Wirtschaftswarntag: Unternehmen schlagen Alarm
Veröffentlicht 27. Januar 2025Zuletzt aktualisiert 29. Januar 2025Niedrigere Energiekosten, weniger Steuern, mehr finanzielle Anreize für Investitionen, ein flexibleres Arbeitsrecht, ein Stoppschild bei den Sozialabgaben und vor allem weniger Bürokratie - das fordert die Wirtschaft von der künftigen Bundesregierung. "Die Wirtschaft schrumpft. Die Arbeitslosigkeit steigt. Der Standort Deutschland hat für Investoren an Attraktivität verloren", so fasste Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger die Lage auf dem letzten Arbeitgebertag Ende Oktober 2024 zusammen.
Gut ausgebildete Fachkräfte würden immer knapper. Regulierung und Bürokratie hätten in den vergangenen Jahren genauso zugenommen wie die Arbeitskosten und andere Belastungen für die Unternehmen, wetterte Dulger. "Ein Investitionsstandort muss umso besser sein, je teurer er ist. Das ist in Deutschland nicht mehr gegeben." Das Land sei im weltweiten Vergleich nicht mehr wettbewerbsfähig.
Die Rolle der Industrie in Deutschland
Die Wirtschaftskraft des Landes fußt zu mehr als einem Viertel auf der Industrie. Nach zwei Jahren in der Rezession rechnet der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) vor, dass die Produktion in den Betrieben inzwischen deutlich niedriger als noch vor fünf Jahren sei. Ähnlich negativ präsentieren sich auch andere Bereiche. Überall im Land wird weniger produziert und gebaut, weniger gekauft, weniger konsumiert.
Im aktuellen Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung wird für 2025 nur ein Mini-Wachstum von 0,3 Prozent erwartet. Die Wirtschaftswissenschaftlerinnen und Wirtschaftswissenschaftler, die in einem Sachverständigenrat die Bundesregierung beraten, stellen in ihrem aktuellen Jahresgutachten einen anhaltenden Abschwung fest, der sich quer durch alle Branchen und Bereiche zieht. Besonders gravierend: Immer weniger deutsche Produkte finden den Weg ins Ausland.
Deutschland war lange Exportweltmeister
Über Jahrzehnte gründete das deutsche Geschäftsmodell auf einer einfachen Formel: Rohstoffe und Einzelteile wurden im Ausland preiswert eingekauft und mit deutscher Ingenieurskunst und billiger Energie zu begehrter Technik "Made in Germany" veredelt.
Der russische Überfall auf die Ukraine, die Energiekrise, die Inflation und der forcierte Umbau hin zu einer klimaneutralen Wirtschaft ließen die Energiepreise steigen. Belastet sind vor allem energieintensive Betriebe. "Wichtige Wirtschaftsbereiche wie der Maschinenbau und elektrische Ausrüstungen gaben besonders nach, während sich die chemische Industrie nach den starken Rückgängen des Jahres 2023 auf niedrigem Niveau stabilisiert hat", schreibt der Sachverständigenrat.
Unternehmen wandern ins Ausland ab
Die Wirtschaft fordert eine deutliche Senkung der Strompreise, um wieder wettbewerbsfähiger zu sein. Ganz oben auf dem Wunschzettel steht aber auch, Bürokratiekosten zu senken. Das Münchner Ifo-Institut spricht von 65 Milliarden Euro pro Jahr, die Unternehmen aufbringen müssen, um vor allem Berichts- und Dokumentationspflichten zu erfüllen oder Planungs- und Genehmigungsverfahren zu durchlaufen.
Die Stimmung in den Unternehmen ist schlecht, die Unsicherheit über die wirtschaftliche Entwicklung groß. Statt im eigenen Land zu investieren, suchen Unternehmen attraktivere Standorte. In einer Umfrage des BDI gab rund ein Drittel der Unternehmen an, Forschungs- und Entwicklungsbereiche bereits ins Ausland verlagert zu haben. BDI-Präsident Peter Leibinger warnte, diese Abwanderung bedrohe den Wirtschaftsstandort Deutschland "im Kern".
Wirtschaftswarntag am 29. Januar
Ein Bündnis aus rund 100 Wirtschafts- und Lobbyverbänden fordert von der nächsten Bundesregierung nicht weniger als einen Richtungswechsel in der Wirtschaftspolitik. Für den 29. Januar riefen sie zu einem bundesweiten Aktionstag auf. Im ganzen Land sollten Unternehmen auf ihre Probleme und Forderungen hinweisen, am Brandenburger Tor in Berlin fand eine zentrale Kundgebung statt.
