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Wurde Nazi-Raubkunst vor jüdischen Erben versteckt?

Stuart Braun
26. Februar 2025

In den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen finden sich Hunderte von Kunstwerken von Paul Klee bis Pablo Picasso, die von den Nazis gestohlen wurden. Doch die Nachkommen der jüdischen Besitzer wurden wohl nie informiert.

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Eine Frau steht vor drei Gemälden, das mittlere hält sie mit weißen Handschuhen fest
Auch Max Beckmanns Werk (Mitte) steht im Mittelpunkt der Kontroverse um NS-Raubkunst Bild: Sven Hoppe/dpa/picture alliance

Wenn wertvolle Kunstwerke, die vom Naziregime geraubt wurden, in öffentlichen oder privaten Sammlungen auftauchen, gibt es strenge Vorgaben, die Provenienz der Werke zu ermitteln - und die Nachkommen der ursprünglichen Besitzer zu informieren. Experten schätzen, dass während der Nazi-Diktatur zwischen 1933 und 1945 in Deutschland mindestens 200.000 Kunstwerke ihren meist jüdischen Besitzern entzogen wurden, sei es durch direkte Enteignung oder durch Zwangsverkäufe. Viele jüdische Kunstsammler verließen Deutschland oder wurden in Todeslager deportiert.

Jetzt wurde bekannt, dass die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen - darunter auch die Münchner Pinakotheken - rund 200 von den Nazis geraubte Kunstwerke besitzen, darunter Gemälde aus dem frühem 20. Jahrhundert von Max Beckmann und Pablo Picasso. Doch die Nachfahren der ursprünglichen jüdischen Eigentümer wurden darüber anscheinend im Dunkeln gelassen. 

Der Fall Saulmann

Interne Datenbank weckt Verdacht auf Verschleierung 

Die Aufsichtsbehörde der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen und öffentlicher Kunstgalerien hatte Provenienz-Sachverständige beauftragt, systematisch nach der Herkunft von Werken zu forschen. In einer internen Liste wurden die Werke rot markiert, die eindeutig unter Raubkunst-Verdacht stehen. Dieses Wissen habe man aber weder weitergegeben noch Restitutionsverfahren eingeleitet. Das berichtet die bayerische Tageszeitung "Süddeutsche Zeitung", die Einblick in einen 900-seitigen Auszug einer internen Datenbank von 2020 nehmen konnte. Demnach soll es neben den 200 rot markierten Werken mit hoher Wahrscheinlichkeit weitere 800 von den Nazis geraubte Werke in den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen geben.

Kulturstaatsministerin Roth will schnelle Aufklärung

Die deutsche Kulturstaatsministerin Claudia Roth sagte der Nachrichtenagentur dpa, es gehe um mangelnde Transparenz und möglicherweise um bewusstes Verschleiern und Verhindern von fairen und gerechten Lösungen. "Es wäre ein Skandal, wenn hier Erkenntnisse über NS-Raubkunst bewusst zurückgehalten wurden und werden", fügte sie hinzu.

Die Kulturstaatsministerin hat mehrfach bekräftigt, dass sich Deutschland an die Washingtoner Prinzipien halte - ein 1998 von 44 Staaten geschlossenes Abkommen, in dem beschlossen wurde, dass staatliche Sammlungen in ihrem Besitz befindliche NS-Raubkunst an die ursprünglichen Eigentümer zurückgeben müssen. Diese Vereinbarung wurde von Museen und Sammlungen durch die Finanzierung einer umfassenden Provenienzforschung unterstützt. 

Erben eines jüdischen Kunsthändlers fordern Restitution 

Die Erben des jüdischen Kunsthändlers Alfred Flechtheim  haben auf der Grundlage der 900-seitigen Raubkunstliste der staatlichen Gemäldesammlungen Bayerns die Rückgabe mehrerer Werke gefordert. Flechtheim war ein Förderer von Meistern der Moderne - von Paul Klee über Henri Matisse und Picasso bis Edvard Munch.

