Wie Kriegs-Influencer zu Gewalt in Somalia anstacheln
5. Juli 2025Manchmal erreichen Ayub Abdirizaks TikTok-Videos und Facebook-Posts Hunderttausende Menschen. Dabei schürt Abdirizak, den seine Follower als "Kabtan Ayub" kennen, unverhohlen Hass und Gewalt gegen rivalisierende somalische Clans.
Ayub Abdirizak kam 2017 nach Deutschland. Hier lebte er sieben Jahre, während er seine Social-Media-Karriere immer weiter ausbaute. Den deutschen Behörden blieben seine Aktivitäten lange verborgen.
"Greift zu den Waffen und kämpft", fordert Abdirizak in einem Video, das er Ende 2022 veröffentlichte. Darin rät er seinen Followern hohe Gebäude zu erklimmen, um Feinde aus der Ferne zu erspähen. "Erschießt jeden Uniformierten”, fordert er. Und auch Zivilisten nimmt er ins Visier. “Wer Euch nicht in sein Haus lässt, wird erschossen, jagt ihm ein Loch direkt ins Gesicht.”
Wie das Investigativteam der DW nun gemeinsam mit ARD Kontraste herausgefunden hat, sind deutsche Behörden inzwischen auf Abdirizaks Gewaltaufrufe aufmerksam geworden. Wir haben seine Spur verfolgt und recherchiert, wie er seine Follower zu Hass und Gewalt aufstachelt. Und Ayub ist nicht allein. Mindestens ein weiterer Influencer schürt von Deutschland aus den Konflikt in Somalia.
Ein Leben voller Gewalt
Seit Jahrzehnten wird Somalia von bewaffneten Konflikten und politischer Instabilität erschüttert. Seit über zehn Jahren kämpft die Regierung nun schon gegen die islamische Al-Shabaab-Miliz. Bemühungen, das Land zu einen, werden immer wieder durch tief verwurzelte Konflikte rivalisierender Clans erschwert. In dieser Situation streben mehrere Gebiete Somalias nach mehr Autonomie oder vollständiger Unabhängigkeit.
Ayub Abdirizaks Lebensweg ist eng mit der Rivalität zweier Regionen im Norden Somalias verwoben, die immer wieder gewaltsam eskaliert. Die autonome Region Puntland wird von Präsident Said Abdullahi Deni vom Majerteen-Clan regiert, ihn unterstützt Abdirizak in seinen Videos. Das benachbarte Somaliland erklärte 1991 seine Unabhängigkeit, doch die selbsternannte Republik wird von kaum einem Land der Welt anerkannt. An der Grenze zwischen Puntland und Somaliland kommt es immer wieder zu Gewalt.
Im Netz schildert Abdirizak stolz Gewaltexzesse aus seiner somalischen Jugendzeit. "Ich habe meine Familie verlassen, als ich 13 Jahre alt war, und zur Waffe gegriffen", erzählt Abdirizak, der heute Ende 30 ist, in einem YouTube-Video. Als einstiger "Clan-Kämpfer" habe er an mehr als 30 Schlachten teilgenommen.
Aus mehreren Quellen, darunter ein Informant aus dem Umfeld der aktuellen Regierung Puntlands, haben wir erfahren, dass Abdirizak offenbar früher Pirat war. Er soll während der Hochphase somalischer Piraterie am Horn von Afrika an Schiffsentführungen, Geiselnahmen und Lösegelderpressungen beteiligt gewesen sein. Zwei Besatzungsmitglieder eines Schiffs, das zwischen März 2010 bis Dezember 2012 von Somaliern gekapert wurde, berichten von einem Piraten namens Ayub. Sie schildern ihn als groß und schlank und erinnern sich an seine auffällig sonore Stimme.
Leben in Deutschland
Wie ARD und DW aus sicherer Quelle erfuhren, stellte Abdirizak 2020 einen Asylantrag in Deutschland - drei Jahre nach seiner Einreise. Der Antrag wurde abgelehnt, doch Abdirizak konnte mit einer Duldung im Land bleiben.
Auf Facebook gibt Abdirizak Hamburg als Wohnort an. Mehrere kurze TikTok-Videos, die er 2022 veröffentlichte, zeigen ihn gemeinsam mit Freunden in der Hafenstadt oder anderswo in Norddeutschland.
Doch bald darauf zog es ihn nach Somalia zurück.
Im Februar 2023 brachen in Las Anod Unruhen aus, der Hauptstadt der Region Sool. Somaliland betrachtet die Region als Teil seines Staatsgebiets, doch der vorherrschende Clan der Dhulbahantes möchte sich von Somaliland lösen. Unterstützt wird er von der Regierung des benachbarten Puntland - jener Regierung, der Abdirizak nahesteht. Hunderte wurden bei den Auseinandersetzungen getötet, Hunderttausende vertrieben.
