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Wie helfen Steuern gegen Einweg-Verpackungsmüll?

Tim Schauenberg
25. Februar 2025

Die Stadt Tübingen besteuert Einwegverpackungen für take-out Essen, dagegen verlor der Weltkonzern McDonald's eine Klage. Was bringt so eine Steuer? Und wann akzeptieren Menschen umweltfreundliche Regeln?

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Zwei überfüllte Mülleimer hängen auf der Neckarbrücke in Tübingen Deutschland, oben drauf stehen Papierverpackungen von Takeout-Essen und ein Einweg-Getränkebecher
Pfandgeschirr hilft, Einwegverpackungen zu vermeiden Bild: ULMER Pressebildagentur/IMAGO

Ob Burgerbox, Plastikbesteck oder Kaffeebecher to go, seit 2022 kosten Wegwerfgeschirr und Einmal-Verpackungen zum Mitnehmen in Tübingen extra. Zwischen 25 Cent und 50 je Artikel, maximal 1,50 Euro je Bestellung werden für die Betriebe drauf geschlagen. Die geben diese Kosten allerdings oft an den Kunden weiter. Das Ziel der Kleinstadt im Südwesten Deutschlands: weniger Müll und die Förderung von Mehrwegalternativen. Eine solche verbindliche Regel gibt es anderswo in Deutschland bisher nicht. 

Dagegen hatte die Geschäftsführerin eines McDonald's Restaurants geklagt. Denn der Burger zum Mitnehmen kostet 50 Cent mehr, wenn man, wie die Fastfoodkette, keine Mehrwegverpackung verwendet. Die Verpackungssteuer auf lokaler Ebene sei nicht zulässig, so argumentierte das US-Unternehmen. Die Klage von McDonald's ging in mehreren Instanzen bis zum höchtsten deutschen Gericht, dem Bundesverfassungsgericht. Dieses hat nun für Tübingen entschieden: auch Städte dürfen solche Abgaben erheben.

Überfüllter Mülleimer mit leeren Bechern in der Altstadt
Dass Wegwerf-Becher in Tübingen mehr kosten ist rechtens - viele deutsche Städte planen jetzt auch eine Steuer nach Tübinger VorbildBild: Dnnis Duddek/Eibner/IMAGO

Das kleine Tübingen wehrt sich gegen den Weltkonzern McDonald's

Das Urteil sei ein Erfolg für die Umwelt sowie die Selbstverwaltung und die Sauberkeit in der Stadt, so Oberbürgermeister Boris Palmer. "Es war wirklich wichtig, dass das Verfassungsgericht hier McDonald's in die Schranken gewiesen hat."

Ein Coup für die Stadt Tübingen und Boris Palmer, der immer wieder mit unkonventionellen Vorstöße für Aufmerksamkeit sorgt. "Für McDonald's ist das halt lästig, dass man nicht mehr einfach alles in Wegwerfverpackungen machen kann und die Allgemeinheit zahlt dann dafür. Und die Ressourcenfrage spielt keine Rolle."

Laut Palmer bringt die Tübinger Mehrweg-Steuer der Stadt jedes Jahr rund eine Millionen Euro ein. Die Verursacher zahlten damit die Kosten für die Müllabfuhr von öffentlichen Behältern - rund 700.000 Euro, sagt er. 

Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer
Boris Palmer ist seit 2006 Oberbürgermeister der Stadt Tübingen und bundesweit für unkonventionelle Ideen bekanntBild: ULMER/imago images

McDonald's kritisiert das Urteil in einem Statement an die DW als zusätzliche finanzielle Belastung "sowohl für die bereits gebeutelte Gastronomiebranche als auch für die Menschen."

Die Steuer führe außerdem zu überbordender Bürokratie. "Insellösungen und kommunal individuelle Verpackungssteuern wie in Tübingen, sind insbesondere für landesweit tätige Unternehmen nicht darstellbar," heißt es weiter.