Die Wirtschaft sende mit der Aktion ein "S.O.S." an die Politik, so die Organisatoren. "Die Lage ist ernst. Wir stehen an einem wirtschaftlichen Kipppunkt und verlieren so massiv an wirtschaftlicher Substanz wie nie zuvor", heißt es in einem "Weckruf für die Politik" auf einer eigens eingerichteten gemeinsamen Webseite. Die Wahl am 23. Februar sei eine "Schicksalswahl", heißt es von Seiten der Organisatoren.
Wohnen und Arbeiten auf dem Land attraktiver machen
In einem Brandbrief an die Chefs der Bundestagsparteien fordern Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger sowie die Chefs von vier weiteren großen Verbänden die Politik zudem auf, nach der Wahl verstärkt die ländlichen Räume für Unternehmen zu fördern. Erforderlich seien unter anderem eine flächendeckende und angemessene Ausstattung bei Digital-, Verkehrs- und Energieinfrastruktur, im Wohnungswesen, bei Gesundheits- und Mobilitätsangeboten, in der schulischen und beruflichen Bildung, bei Kultur- und Sozialeinrichtungen.
In Meinungsumfragen sind Wirtschaft und Migration die beiden wichtigsten Themen für die Bürger. Danach gefragt, welche Partei bei der Lösung der Probleme die meisten Kompetenzen zugeschrieben werden, werden die Unionsparteien CDU und CSU am häufigsten genannt. Die Union mit ihrem Kanzlerkandidaten Friedrich Merz liegt auch in den Wahlumfragen vorne.
Allerdings wird sie auf Koalitionspartner angewiesen sein. Wahrscheinlich sind das die SPD oder die Grünen, die nach dem Bruch der Ampel-Koalition jetzt noch eine Minderheitsregierung bilden. Wichtig bei Koalitionsgesprächen werden nicht nur parteipolitische Überzeugungen sein. Eine große Rolle spielen äußere Einflüsse, insbesondere die globalen Veränderungen nach dem erneuten Amtsantritt von US-Präsident Donald Trump.
Wie geht es weiter in den USA?
In deutschen Unternehmen blickt man sorgenvoll über den Atlantik. Die Vereinigten Staaten waren 2024 zum ersten Mal seit zehn Jahren wieder der wichtigste Handelspartner Deutschlands: Rund zehn Prozent der Exporte gingen in die USA.
Viele deutsche Firmen erwarten negative Auswirkungen im internationalen Wettbewerb, weil Trump den Handel kontrollieren und Einfuhrzölle erheben will. Das geht aus einer Umfrage des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) unter mehr als 2000 Unternehmen hervor. Vor allem für die Pharmabranche, aber auch für die Maschinen- und Autobauer ist der US-Markt von zentraler Bedeutung.
Deutschland verkauft mehr Waren in die USA, als von dort eingekauft werden. Genau das ist Trump ein Dorn im Auge, er will die teilweise beträchtlichen deutschen Handelsüberschüsse senken und lockt deutsche Unternehmen, sie sollten mehr in den USA produzieren.
Investitionsprämien und ein Deutschlandfonds
Für die künftige Bundesregierung erhöht das den Druck, den Standort Deutschland wieder attraktiver zu machen. CDU/CSU versprechen eine Senkung der Unternehmenssteuer auf maximal 25 Prozent und wollen auch die Energiekosten deutlich mindern. SPD und Grüne schlagen Investitionsprämien vor. Wer in Deutschland investiere, müsse dafür belohnt werden. Dringend nötig sei zudem, die Infrastruktur im Land zu sanieren und zu modernisieren.
Das alles wird viel Geld kosten und genau da liegt der Haken. Die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse schreibt vor, dass der Staat nur so viel Geld ausgeben darf, wie er einnimmt. Die künftige Bundesregierung wird sich etwas einfallen lassen müssen, um damit umzugehen. Die Schuldenbremse abzuschaffen steht nicht zur Debatte. Wahrscheinlicher ist eine Reform, um Investitionen in den Wirtschaftsstandort Deutschland auch mit Krediten finanzieren zu können.
Der Artikel wurde am 27. Januar 2025 erstmals veröffentlicht und am 29. Januar aktualisiert.