Als geduldeter Ausländer hätte Abdirizak eigentlich nicht frei reisen dürfen. Doch im November 2023 taucht er offenbar in Somalia auf. Ein Video zeigt, wie er er von Anhängern begrüßt und bejubelt wurde. Und in einem weiteren Video, gepostet am 10. November 2023 auf einem seiner Kanäle, sieht man ihn mit Kämpfern auf einem Militärfahrzeug sitzen und eine russische Flugabwehrrakete abfeuern.
Recherchen von ARD und DW zeigen, dass Abdirizak während seines Deutschlandaufenthalts mindestens einmal aus- und wieder eingereist ist. Das letzte Video, das ihn in Deutschland zeigt, wurde im Juli 2024 auf seinen TikTok-Kanal hochgeladen. Darin ist zu sehen, wie er in Tarnkleidung am Rathaus von Neubrandenburg in Mecklenburg-Vorpommern vorbeiläuft.
Später im selben Jahr verließ Abdirizak Deutschland erneut und kehrte nach Somalia zurück. DW und ARD fanden Belege, dass er sich der puntländischen Armee anschloss.
Ein weiterer Hass-Influencer
Auch Yacqwub Siyaad lebt in Deutschland und verbreitet von hier aus Hass im Netz. Er hat 500.000 Facebook-Follower und etwa 230.000 TikTok-Fans, die er unverhohlen zu Gewalt aufruft.
In mehreren Videos, die 2023 auf seinem Facebook-Kanal gepostet wurden, stachelt Siyaad seine Anhänger auf, ihre Gegner anzugreifen: "Beschießt sie Tag und Nacht, überrennt ihr Lager, schlagt ihnen die Köpfe ab", heißt es in einem.
Und in einem weiteren: "Diese Schweine gehören mir. Ich werde sie aus ihren Löchern treiben und auf ihren Leichen tanzen." Er fordert seine Fans auf, "in den Krieg zu ziehen" und "den Feind abzuschlachten". Verwundet oder gar getötet zu werden bezeichnet er als "Glück."
Siyaad verbreitetet auch homophobe Hetze. In einem Video fordert er: "Tötet diese Kreaturen. Entfernt sie aus der Gesellschaft. Peitscht sie aus."
Nach Recherchen von DW und ARD wohnt Siyaad nahe Düsseldorf. Die deutsche Gesellschaft lehnt er dagegen ab, wie er in einem TikTok-Video deutlich macht. Er lebe "unter Ungläubigen im Land der Ungläubigen".
Wie auch Abdirizak reiste Siyaad von Deutschland aus mindestens einmal nach Somalia. Einige Monate nach dem Ausbruch der Auseinandersetzungen in Las Anod tauchte er im Sommer 2023 in Nordsomalia auf. Ein Foto auf seinem Facebook-Account vom August 2023 zeigt ihn im Kampfanzug mit einem AK-47-Sturmgewehr. In einem Videoclip trifft er eine Gruppe von Kämpfern, offenbar in einem der Wüstengebiete der Region.
Derzeit lebt Siyaad wieder in Deutschland. Dass er bald nach Somalia zurückkehrt ist wohl eher unwahrscheinlich. Er würde wohl riskieren, bei Ankunft verhaftet zu werden. Denn im Januar 2025 verurteilte ihn ein Militärgericht in Puntland in Abwesenheit zu zehn Jahren Haft wegen der Verbreitung von Desinformationen auf seinem YouTube-Kanal. Die genaueren Umstände des Urteils sind unklar.
Der "Informationskrieg" der Influencer
Influencer aus dem Ausland hätten einen "sehr destruktiven" und "großen" Einfluss auf die Situation, sagt Moustafa Ahmad, ein Experte für Sicherheitspolitik aus Somaliland. Er beschreibt ihre Aktivitäten als "Informationskrieg".
Neben der Verbreitung von Hassbotschaften nutzt Siyaad seine Social-Media-Kanäle, um Geld innerhalb der somalischen Diaspora zu sammeln. Er ruft seine weiblichen Anhänger auf, "ihr Gold zu verkaufen und das Geld zu spenden".
Laut Jamal Osman, einem somalischen Journalisten, der für internationale Medien arbeitet, können Kriegs-Influencer innerhalb einer Stunde Zehntausende Euro eintreiben, die dann "oft zum Kauf von Waffen verwendet werden".
Ayub Abdirizak beschreibt Osman als Charismatiker. "Er weiß, welche Knöpfe er drücken muss, damit die Leute aktiv werden."
