Wohin steuert Kosovo?
10. Juni 2003Köln, 10.6.2003, DW-radio / Albanisch
Vor vier Jahren - am 10. Juni 1999 - konnte der Kosovo-Konflikt beigelegt werden, nachdem der damalige jugoslawische Präsident Slobodan Milosevic eingelenkt hatte. Seitdem steht die ehemalige südserbische Provinz unter UN-Verwaltung.
"Die Reise geht nach Europa" - Wer möchte an dieser Zukunftsvision für Kosovo etwas aussetzen? Sie ist Michael Steiners Antwort auf die Frage: Quo vadis (= lat.: wohin geht) Kosovo? Doch so schön die Worte, so wenig greifbar scheint den Menschen vor Ort diese Perspektive. Vier Jahre nach Kriegsende ist im Kosovo zweifellos viel erreicht. Doch ebenso viel bleibt unklar, weil eine - die zentrale Frage - nicht gelöst ist: Was wird aus dem Gebiet eines Tages, wenn es nicht mehr unter UN-Hoheit stehen wird? Immer drängender fordern die Beteiligten eine klare Perspektive. Denn Kosovos paradoxer Sonderfall, Entität ohne Status zu sein, entwickelt sich immer mehr zum Hindernis - gerade auf diesem gewünschten und notwendigen Weg nach Europa.
Vor vier Jahren wurde der Krieg beendet. Der 10. Juni steht für einen Neu-Anfang aus dem Nichts: Das Abkommen von Kumanovo und die Resolution des Weltsicherheitsrats 1244 sind die Koordinaten, auf denen der Friede in der Region wiederhergestellt werden konnte.
Im Kosovo haben die UN-Verwaltung und die Militärpräsenz KFOR in vier Jahren enorm viel bewirkt: zunächst einmal in der Flüchtlingsrückkehr und im Wiederaufbau, dann im Aufbau der Institutionen. Gut eineinhalb Jahre lang war mit dem Deutschen Michael Steiner ein Mann an der Spitze der UN-Verwaltung, der klare Leitlinien für Kosovo entwickelt und verfolgt hat. Sein Konzept nannte er "Standards vor Status": Zuerst müssen rechtsstaatliche und demokratische Standards erreicht werden, erst danach kann man darüber reden, welchen Status Kosovo haben soll - so Steiners Grundsatz. Damit ist er bei der Bevölkerung nicht immer auf Gegenliebe gestoßen, doch er hat mit Beharrlichkeit gegenüber den lokalen Strukturen ebenso wie gegenüber Belgrad diesen Prozess vorangebracht. Sein Nachfolger wird es nicht leicht haben, zumal der Druck auf die UN-Verwaltung vor Ort spürbar wächst, schneller und mehr Kompetenzen an die kosovarischen Strukturen zu übertragen.
Steiners Erfolge sind offen sichtbar: Es gibt heute eine funktionierende Polizei, die aus internationalen Beamten und Mitgliedern aller Ethnien im Kosovo besteht. Es hat ein demokratisch gewähltes Parlament und eine Regierung. Längst ist in vielen Orten Normalität eingekehrt. Die Schulen funktionieren, die Verwaltung läuft.
Doch neben allen Erfolgen gibt es nach wie vor Probleme: Korruption und Schattenwirtschaft blühen. Noch immer ist der Ausgleich zwischen den Volksgruppen, vor allem zwischen Albanern und Serben, völlig unbefriedigend, leben die Menschen in Parallel-Gesellschaften nebeneinander her. Die ethnische Gewalt ist rückläufig, aber noch immer eine Gefahr, die das Leben besonders der Minderheiten dauerhaft gefährdet. Das hat auch wieder der jüngste Mord an drei Serben gezeigt.
Und trotz Steiners Leitsatz "Standards vor Status" - die Frage über die Zukunft Kosovos wird gestellt. Je nach ethnischer Zugehörigkeit existieren weiterhin völlig konträre Konzepte.
Auch wenn die internationalen Strukturen sicher noch für viele Jahre im Kosovo bleiben werden, muss doch ein geordneter Übergang bald und aktiv eingeleitet werden. Die internationale Gemeinschaft steht in der Verantwortung, eine selbst-tragende Ordnung zu etablieren.
In der Verantwortung stehen aber auch die Kosovaren: Wer Selbstbestimmung fordert, muss verantwortungsbewusstes Handeln zum Wohle aller unter Beweis stellen. Nur wenn die kosovarische Verwaltung mit den internationalen Strukturen gut zusammen arbeitet, können die von Steiner definierten "Standards" erreicht und durchgesetzt werden.
Vier Jahre nach dem Krieg ist auch die Zeit reif für einen Dialog mit Belgrad. Schon bald nach dem EU-Gipfel von Thessaloniki sollen erste Gespräche zwischen beiden Seiten beginnen. Auch wenn der politische Status in diesen Gesprächen nicht gelöst werden kann und wird, ist der direkte Dialog doch wegweisend für einen Entspannungsprozess.
Im nächsten Jahr soll schließlich die Status-Frage konkret angegangenen werden - wobei es allerdings keine Rückkehr zum alten Status geben wird. Gerade vor dem Hintergrund der europäischen Erweiterung nach Südosteuropa muss auch Kosovo ein definiertes Mitglied in der Region sein. Ein Mitglied mit Pflichten und Chancen. Kosovo darf kein schwarzer Fleck bleiben. Eine Isolation Kosovos im europäischen Integrationsprozess würde der gesamten Region schaden. Denn dann bestünde die Gefahr, dass Kosovo ein dauerhafter Unruheherd bliebe. Eine klare Perspektive und ein klares Konzept für die Lösung der Kosovo-Frage sollte im Interesse aller liegen, die ein stabiles gemeinsames Europa anstreben. (fp)