Wie stabil ist die bulgarische Regierungskoalition?
4. Juni 2002Sofia, 4.6.2002, 1026 GMT, RADIO BULGARIEN, deutsch, Rumjana Zwetkowa
Es ist bald ein Jahr her als die Nationale Bewegung Simeon II. (NBS) und die Bewegung für Rechte und Freiheiten (Partei der bulgarischen Türken - MD) eine Regierungskoalition bildeten. Wie gut ist die Zusammenarbeit zwischen diesen zwei Parteien und gibt es Probleme, die zu einem Bruch zwischen den Koalitionspartnern führen könnten? (...)
Annährend ein Jahr nach der Bildung der Regierungskoalition musste der Vorsitzende der Bewegung für Rechte und Freiheiten (BRF), Ahmed Dogan, immer öfter durchblicken, dass die Risse in der Koalition bei weitem nicht so harmlos sind, und einige seiner Abgeordneten erklären ganz offen, dass ihnen die Zusammenarbeit mit der NBS schwer fällt. Der Politologe Antoni Todorow sagt dazu:
"In letzter Zeit begann man von einer Krise in diesen Beziehungen und von dem kritischen Ton zu sprechen, den die Vertreter der Bewegung für Rechte und Freiheiten gegenüber der Regierungsarbeit anschlagen. Meiner Meinung nach können die Beziehungen zwischen den beiden Parteien aber als ausreichend stabil bezeichnen werden. Warum ist das so? Erstens, weil noch sehr wenig Zeit vergangen ist seit dem Wahlsieg der Nationalen Bewegung Simeon II. und der Koalitionsgründung, in der die Bewegung für Rechte und Freiheiten zum ersten Mal ein gleichberechtigter politischer Partner ist. Die Bewegung für Rechte und Freiheiten hat eine politische Vereinbarung mit der Nationalen Bewegung Simeon II. unterzeichnet. Die BRF stellt einen Vizepremier, Minister und stellvertretende Minister. Vor diesem Hintergrund darf die Partei in ihrer Kritik an der Regierung nicht sehr weit gehen, ohne ihre eigene Beteiligung daran in Frage zu stellen. Ich glaube, dass es bisher keine ernsthaften Gründe gibt, auf eine Unzufriedenheit der BRF mit ihre Regierungsbeteiligung zu schließen. Sie wird meiner Meinung nach auch in den kommenden Jahren in der Koalition bleiben, wenn nicht Dramatisches geschieht", so der Politologe Antoni Todorow.
Ihm zufolge ist die Bewegung für rechte und Freiheiten wirklich gleichberechtigter Partner der Nationalen Bewegung Simeon II. im Kabinett. Es sieht so aus, als ob die wichtigsten Entscheidungen im engen Kreis der Führungspersönlichkeiten aus der NBS getroffen werden, ohne das der kleine Koalitionspartner groß dabei mitreden kann. Doch die scharfen Reaktionen seitens dieser Partei haben auch zur einer großen Diskussionskultur innerhalb der Koalition geführt, und die Partei von Simeon von Sachsen, Coburg und Gotha führt meistens Beratungen mit ihren Partnern zu den wichtigsten Fragen durch, sagt Antoni Todorow weiter.
In den Medien fanden jedoch die starken Gegensätze der Koalitionspartner zur Privatisierung des Zigarettenherstellers Bulgartabak einen großen Widerhall. Es gab sogar Stimmen, die behaupteten, dass man das Unternehmen an einem ungeeigneten Investor verkauft wird und bis zu einer Stagnation in der Branche sowie Regierungskrise kommen würde. Doch der BRF-Vorsitzende Ahmed Dogan hat selbst eine solche Möglichkeit ausgeschlossen. Könnte die Privatisierung der Bulgartabak aber trotzdem zum Stolperstein für die Regierung werden? Dazu wieder der Politologe Antoni Todorow:
"Ist allgemein bekannt, dass der wichtigste Broterwerb eines großteils der bulgarischen Türken der Tabakanbau ist", sagte er. "Es gibt ganze Regionen in Bulgarien, die überwiegend von ethnischen Türken besiedelt sind, und dort hat die Bewegung für Rechte und Freiheiten traditionell starke Unterstützung. Offensichtlich wird sich das Problem mit der Privatisierung von Bulgartabak, das Problem mit der Monopolstellung in der Branche also, auf die Zigarettenherstellung, auf den Alltag und auf die Zukunftsaussichten der Wähler der Bewegung auswirken. Daher meinen wir, dass auf die Partei der bulgarischen Türken schwierige Zeiten zukommen. Wir erleben die Reaktionen des Parteivorstandes auf die Privatisierungsabsichten der Regierung. Dennoch glaube ich nicht, dass diese Probleme zu einer Koalitionskrise führen werden. Dafür gibt es viele Gründe: Zum einem weiß die regierende Nationale Bewegung Simeon II. sehr wohl, dass sie ohne die Bewegung für Rechte und Freiheiten keine parlamentarische Mehrheit haben kann. Deshalb ist es kaum zu erwarten, dass sie sich zum jetzigen Zeitpunkt vom Koalitionspartner trennt. Außerdem stelle ich mir vor, dass die Privatisierung von Bulgartabak, soweit es geht, mit der Bewegung für Rechte und Freiheiten abgestimmt wird. Zum zweiten ist meiner Ansicht nach die Partei von Ahmed Dogan nicht bereit, ausgerechnet jetzt, wenn kein Interesse an vorgezogenen Wahlen besteht, eine Regierungskrise vorherzurufen, selbst wenn es um Bulgartabak geht. Das bedeutet, dass die Tabakbranche für die Bewegung für Rechte und Freiheiten zwar richtig ist, jedoch nicht so sehr, dass die Regierungskoalition deswegen in Frage gestellt wird. Sollte sich also in den kommenden zwei bis drei Jahren nicht Grundlegendes verändern, sehe ich keine Gefahren für die regierende Koalition zwischen der Nationalen Bewegung Simeon II. und der Bewegung für Rechte und Freiheiten", sagte abschließend der Politologe Antoni Todorow. (fp)