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Wählen gehen oder nicht? - Ängste und Hoffnungen der Kosovo-Serben vor der Parlamentswahl

22. Oktober 2004
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Bonn, 21.10.2004, DW-RADIO / Serbisch, Filip Slavkovic

Im Kosovo stehen am Samstag (23.10.) Parlamentswahlen an. Bis zuletzt ist unsicher, wie viele der dort lebenden Serben zu den Urnen gehen werden. Die in Enklaven lebende serbische Gemeinde ist zutiefst zerstritten in der Frage, ob man die Wahl boykottieren soll oder nicht. Auch aus Belgrad kommen sowohl Appelle für einen Boykott als auch Aufrufe, wählen zu gehen. Filip Slavkovic fasst die Diskussion zusammen:

Rund die Hälfte der 180 000 wahlberechtigten Serben sind über ganz Kosovo verstreut, die andere Hälfte lebt noch immer als Flüchtlinge in Serbien und Montenegro. Dass nach fünf Jahren erst so wenige in ihre Häuser zurückkehren konnten, ist eines der Hauptargumente derjenigen, die einen Boykott der Parlamentswahl am Samstag (23.10.) befürworten. Und dann natürlich das Thema Sicherheit: Mitte März attackierten albanische Extremisten serbischen Siedlungen, steckten rund 800 Häuser und mehr als 30 Kirchen in Brand, 19 Menschen kamen dabei ums Leben. Unter der UN-Verwaltung und der Militär-Präsenz der NATO gebe es keine Sicherheit, keine Menschenrechte und keine Perspektive - das beklagen nicht nur die kosovarischen Serben, sondern auch die serbische Regierung in Belgrad.

Und so hat das Kabinett von Ministerpräsident Vojislav Kostunica, unterstützt durch die Orthodoxe Kirche, beschlossen, den Volksgenossen in der Provinz die Wahlteilnahme nicht zu empfehlen. Die Serben im Norden Kosovos, wo sie die Bevölkerungsmehrheit stellen, haben dies als Aufruf zum aktiven Wahlboykott verstanden. Dort gibt es eine so genannten Anti-Wahl-Koalition. Ihr gehört auch die bisherige Parlamentarierin Rada Trajkovic an:

"Mit den Institutionen, wie sie jetzt sind, hat mein Volk die Möglichkeit, entweder assimiliert oder isoliert zu werden. Und das führt sicherlich zu Auswanderungen oder zu Radikalisierung. Wie soll ich den Wählern etwas versprechen, wenn ich keine institutionellen Möglichkeiten dazu habe, weil alles vom guten Willen der albanischen Mehrheit abhängt?"

Bei den ersten Nachkriegswahlen vor drei Jahren habe man auf die Versprechen der UNO-Verwaltung noch gehört. Doch dass die Teilnahme am Versöhnungsprozess den Serben mehr Sicherheit und Rechte geben würde - das habe sich nicht erfüllt, so Rada Trajkovic.

Diese Meinung teilt auch Oliver Ivanovic. Er ist stellvertretender Parlamentssprecher und führt die Serbische Liste für Kosovo und Metohija an. Das ist eine von zwei Bürgervereinigungen, die für die serbische Gemeinde zur Wahl antreten. Die Liste hat sich für die Teilnahme entschieden, als vor zwei Wochen der serbische Präsident Boris Tadic in Belgrad die Kosovo-Serben dazu aufrief. Man könne am Ende nichts gewinnen, wenn man sich gegenüber dem Westen trotzig zeige, meint Ivanovic. Außerdem hoffe man, dass die seit Monaten angekündigte Dezentralisierung des Kosovo zu einer serbischen Selbstverwaltung führen werde:

"Das heißt, dass spätestens 90 Tage nach der Bildung einer neuen Regierung die Dezentralisierung durchgeführt werden muss, dass man klar die Aufgaben der neuformierten Gemeinden definieren muss und dass mindestens zwei der neuformierten Gemeinden auf mehrheitlich serbischem Gebiet sind. Nur so werden die Voraussetzungen für unsere weitere Arbeit geschaffen. Wenn nicht, werden wir unsere Mandate zurückgeben."

EU-Chefdiplomat Javier Solana sagte vor einer Woche, man sei durchaus bereit, mehr Verantwortung auf die Gemeinden zu übertragen, auch dort, wo mehrheitlich Serben leben. Mehr Verantwortung könne es im Bereich der Polizei, der Justiz und des Gesundheits- und Schulwesens geben.

Dezentralisierung und Unterstützung für den kooperationswilligen Teil der serbischen Politiker - das müsse die Zielrichtung sein, meint der Berliner Balkan-Experte Dusan Reljic:

"Sollte der Westen diese Serben im Stich lassen, verliert er die Möglichkeit, den eigenen Einfluss in der Region zu behalten. Anders gesagt, in den nächsten Wochen wird der Westen die ersten Schritte unternehmen müssen, um die Gemeinde-Selbstverwaltung im Kosovo, die auch Dezentralisierung genannt wird, zu stärken."

Und das - da sind sich Reljic und Ivanovic sicher - werde vor allem den Serben zu gute kommen, die in Enklaven im Süden und im Zentral-Kosovo leben. Deshalb rechnen sie auch dort mit einer regen Wahlteilnahme. Die größere Gemeinde im Norden werde sich eher des Urnengangs enthalten. Per Gesetz sind den Serben ohnehin zehn der insgesamt 120 Sitze im Parlament garantiert.(fp)