Wie in den USA nun der Kulturkampf um "Wokeness" tobt
11. März 2025"Wokeness ist Ärger, Wokeness ist schlecht", polterte der US-Präsident unlängst in seiner ausschweifenden Rede zur Lage der Nation vor dem Kongress. Laut dem Duden ist Wokeness die "hohe (gelegentlich engstirnige oder mit militantem Aktivismus verbundene) Sensibilität für insbesondere rassistische, sexistische Diskriminierung, soziale Ungleichheit u. Ähnlichem".
Für Donald Trump ist Wokeness ein Reizwort. Nach dem Willen der US-Regierung sollen Begriffe wie "Sexualität", "transsexuell", "non-binär", "Klimakrise" oder "Rassismus" aus US-Regierungsdokumenten verschwinden.
Schon im Wahlkampf hatte Trump ganz klar formuliert: Für ihn gibt es nur zwei Geschlechter - und zwar das männliche und das weibliche. Alles darüber hinaus ist für ihn "überflüssige Spinnerei". Sexuelle Vielfalt in Schulen, am Arbeitsplatz und in den Streitkräften soll nicht mehr stattfinden.
Damit wendet sich Trump vor allem gegen die DEI-Programme. DEI steht für "Diversity, Equity and Inclusion", also Vielfalt, Chancengerechtigkeit und Inklusion. DEI soll also eigentlich für eine tolerante Gesellschaft sorgen. Das sehen Konservative überhaupt nicht gerne - allen voran der US-Präsident, der die "Tyrannei" von Programmen dieser Art beenden möchte. Mit seinen Forderungen hat er offenbar schon mehrere große US-Unternehmen unter Druck gesetzt, darunter die Fast-Food-Kette McDonald's, den Supermarktriesen Walmart, der Flugzeugbauer Boeing und den Autohersteller Ford - sie alle fahren ihre DEI-Programme zurück.
Trump: "Critical Race Theory ist Gift"
Donald Trump erklärte auch, er habe "das Gift der 'Critical Race Theory'" (CRT) aus den öffentlichen Schulen entfernt. Dieses Konzept kann auch als "woke" bezeichnet werden, denn es identifiziert rassistische Vorurteile in vielen Teilen der westlichen Gesellschaft. Konkret untersucht es, inwieweit Herkunft, Hautfarbe, Geschlecht oder sexuelle Orientierung bei der Job- oder Wohnungssuche, bei der Benotung in Schulen oder Universitäten oder auch bei polizeilichen Ermittlungen eine Rolle spielen. In vielen US-Bundesstaaten ist die Lehre dieser Theorie bereits verboten - mit der Begründung, sie stelle alle Weißen unter den Generalverdacht, Rassisten zu sein.
Psychologin: "Kritik am radikalen Wokismus ist nachvollziehbar"
So laut und radikal die Kritik in den USA auch formuliert ist - sie sei auch aus rationaler, wissenschaftlicher Sicht nachvollziehbar, sagt die Psychologin und Autorin Esther Bockwyt im DW-Gespräch. In ihrem Buch "Woke. Psychologie eines Kulturkampfs" setzt sie sich kritisch mit Wokismus auseinander und betrachtet auch dessen negative Seiten. "Da steckt nicht nur die klassische Angst vor Veränderung hinter, sondern auch ein Stück weit Vernunft, weil unter dem Deckmantel der Wokeness Auswüchse geschehen, die ungesund sind." Als Beispiel führt sie die Diskussion um biologische Männer, die sich als Frau sehen, im Frauensport oder in Frauengefängnissen an, die in den USA viel lauter ist als bei uns. "Da stoßen biologische Gegebenheiten auf eine Ideologie, die einfach sagt, das Gefühl steht über allem."
Die Ablehnung dieses extremen Wokismus - auch aus der Mitte der Gesellschaft - ist nach Bockwyts Ansicht berechtigt. "Es geht also nicht nur darum, dass man wach sein möchte gegenüber Diskriminierung - da würde ja auch fast jeder zustimmen -, sondern es ist wirklich radikaler", sagtet sie gegenüber der DW. "Und deshalb wird in den USA so ein großes Fass aufgemacht, weil das relevant und spürbar ist und Menschen auch eher auseinander als zusammenbringt."
