftlicher Sicht fehlerhaft, so Eberle.
Innere und äussere Veränderung nötig echten Wandel
Für einen wirklich nachhaltigen, tiefgreifenden Wandel brauche es sowohl innere als auch äußere Veränderungen.
Dabei geht es zum einen um die individuellen Überzeugungen und Werte der Menschen, also innere Hebel. Und strukturelle Veränderungen - äußere Hebel - können zum Beispiel entsprechende Gesetze, Anpassung der Steuersysteme und Subventionen für Veränderungen sein.
Zwar ist die Veränderungen von Werten und alten Grundhaltungen schwierig, aber es ist nicht unmöglich. Das zeige auch die Geschichte, so die Forscher.
Beispielsweise war Rauchen bis vor wenigen Jahren gesellschaftlich anerkannt und in vielen Kulturen mit einem höheren sozialen Status verbunden, teils galt es sogar als gesund. Heute weiß jeder, das Rauchen schädlich ist und es ist in Innenräumen fast überall verboten.
Dieser Wandel vollzog sich sowohl auf individueller als auch auf gesellschaftlicher Ebene. Mitte des 20 Jahrhunderts begannen Wissenschaftler die ernsten Gesundheitsrisiken aufzudecken, und durch öffentliche Kampagnen zu Gesundheitsrisiken sowie Verbote und Änderungen von Regeln änderte sich die Einstellung der Gesellschaft zum Rauchen.
Die Veränderung hat schon begonnen, dauert aber
Um die heutigen Umweltrisiken zu bewältigen braucht es laut der Wissenschaftler einen Sinneswandel in fünf Bereichen: Abfall künftig als Rohstoff behandeln, die Vorstellung aufgeben, dass der Mensch von der Natur getrennt ist, die Idee beherzigen, dass die Menschheit gemeinsam Verantwortung trägt‚ kurzfristige durch langfristige Planung ersetzen und zu überdenken, was wirklich wertvoll ist: wirtschaftlicher Reichtum oder die Gesundheit des Planeten.
Laut Eberle würden nicht technische oder logistischen Herausforderung die Menschen vom Erreichen dieser Ziele abhalten, sondern das Mindset: "Es sind wirklich die tiefgreifenden Veränderungen in der Denkweise nötig, die unsere Kultur und Philosophie so prägen. Dass wir auch glauben, dass diese Art von Veränderungen möglich sind und erreicht werden können."
Dabei könne sich dieser Wandel nicht ohne Widerstand, das gestehen die Forscher ein. Interessenskonflikte, Angst, und strukturelle Trägheit seien normal. Doch es gebe Hoffnung, so die Studie. Die umkämpften Konflikte zeigten, dass die Gesellschaft bereits begonnen hat, sich zu verändern.
Redaktion: Tamsin Walker