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"Timestamp": ein Film über ukrainische Schulen im Krieg

Elizabeth Grenier
28. Februar 2025

Der ukrainische Dokumentarfilm "Timestamp" zeigt, wie Kinder trotz des Krieges weiter lernen.

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Kleines Mädchen im Klassenraum
"Timestamp" - ein ungewöhnlicher Kriegsfilm von Kateryna Hornostaj Bild: Oleksandr Roshchyn

Auf den ersten Blick sehen sie aus wie ganz normale Grundschulkinder, die gerade ihre ersten englischen Worte lernen. Bilder von Alltagsgegenständen flimmern über den Bildschirm: "ball!", "doll!" - kreischen die Kinder.

Doch dann fügt die Lehrerin eine Aufgabe hinzu: Die Kinder sollen jedes Mal, wenn sie das Bild eines Spielzeugs erkennen, das mit einer Bombe oder einer Mine versehen ist, das Wort "Danger!" ("Gefahr!") rufen.

Das ist mehr als nur ein Spiel: Um den Ukrainern zu schaden, haben russische Angreifer Munition, die bei Berührung explodiert, in vielen Gegenständen versteckt - sogar in Kinderspielzeug..

Die Szene aus dem Dokumentarfilm "Timestamp" (Originaltitel: "Strichka chasu") zeigt eindrucksvoll, mit welchen Methoden der Schulbetrieb in der Ukraine seit der russischen Invasion im Februar 2022 aufrechterhalten wird. Es war überhaupt der einzige Dokumentarfilm, der im Hauptwettbewerb der Berlinale 2025 lief.

Ein Film über Schule im Kriegsalltag

Die Regisseurin Kateryna Hornostaj (deutsche Schreibweise) führt die Auswirkungen des Krieges vor, ohne auch nur ein einziges Bild des Konflikts zu zeigen. Sie vermeidet in ihrem Werk auch Augenzeugenberichte und sonstige Kommentare.

Stattdessen zeigt die Dokumentarfilmerin eine Art Mosaik von Szenen. Sie alle entstanden in Klassenzimmern von Grund- und Oberschulen in der Ukraine. Untertitel auf dem Bildschirm markieren lediglich die geografische Lage und die Entfernung zur Frontlinie.

Unterricht findet an verschiedenen Orten statt, zum Teil auch online oder in U-Bahn-Stationen. Mal wurde die Turnhalle einer Schule bombardiert, aber der Rest des Gebäudes wird normal weiter genutzt. In anderen Fällen sind die Schulen noch intakt, aber die Luftschutzsirenen unterbrechen regelmäßig den Unterricht. Haben alle Schüler die Schutzräume erreicht, setzen die Lehrer ihren Unterricht fort - mit Liebe und Leidenschaft für das, was sie tun.

Kinder tanzen, verschwommen, im Hintergrund steht Mädchen und macht ein trauriges Gesicht
Schulkinder tanzen. Der ukrainische Komponist Alexey Schmurak schrieb den Soundtrack zum Dokumentarfilm "Timestamp" Bild: Oleksandr Roshchyn

Ein Kunstlehrer ermuntert die Kinder dazu, selbst in den schwierigsten Zeiten das Schöne zu sehen; der Geschichtslehrer stellt in seiner Lektion über Autoritarismus Modelle des ukrainischen Widerstands vor.

Über den regulären Lehrplan hinaus erwerben diese Kinder ganz nützliche Kenntnisse: die Mund-zu-Nase-Beatmung etwa, das Steuern einer Drohne oder den Umgang mit Schusswaffen. Den Schülern wird auch beigebracht, wie man eine Aderpresse anlegt. Ganz wichtig: beim Stoppen des Blutflusses einer verletzten Person muss unbedingt der Zeitpunkt des Anlegens markiert werden!

"Timestamp" nennt sich das, "Zeitstempel". Der Begriff, der dem Film seinen Titel gibt, meint auch die Tatsache, dass "Timestamp" einen einzigartigen Moment im Leben dieser jungen Menschen einfängt.

