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Glaube

Zusammenhalt in Vielfalt

5. Juli 2025

Wie gelingt Zusammenhalt in all der Vielfalt und Differenzen, die Menschen, Nationen und Kulturen voneinander trennen? Kann die Ökumene ein Vorbild für versöhnte Pluralität sein? Ein Beitrag der katholischen Kirche.

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Bild: Ok Shu/Westend61/IMAGO

„Zusammenhalt“ ist wohl eines der am meisten gebrauchten Worte der heutigen Zeit. Es wurde in der Corona-Pandemie beschworen, es wird in Kriegszeiten inflationär benutzt und angesichts der zunehmenden Polarisierungen und Disharmonien in der Gesellschaft immer wieder gefordert. Aber wie kann die Gesellschaft zusammenhalten? Was gibt Menschen das Gefühl, dazuzugehören? Welche gemeinschaftsstiftenden Merkmale sind es, die Menschen dazu bringen, füreinander einzustehen, einander zu unterstützen und Wege des Miteinanders zu suchen? In einer immer komplexer und unübersichtlicher werdenden Welt scheint es der einfachste Weg zu sein, sich mit seinesgleichen zu umgeben, d.h. mit Menschen und Menschengruppen, die die ähnlichen Werte teilen und die gleiche Weltanschauung vertreten.

Diskussionen und Argumentationen werden zunehmend als beschwerlich und belastend empfunden, Auseinandersetzungen auf der kognitiven Ebene werden gescheut, einfache Antworten auf komplexe Fragestellungen gesucht. Dadurch nehmen Polarisierungen zu. Eine Emotionalisierung der Debattenkultur auf der Straße, in den Familien und in den Parlamenten ist zu beobachten. Der Umgang mit Vielfalt scheint zu einer Bewährungsprobe für das Gelingen von Demokratie zu werden, denn die Vielfalt und die Unterschiedlichkeit von Lebenskonzepten scheint unausweichlicher und glücklicherweise auch elementarer Bestandteil der Gesellschaft zu sein. 

In der Bibel lernen wir den Umgang mit Vielfalt. Bereits der Apostel Paulus schreibt an die jungen Gemeinden: „Denn wie der Leib einer ist und hat doch viele Glieder, alle Glieder des Leibes aber, obwohl sie viele sind, doch ein Leib sind: so auch Christus. […] Und wenn ein Glied leidet, so leiden alle Glieder mit, und wenn ein Glied geehrt wird, so freuen sich alle Glieder mit.“ (1 Kor 12,12.26) Ist das nicht ein gelungenes Bild für den Zusammenhalt? Wenn der Körper nur aus Augen besteht, dann würden ihm viele Fähigkeiten fehlen. Er könnte nicht laufen, riechen, hören, kommunizieren – eben alles das, was einen Körper ausmacht. Daher ist es gut, dass die verschiedenen Glieder unterschiedliche Aufgaben und Funktionen haben. 

Ein gelungenes Bild auch für die Ökumene der Kirchen. Wer sich näher mit der kirchlichen Landschaft in Deutschland beschäftigt und über die beiden zahlenmäßig (noch) dominierenden Kirchen hinausblickt, wird schnell feststellen, dass es eine Vielzahl an Denominationen, Kulturen und Traditionen gibt. Und obwohl der Ruf Christi „dass alle eins seien“ (Joh 17,21) über allen Anstrengungen steht, ist doch zu konstatieren, dass sich eine Vielfalt des christlichen Glaubens in Lehre und Praxis herausgebildet hat, die durchaus zeigt, wie es gelingen kann, Zusammenhalt und Einheit trotz aller Differenzen zu wahren. Zur Wahrheit gehört auch, dass es in der Geschichte zu Kriegen, Konflikten und Verletzungen zwischen den Kirchen gekommen ist. Aber spätestens mit dem Aufkommen der Ökumenischen Bewegung und dem Bewusstwerden des Rufes zur Einheit unter den Kirchen ist in Deutschland die Zusammenarbeit selbstverständlicher und in manchen Teilen notwendiger geworden. Auch wenn es noch Luft nach oben gibt, ist festzustellen, dass der Zusammenhalt zwischen den Kirchen trotz aller Unterschiede im Prinzip gelingt.

Grundlage ist die gemeinsame Basis in der Heiligen Schrift, in der Taufe und im Glauben. Christinnen und Christen erinnern in diesem Jahr an das Erste Ökumenische Konzil von Nizäa, das 325, vor 1700 Jahren, stattfand. Es legte das Fundament für das heute immer noch gesprochene Glaubensbekenntnis. Sich dieser gemeinsamen Grundlagen bewusst zu werden, kann Unterschiede und bleibende Differenzen in einem anderen Licht erscheinen lassen. Da geht es dann nicht mehr um „richtig“ oder „falsch“, sondern um die Frage, ob und wie andere Kirchen zu Lernorten für den eigenen christlichen Glauben werden. Eventuell haben sie Traditionen und Rituale bewahrt, die in der eigenen Kirche fehlen. Die Suche nach Gemeinsamkeiten kann zum Wiederkennen vertrauter Elemente führen. In diesem Sinne kann die Vielfalt der christlichen Kirchen und ihr Umgang miteinander durchaus ein Vorbild für den Umgang mit Pluralität in der Gesellschaft sein: Auf einem gemeinsamen Fundament die unterschiedlichen Ausprägungen nicht als bedrohlich wahrzunehmen, sondern sich zu fragen, welche Bereicherungen sie für einen selbst bereit halten können – so entsteht Zusammenhalt. 

 

Kurzvita:

Dr. Verena Hammes hat nach dem Studium der römisch-katholischen Theologie im Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz auf der Projektstelle „Ökumene vor dem Reformationsgedenken 2017“ gearbeitet. Ihre Promotion mit dem Thema „Erinnerung gestalten. Zur Etablierung einer ökumenischen Gedächtniskultur am Beispiel der Reformationsmemoria 1517-2017“ hat sie 2019 an der Universität Münster im Fachbereich Dogmatik/Ökumenische Theologie absolviert. Seit 2019 ist sie Geschäftsführerin der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland (ACK) und leitet ihre Geschäftsstelle, die Ökumenische Centrale, in Frankfurt am Main. 

Verena Hammes | Theologin der Katholischen Kirche
Bild: privat

Dieser Beitrag wird redaktionell von den christlichen Kirchen verantwortet.