Der große "Woke-Topf"
In Deutschland werden Transgender-Themen, Veganismus, Klimaschutz, Feminismus und Cancel Culture gerne alle zusammen in den großen Woke-Topf geworfen. Die Wut auf alles "Woke" richtet sich vor allem gegen Menschen, die eine linke oder grüne politische Haltung haben und sich als progressiv verstehen.
Von Konservativen kommt dann oft der Vorwurf, eine "moralisierende Minderheit" wolle Andersdenkende vermeintlich erziehen und bevormunden. Man ärgert sich zum Beispiel darüber, dass man "Indianer" oder "Zigeunerschnitzel" nicht mehr sagen darf, weil es Minderheiten gegenüber abwertend klinge. Oder übers Gendern.
Ist Gendern eine Gefahr für die Demokratie?
Für viele Menschen gilt die gendergerechte Sprache als übertrieben und schlimmer noch - als "Vergewaltigung der deutschen Sprache". Man zieht das Gendersternchen ins Lächerliche, indem über Staubsauger*innen und Bürger*innensteige gewitzelt wird. Dabei verliert man schon mal aus den Augen, dass es nur darum geht, Menschen, die sich weder als Frau noch als Mann fühlen, sichtbar zu machen und andere mit seiner Sprache nicht zu verletzen.
Im Juni 2023 äußerte sich der zukünftige Bundeskanzler Friedrich Merz von der konservativen christdemokratischen Partei CDU auf der Plattform X zum Thema. Mit einer gendergerechten Sprache, postete er, treibe man die Menschen in Deutschland in die Arme der rechtspopulistische und in Teilen rechtsextremistische Partei "Alternative für Deutschland" (AfD):
In den letzten Jahren wurden in Deutschland Bücher zu Bestsellern, die die Wokeness nicht nur kritisch, sondern als "Gefahr für die Demokratie betrachten". Die Ethnologin Susanne Schröter etwa schreibt in ihrem Buch "Der neue Kulturkampf. Wie eine woke Linke Wissenschaft, Kultur und Gesellschaft bedroht" (2023) unter anderem von "Gesinnungsterror" und einem "schleichenden Aufbau eines neuen Überwachungsstaates".
Woke Linke als Feindbild
Solche Bücher befeuern natürlich das Feindbild "woke Linke", und deren Autoren rennen damit auch in großen Teilen der Gesellschaft offene Türen ein, wie Esther Bockwyt beobachtet hat: "Ich glaube schon, dass es eine echte Ablehnungshaltung ist. Natürlich kann man die Kritik daran auch überzeichnen und besonders radikal formulieren und Feindbilder suchen. Aber es ist auch nicht schwer, Feindbilder zu finden, weil es bei vielen Menschen weit über den rechten Rand hinaus Ablehnung erzeugt. Deswegen ist es auch ein dankbares Feindbild."
Gerne werden dann Beispiele herangezogen, die den woken Gedanken quasi pervertieren. Der österreichische Neurowissenschaftler und Psychiater Raphael Bonelli bemüht auf seinem Youtube-Kanal ein Video, dessen Quelle er nicht benennen kann. Darin beschuldigt in offensichtlich übertrieben woker junger Mann seinen Gesprächspartner, intolerant und ein Nazi zu sein, weil dieser eine heterosexuelle Beziehung mit einer Frau führt, die weder schwarz noch transgender ist. Er müsse auch mit Männern schlafen, sonst diskriminiere er sie. Damit will Bonelli herausarbeiten, dass die wahren Intoleranten die woken Menschen sind.
Die Diskussionen um dieses Thema werden die westlichen Gesellschaften noch lange beschäftigen. Das Bewusstsein für sensibleren Umgang mit Minderheiten ist trotz aller Kritik aus dem rechten konservativen Lager da und wird auch mit Verboten nicht mehr aus der Welt zu schaffen sein. Esther Bockwyt beschwört den Mittelweg. "Ich glaube, es ist hilfreich, sich nicht ganz auf dieses Schwarzweiß-Bild einzulassen, dass man nicht pauschal sagt: Alles, was anti-woke ist, ist rechts, und was woke ist, ist gut, sondern dass man versucht, da eine Differenzierung hinzukriegen."