Gut vernetzt in Deutschland
Die Kriegs-Influencer sind in Deutschlands somalischer Community durchaus bekannt. Ein Somalier, der die Aktivitäten von Abdirizak und Siyaad schon lange verfolgt, sagt, die beiden könnten posten, was sie wollten, ohne Angst vor Behörden haben zu müssen. Der Grund dafür sei einfach: "Kaum jemand hier spricht Somali." Und wer sie verstehe, würde sie wohl kaum melden. "Denn die meisten Menschen haben Angst vor ihnen."
Und mehr noch: In der somalischen Diaspora zeigt sich mancher gern mit den beiden. Denn ihre Bekanntheit garantiert Aufmerksamkeit.
So scheint beispielsweise "Kabtan Ayub" ein gutes Verhältnis zum Vorsitzenden des gemeinnützigen Vereins "Somalische-Europäische Kooperation e.V. (SEKO)" gepflegt zu haben. Mohamed Abdulahi lobt in einem Video, Abdirizak habe sehr zum Erfolg der Organisation beigetragen. "Ich ziehe den Hut vor dir, Kaptan Ayub. Vielen Dank." In einem anderen Clip von 2022 sitzt Abdulahi zwischen Abdirizak und Siyaad. Abdirizak bezeichnet er als "Vorbild" und preist seine "wichtige Rolle bei der Unterstützung des somalischen Volkes".
Konfrontiert mit Beispielen der Onlinehetze der beiden Influencer räumt Abdulahi ein, die Inhalte seien "brutal" und "nicht gut". Er selbst sei aber "nicht derjenige, der das verurteilen kann". Man müsse beachten, dass es im Kontext des Kriegs immer unterschiedliche Seiten und Perspektiven gebe. Mehrmals beteuert er, keines der Videos zu kennen.
Abdulahi bezeichnet Ayub als Freund. "Man kann einfach gut mit ihm zusammen arbeiten". Auf die Frage, ob er sich vorstellen könne, sie in Zukunft um Unterstützung zu bitten, antwortet Abdulahi ausweichend. Erst auf wiederholte Nachfrage räumt er ein, dass das nach diesen Videos "nicht gut" sei.
Enger Draht zum Präsidenten
Auch in Somalia blieb Abdirizak auf seinen Social-Media-Accounts aktiv. Er sei zurückgekehrt, "obwohl ich in Deutschland ein schönes Leben haben könnte. Meine Familie lebt in Deutschland, und wenn ich dort nicht arbeite, bekomme ich Sozialhilfe", sagt er in einem Video. In den vergangen Monaten postete er mehrere Fotos, die ihn in der Uniform der Armee von Puntland zeigen. "Ich schwöre, ich gebe Euch 20.000 Dollar, wenn ihr eine Miliz gründet", prahlt er in einem Video von April 2025.
Abdirizak scheint in der Region einen gewissen Einfluss zu haben. Bilder und Videos zeigen ihn mit dem Präsidenten von Puntland, Said Abdullahi Deni. Ein Clip, Anfang 2025 veröffentlicht, zeigt, wie der Präsident Abdirizak in einem Krankenhaus besucht.
Aufgrund seiner engen Verbindungen zur Regierung könne Abdirizak davon ausgehen, dass er "ungestraft Verbrechen begehen kann", sagt Journalist Jamal Osman. Wer mächtigen Clans angehöre oder über ausreichend finanzielle Mittel verfüge, müsse in der Regel keinerlei Konsequenzen fürchten. "Du kannst zehn Menschen töten und am nächsten Tag auf der Straße spazieren gehen. So funktioniert Somalia."
In Deutschland können Hassposts dagegen strafrechtlich verfolgt werden. Tatsächlich bestätigt ein Polizeisprecher Ermittlungen gegen Yacqwub Siyaad. "Hinsichtlich des Verdachts der Hetze ("Hate Speech") prüft der Staatsschutz der Düsseldorfer Polizei derzeit eine mögliche Strafbarkeit."
Auch Abdirizak könnte bald wieder ein Fall für die deutschen Behörden werden. Ein Video, das am Dienstag (02.07.2025) auf seinem TikTok-Account gepostet wurde, zeigt ihn wieder Europa. Zu sehen ist, wie er über eine französische Autobahn fährt. Dazu schreibt er: "Wir waren einige Zeit getrennt, Europa. Ist alles in Ordnung?"
Schriftliche Fragen von DW und ARD ließen Ayub Abdirizak und Yacqwub Siyaad unbeantwortet.
Redaktion: Mathias Bölinger
Faktchecking: Julia Bayer
Juristische Unterstützung: Florian Wagenknecht