"Ich dachte: Es ist so cool, dass es uns gelungen ist, dieses Stück Realität zu dokumentieren, dass sie einen Film haben werden, in dem sie in einer bestimmten Zeit festgehalten werden, und zwar in einer so bedeutsamen Zeit", sagt Regisseurin Kateryna Hornostaj.

Junge Eltern mit einem Baby
Berlinale-Baby: Regisseurin Kateryna Hornostyj und ihr Mann Nikon Romanchenko, der auch an dem Film mitgearbeitet hatBild: Anna Savchuk/DW

Die Dreharbeiten begannen im April 2023 und endeten im Juni 2024. Der Erzählstrang des Films folgt grob dem Ablauf eines Schuljahres, einschließlich Ferien und Schulabschlussfeier.

In einer Schule führen die Absolventen vor ihren Verwandten eine Tanznummer auf, die sie über Monate geübt haben. In der Stadt Bakhmut - einem der Epizentren der Kämpfe seit Beginn des Krieges - veranstalten die Absolventen eine Online-Feier zum Abschluss ihrer Schulzeit.

Die Abschiedsrednerin hält eine bewegende Rede, die Hoffnung macht. Doch nicht nur ihre Worte, sondern auch die Tränen des Mädchens nach dem Ende der bittersüßen Zeremonie zeigen deutlich, welcher enormer psychischen Belastung diese Kinder wie alle Menschen im Kriegsgebiet ausgesetzt sind.

Die gezielte Zerstörung ukrainischer Schulen 

In den drei Jahren des russischen Krieges gegen die Ukraine wurden 12.605 Zivilisten getötet, so der aktuelle Bericht des Menschenrechtsrates der Vereinten Nationen, der am 11. Februar veröffentlicht wurde..

Im selben Bericht heißt es, dass seit dem 24. Februar 2022 mindestens 343 Bildungseinrichtungen zerstört und 1.319 beschädigt worden sind.

Die Produzentin des Films, Zoya Lytvyn, die auch Gründerin und Leiterin von "Osvitoria" ist, einer gemeinnützigen Organisation, die sich für die Entwicklung und Reform des Bildungswesens in der Ukraine einsetzt, erklärte auf der Berlinale, nur ein Drittel der ukrainischen Schulen sei derzeit physisch in Betrieb.

Ein weiteres Drittel funktioniert nur online: Der reguläre Schulbetrieb ist nicht möglich, da die Gebäude nicht über eigene Bunker verfügen oder zu nahe an der Frontlinie liegen. Das letzte Drittel der ukrainischen Bildungseinrichtungen nutzt eine Hybridlösung aus Fern- und Präsenzunterricht.

Eine Gruppe von Menschen mit ukrainischer Fahne vor dem Berlinale-Palast
Solidarität in Berlin: ukrainische Filmemacher bei der Berlinale 2025Bild: Ali Ghandtschi/Berlinale 2025

"Timestamp" ist eine Hommage an die Widerstandsfähigkeit der ukrainischen Gesellschaft und des Lehrpersonals, sagen die Filmemacher: "Beim Lernen geht es heute um so viel mehr als nur um Wissen. Es geht darum, die Kindheit zu bewahren und sichere Räume zu schaffen, in denen Kinder noch mit Gleichaltrigen in Kontakt treten können. Und ich würde sagen, die Rolle des Lehrers ist entscheidend. Wenn ein Lehrer mutig ist, können sich Kinder sicher fühlen und noch Hoffnung haben", sagte die Produzentin Zoya Lytvyn auf der Pressekonferenz der Berlinale.

Ein Ende des Krieges ist zwar noch nicht absehbar, aber bei der Berlinale gab es dennoch einen Lichtblick: Die Filmemacherin Kateryna Hornostaj hat zwei Tage vor der Premiere ihre Dokumentarfilms in Berlin ein Kind zur Welt gebracht. Ein weiterer Beweis dafür, dass sie und viele andere Ukrainer - der brutalen Realität zum Trotz - die Hoffnung auf bessere Zeiten nicht verlieren.

Aus dem Englischen adaptiert von Anastassia Boutsko.