1933 floh er aus Nazi-Deutschland zunächst nach Paris, dann nach London. Flechtheims Großneffe Michael Hulton und dessen Stiefmutter Penny Hulton reichten bereits 2016 eine Klage auf Rückgabe mehrerer Kunstwerke gegen den Freistaat Bayern ein, fast ein Jahrzehnt später flammte der Streit erneut auf. Laut den Erben war Flechtheim gezwungen, die Gemälde zurückzulassen, als er im Mai 1933 floh, um der Verfolgung durch die Nazis zu entgehen - vier Monate nach der Machtergreifung Adolf Hitlers. Viele Gemälde aus der Sammlung des Kunsthändlers wurden anschließend gestohlen, verkauft oder versteckt.

Einige der Gemälde in den Bayerischen Sammlungen wurden - so die Aussage der Erben Flechtheims - von dem NS-Kunsthändler Hildebrand Gurlitt verkauft. Er hatte die Erlaubnis, Werke zu veräußern, die von den Nazis als "entartet" angesehen wurden. Etwa 1.500 unrechtmäßig erworbene Gemälde wurden 2012 in der Münchner Wohnung von Gurlitts zurückgezogen lebendem Sohn Cornelius Gurlitt entdeckt. Die Sammlung lenkte die öffentliche Aufmerksamkeit auf das gewaltige Ausmaß des von den Nazis betriebenen Kunstdiebstahls.

Flechtheims Erben fordern u.a. die Rückgabe vom Max Beckmanns Gemälde "Chinesisches Feuerwerk" (1927). "Bayern hätte Hinterbliebene von Opfern informieren, die Werke an öffentlichen Datenbanken melden und ein Restitutionsverfahren einleiten müssen", so die Anwälte der Erben in einer Stellungnahme. "Tatsächlich zeigt sich, dass Bayern sich von Anfang an nicht an diese Regeln halten wollte und Ahnungslosigkeit vieler möglicher Anspruchsteller schamlos ausgenutzt hat. Hier wird ein massives Unrecht der Nazis auch mehr als 80 Jahre später aufrechterhalten."

Die Staatsgemäldesammlungen weisen die Vorwürfe entschieden zurück. Gegenüber der Nachrichtenagentur dpa erklärten sie, die von der Süddeutschen Zeitung erwähnte Liste mit NS-Raubkunst sei veraltet, die laufende Provenienzforschung nun transparent online verfügbar. 

Schnellere Bearbeitung von Restitutionsansprüchen

Pablo Picassos Gemälde "Madame Soler", das sich ebenfalls in den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen befindet, ist seit langem Gegenstand eines strittigen Rückgabeanspruchs der Erben des jüdischen Kunstsammlers Paul von Mendelssohn-Bartholdy. Der Streit um "Madame Soler" wird dadurch verschärft, dass sich die Parteien nicht einig sind, ob das Gemälde unter Zwang verkauft wurde.

Gemälde zeigt eine sitzende Frau
Picassos Meisterwerk "Madame Soler" ist Gegenstand einer laufenden RestitutionsklageBild: Felix Hörhager/dpa/picture alliance

Claudia Roth forderte 2023, dass die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen einer Überprüfung durch eine beratende Kommission zustimmen, die eine Empfehlung zu Restitutionsstreitigkeiten abgibt und die Washingtoner Prinzipien durchsetzt. Aufgrund der schleppenden Bearbeitung von Restitutionsansprüchen soll dieses Verfahren jetzt durch ein Schiedsgericht ersetzt werden, das laut Roth "schneller und unabhängiger" und ohne Verschleierung entscheiden kann. 

Am 21. Februar wurde eine Kreidezeichnung von Adolph von Menzel, die dem Breslauer Unternehmer und Kunstsammler Leo Lewin im Zuge der NS-Verfolgung entzogen worden war, an Lewins Erben zurückgegeben, nachdem sie in einer Kunstsammlung des Bundes gefunden worden war. "Wir wollen alle Kunstwerke zurückgeben, die auf ähnlichen Wegen in den Besitz der Bundesregierung kamen", sagte Claudia Roth in einer Stellungnahme zu dieser jüngsten Restitution. "Wir wollen gerechte und faire Lösungen im Sinne der Opfer des nationalsozialistischen Deutschlands."

Adaption aus dem Englischen: Suzanne Cords

DW Autor l Kommentatorenfoto Stuart Braun
Stuart Braun Australischer DW-Journalist und Buchautor.