Wie die weißrussischen Machthaber "die Viren der Demokratie" bekämpfen
22. August 2003Minsk, 20.8.2003, BELORUSSKAJA DELOWAJA GASETA, russ., J. Rabtschuk
Das, was in der letzten Zeit auf den Seiten der offiziellen Zeitungen stattfindet, kann mit einem Wort bezeichnet werden – Angriff. Die Machthaber haben beschlossen, mit den Händen unbekannter Journalisten die Gehirne der weißrussischen Leser anzugreifen, diese zu überzeugen, dass "sich das Leben in Weißrussland verbessert hat und lustiger geworden ist". Gebrauch wird von allem gemacht, sogar von an Lukaschenka gerichteten Leserbriefen dankbarer Russen für dessen Interview für die regionalen Medien.
Und wenn irgend wo irgend etwas nicht klappt, so sind daran die "unehrlichen" Journalisten und die Gegner des Präsidentenkurses schuld, die der Westen durch die Gründung verschiedener regierungsunabhängiger Fonds und Organisationen in die weißrussische Gesellschaft einschleust.
Das, zum Beispiel, schreibt über sie die Zeitung "Respublika" am 8. August im Artikel von Anton Andrejenko "Viren ‚der Demokratie‘". "Das, was diese Viren ‚der Demokratie‘ tun, liegt anscheinend am Rande des Gesetzes, ohne sichtbare Überschreitung dieser Grenze. Das jedoch nur äußerlich. In ihrer Arbeit ist etwas kriegerisches zu beobachten – aber es ist doch kein Krieg. Sie enthält sowohl etwas vom religiösen Sektierertum als auch von der Propaganda und von der wirtschaftlichen Diversion. Anscheinend stellt die Tätigkeit der nicht staatlichen ‚Maulwürfe‘ weder das erste noch das zweite oder dritte dar, aber der Gesamteffekt ist mörderisch."
Früher verabscheuten sogar staatliche Zeitungen Formulierungen aus der Zeit, als die Volksfeinde bekämpft wurden. Jetzt sind damit alle offiziellen Massenmedien voll. Die Namen der "Autoren" sagen meist niemandem etwas. Was könnte das bedeuten?
Aleksandr Fedutow,
Vorsitzender des Rates der gesellschaftlichen Vereinigung "Soziale Technologien":Es ist ganz offensichtlich, dass die Machthaber zur Arbeit mit Pseudonymen übergegangen sind. Hier gibt es einige Varianten. Erstens: die Machthaber sind nicht sicher, dass die bekannten Journalisten-Namen imstande sind, Interesse beim Leser hervorzurufen und diesen von etwas zu überzeugen. Zweitens: ganz offensichtlich wird das Material doch nicht von Journalisten, sondern von sogenannten Beratern, Technologen – nennen Sie sie, wie sie wollen – geschrieben. Das ist eine ganz offensichtliche Variante – die Machthaber müssen verheimlichen, dass Technologen am Werk sind. Deshalb lassen sie sich Journalisten einfallen, die es in Weißrussland nicht gibt. Drittens: es schreiben echte Journalisten. Da sie sich jedoch darüber klar sind, was sie tun und für wen sie arbeiten, so schämen sie sich. Deshalb verstecken sie sich hinter Pseudonymen. Tatsächlich ist das jedoch meiner Meinung nach die unwahrscheinlichste Variante. Aller Wahrscheinlichkeit nach haben wir es mit einer bezahlten Kampagne von Polittechnologen zu tun.
Frage:
Wieso wurde diese Kampagne eingeleitet?Antwort:
Es findet eine Säuberung des Informationsraumes statt. Ich werde mir nicht den Kopf darüber zerbrechen, ob Herr Proleskowskij im Amt des stellvertretenden Chefs der Präsidentenadministration gut oder schlecht ist. Offensichtlich ist jedoch eines: das, was derzeit stattfindet, wird von ihm geleitet. Er macht es so, wie es ihm in den Lehranstalten beigebracht wurde, die er absolviert hat. Das heißt, dass er nach dem klassischen Schema des Nationalen Sicherheitskomitees arbeitet. Ich bin der Meinung, dass derzeit eine Kampagne mit dem Ziel stattfindet, die Vollmachten des jetzigen Staatsoberhauptes zu verlängern. Dafür müssen alle diejenigen ruhig gestellt werden, die Zweifel haben, - das ist das traurige Schicksal von Herrn Wojtowitsch (ehemaliger Parlamentsvorsitzender – MD). Es müssen die nicht zuverlässigen Personen beseitigt werden, der zweifelnde Teil der Bevölkerung muss überzeugt werden. Egal jedoch, wie die Karten gelegt werden, es wird nicht gelingen, den zweifelnden Teil der Bevölkerung zu überzeugen. Tatsächlich zweifelt niemand an dem, was derzeit stattfindet. Alle stimmen überein, alle sind sich klar darüber, was stattfindet, und alle möchten lediglich eine Antwort auf eine einzige Frage bekommen: wie lange wird dieser Unfug anhalten?Frage:
Wie professionell sind Ihrer Meinung nach diese Artikel geschrieben?Antwort:
Die sind absolut unprofessionell geschrieben. Ich sage das nicht, weil ich jemanden von unseren anonymen Kollegen in Verruf bringen möchte. Dieses Material ist unprofessionell, weil es von Personen geschrieben wurde, die weit vom realen politischen Feld entfernt sind. Von Leuten, die keine Probleme mit der Miete usw. haben. Die versuchen, die Menschen von ganz unklaren Dingen zu überzeugen, zu überzeugen, dass das Leben gut ist und es sich gut lebt. Es ist eine Dummheit, jemanden zu überzeugen, dass das Leben besser wird. Davon kann man noch nicht einmal einen Blinden überzeugen.Frage:
Geben die Machthaber das Geld für diese Kampagne nicht umsonst aus?Antwort:
Natürlich. Aber bestimmte Leute verdienen daran. Und sie verdienen allem Anschein nach nicht schlecht. Eine andere Sache ist, dass diese Arbeit kaum Ergebnisse bringt. Aber von denen wird auch nicht ein sofortiges Ergebnis erwartet. Deshalb wird dieser Unfug eine bestimmte Zeit anhalten.Frage:
Sie sagen, dass die Verfasser der Artikel von der weißrussischen Realität entfernt sind. Kann man davon ausgehen, dass es durchreisende "Gastspiel-Schriftsteller" sind?Antwort:
Schon möglich. Denen ist alles egal. Ich kann sie dafür nicht einmal verurteilen. Verurteilt werden müssen diejenigen, die ein solches Produkt bestellen. Es ist nicht normal, davon Gebrauch zu machen. Man kann, wenn man um die Macht kämpft, solche Methoden nutzen. Wenn man jedoch bereits Macht besitzt, muss man mit Taten überzeugen. Eben deshalb ist die derzeitige PR-Kampagne wenig effektiv. Weil keine konkreten Taten zu verzeichnen sind.Frage:
Können die Ergebnisse dieser Kampagne vorausgesagt werden?Antwort:
Bei den Leuten wird die wilde Empörung steigen. Ich kann mir nicht vorstellen, wie die Machthaber später damit fertig werden wollen. Das heißt, den Geist aus der Flasche lassen. Ich bin Gegner von Revolutionen. Am wenigsten wünsche ich mir einen zweiten Aleksandr Grigorjewitsch (Lukaschenka – MD). Lukaschenka könnte jedoch einen "Terminator" bekommen, der nach dem Prinzip nicht "für", sondern "gegen" unterstützt wird. Mit diesem Menschen wird niemand mehr einen konstruktiven Dialog aufbauen können.Anatolij Lebedko,
Vorsitzender der Vereinigten Bürgerpartei:Das ist nichts weiter als eine Abdeckung des von den Machthabern vorgeschlagenen großen Projektes mit dem Namen "Ideologie" durch Information. Erstens ist ganz offensichtlich, dass es ernste Probleme im Land selbst gibt. Daher das rapide gesunkene Ansehen von Lukaschenka auf 13 Prozent (so viele würden für ihn stimmen, wenn heute Präsidentschaftswahlen stattfänden). Zweitens ist die Politik der Selbstisolierung nicht nur in westlicher, sondern auch östlicher Richtung zu beobachten. Diese zwei Faktoren zwingen die Machthaber, ein Gegengift zu finden. Neue Ideen haben sie nicht, deshalb wenden sie sich an die alte, getestete, geprüfte ideologische Maschinerie. Um dieses Projekt im Bewusstsein der Menschen zu verankern – ein wesentlicher Teil der Bevölkerung hat es bereits vergessen und für die Jugendlichen sind sogar solche Begriffe wie ‚Komsomol‘ und KPdSU etwas neues – wird ein mächtiger Informationsschub benötigt. Deshalb werden sowohl große finanzielle als auch menschliche Ressourcen bereitgestellt. Praktisch wöchentlich finden ideologische Sitzungen statt, die diesem Problem gewidmet sind. Klar ist, dass dafür sowohl alte Kader als auch neue Leute gefragt sind, die heute mit der Bevölkerung arbeiten, alles in eine ideologische Hülle packen, den Menschen in den Zustand einer leicht drehbaren Schraube zurückholen müssen. Diese Arbeit war in der Sowjetunion sehr erfolgversprechend. Jedenfalls haben wir einige Jahrzehnte hintereinander gesehen, dass das zum Erfolg führte. Damals lebten wir jedoch in einem geschlossenen System, nur wenige vernahmen Stimmen von außen. Weißrussland kann weder was seine Parameter, noch seine Möglichkeiten angeht mit der Sowjetunion mithalten. Wir sind zu sehr von der Außenwelt abhängig. Weißrussland ist ein Territorium, das von allen Seiten von Winden durchweht wird. Die Information, die den Leuten zugänglich ist, die Reisen, die sie unternehmen, die russischen Informationsquellen sind womöglich kein sehr starkes, jedoch ein viel stärkeres Gegengift als das Projekt, das Lukaschenka vorschlägt. Es wird jedoch viel Lärm geben, viel Energie wird verschwendet werden. Womöglich werden wir auch Opfer sehen, die zu Schaden gekommen sind, weil sie die Pläne nicht erfüllt oder die Ergebnisse nicht nur bei der Milch, sondern auch bei der Zahl der gefoppten Bürger gefälscht haben. Ich weiß nicht, ob es deshalb zu Gefängnisstrafen kommen wird, aber zu starken Auseinandersetzungen wird es bestimmt kommen." (lr)