McDonald's wollte verhindern, dass andere das Tübinger-Modell nachmachen, so Palmer. Denn inzwischen sind viele Städte daran interessiert, eine ähnliche Verpackungs-Abgabe einzuführen. Laut einer Studie der Umweltorganisation NABU fallen in Deutschland jährlich 300.000 Tonnen Müll durch Einweggeschirr an.

Wie wirksam ist die Tübinger Mehrweg-Steuer?

Der Wirkung der Steuer ist gemischt. Einerseits ist das Angebot an Pfandbechern und wiederverwendbaren Essensbehältern deutlich gestiegen. Andererseits ist es nicht ganz klar, wie viel weniger Einwegverpackungen jetzt weggeworfen werden.

Pro Jahr landen in Tübingen etwa 440 Tonnen Abfall in öffentlichen Mülleimern. Nach Einführung der Steuer sind es laut der Studie der Universität Tübingen nicht signifikant weniger geworden.

"Mit Blick auf das Gewicht des Mülls in öffentlichen Abfalleimern hat die Steuer nichts bewirkt," so Stefan Moderau von der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Tübingen, der den Effekt der Steuer in seiner Doktorarbeit untersucht hat.

Doch das heißt nicht, dass die Steuer wirkungslos ist. Denn bisher wurde nur die Müllmenge betrachtet und abgewogen. Und die leichten Pappbecher oder Burger-Schalen haben einen sehr geringen Anteil am Gesamtgewicht des öffentlichen Mülls. Glas oder Metallabfälle sind dagegen viel schwerer, sie machen fast ein Drittel des Gesamtgewichts aus.

 "Für einen größeren Effekt der Verpackungssteuer müsste die Steuer auf mehrere Städte ausgeweitet und auf mehr Abfallsorten ausgeweitet werden," so Moderau. 99 Prozent der Verpackungen sind derzeit noch von der Steuer ausgenommen.

Oberbürgermeister Palmer hatte mit anderen Ergebnissen gerechnet, auch wenn sie im Nachhinein logisch seien. "Ein Döner-Papier, das macht halt, wenn sie es wiegen, wirklich keinen großen Unterschied," so Palmer. Genaue Aussagen zur Anzahl der weggeworfenen Einwegverpackungen macht die nicht. 

Gelbe Säcke bei Müllabfuhr vor Stadtkulisse
Ziel der Steuer ist es, die Stadt sauberer zu machen und Müll zu vermeiden - gebracht hat sie vor allem einen Boom bei Mehrwegbechern und CoBild: Arnulf Hettrich/IMAGO

Deutlicher Anstieg von Mehrwegalternativen

Klar ist jedoch: die Nutzung von Mehrwegangeboten ist seit der Steuer deutlich höher. "Was wir eindeutig sagen können ist, dass es einen erheblichen Anstieg des Angebots an Mehrwegalternativen gab. Hier ist Tübingen inzwischen die Nummer eins in Deutschland," so Moderau.

Schon in den drei Monaten vor der Einführung der Steuer führten 30 Tübinger Betriebe das Mehrwegsystem Recup für To-Go Kaffeebecher ein. Einen ähnlich starken Zuwachs gab es bei Restaurants, die Mehrweg-Essensschalen anbieten. Tübingen liegt jetzt bundesweit auf Platz eins bei der Zahl von Mehrwegrestaurants. Wer möchte, kann auch eigene Thermobecher oder Essensdosen mitzubringen und spart dabei.

Wie schafft man Akzeptanz für den Umweltschutz?

Während Maßnahmen zum Umwelt- und Klimaschutz bundesweit oft in der Kritik stehen, sei das in Tübingen anders, so Palmer. "Das hängt aber auch mit der Art der Steuer zusammen. Eine saubere Stadt wünschen sich die meisten Leute." Offizielle Daten zur Akzeptanz der Steuer oder Sauberkeit liegen der Redaktion nicht vor. 

Aus psychologischer Sicht könnte aber einiges dafür sprechen, dass die Zustimmung hoch ist. "Wenn wir sehen, dass nach der Einführung einer Steuer, wie z.B. einer Verpackungssteuer, weniger Abfall in der Umwelt oder im Stadtbild anfällt, sieht es einfach schöner aus und wir genießen unsere Umwelt mehr. Und das kann es den Leuten tatsächlich leichter machen, die Steuer zu akzeptieren," erklärt Ronja Gerdes, Expertin für Umweltpsychologie an der Universität Hohenheim.

"Die Menschen unterstützen Umweltpolitik vor allem dann, wenn der Umweltschutz für sie wichtig ist," so Gerdes weiter. 

Idyllischer Blick auf Tübingens Altstadt, im Vordergrund rudern Menschen auf einem Boot vor historischen Häusern
Idyllischer Blick auf Tübingens Altstadt. Umweltpolitik ist hier kein FremdwortBild: Arnulf Hettrich/imageBROKER/picture alliance

In Tübingen gibt es traditionell viel Zustimmung für Umweltschutz. Die Stadt hat ehrgeizige Klimaziele und in den vergangenen Jahre seine Emissionen deutlich schneller gesenkt als andere Kommunen. Auch wenn positive Effekte von Umweltschutzmaßnahmen von Bürgern unterschätzt werden könnten, warnt Gerdes "dass die politischen Entscheidungsträger darauf achten müssen, die Bürger nicht zu bevormunden."

Die Proteste der Gelbwestenbewegung in Frankreich, ausgelöst durch die Erhöhung der Mineralölsteuer in Frankreich, zeige deutlich, dass die Reaktion extrem negativ ausfallen könne, wenn eine Maßnahme die Menschen beispielsweise finanziell überfordere,  so die Psychologin. 

In einem Labor wird eine kleine grüne Pflanze in Reagenzglas befördert.
Dänemark fördert mit breiter Kampagne pflanzliche LebensmittelBild: TYLER JONES/UF/IFAS/PA/dpa/picture alliance

Wie Politik nachhaltiges Handeln fördern kann

Damit Klimapolitik wirkt und zu nachhaltigeren Verhaltensweisen der Bürgerinnen und Bürger führt, kommt es auch darauf an, wie neue Richtlinien praktisch umgesetzt werden. Dabei hilft es, wenn verschiedene Maßnahmen zusammen wirken.  

Zu diesem Schluss kommt eine Studie des Joint Research Center der Europäischen Kommission. Akzeptanz und eine Veränderung im Handeln könne laut den Autoren vor allem dort beobachtet werden, wo verschiedene Maßnahmen mit demselben Ziel eingesetzt werden. Dazu gehören sowohl finanzielle Anreize wie Subventionen oder Regulierung über Steuern, als auch Maßnahmen, die Vorurteile und soziale Normen einbeziehen.

Das macht beispielsweise Dänemark, wo es seit 2021 einen landesweiten Aktionsplan zur Förderung von pflanzlicher Ernährung gibt. 

Die dänische Regierung will damit erreichen, dass mehr pflanzliche Lebensmittel produziert und konsumiert werden und deren Export fördern. Dazu gibt es zahlreiche Maßnahmen: So werden etwa Köche umfassend geschult, das Schulessen soll mehr pflanzenbasierte Kost enthalten, außerdem soll das Thema auch Teil des Unterrichts werden. Zudem fördert man die Forschung. Dafür wurde ein Fonds mit 168 Millionen Euro geschaffen, viele Start-ups und Forschungseinrichtungen haben daraus bereits Gelder beantragt.

Auch in Tübingen wurden Firmen dabei unterstützt, die Verpackungssteuer umzusetzen und auf ein Mehrwegsystem umzustellen. Restaurants erhielten finanzielle Subventionen von insgesamt 100.000 Euro bei der Umstellung, zum Beispiel bei der Anschaffung von Spülmaschinen oder dem Kauf von Mehrweggeschirr und wiederverwendbaren Bechern.

Redaktion: Anke Rasper

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