Wie der Präsident Turkmenistans die Opposition bekämpft
24. April 2003Köln, 23.4.2003, DW-radio / Russisch
Am 23. April hat das turkmenische Außenministerium die schwedischen Behörden aufgefordert, die beiden turkmenischen Dissidenten Saparmurat Iklymow und Chalmurad Esenow, die Aschgabad zu "internationalen Terroristen" erklärt hat, auszuliefern. Einen Tag zuvor unterzeichnete Turkmenbaschi den Erlass "Über das Verfahren zur Aufhebung der doppelten Staatsbürgerschaft". Gibt es zwischen diesen beiden Tatsachen einen Zusammenhang?
"Wer wollte, ist bereits ausgewandert"
Gemäß dem Erlass von Turkmenbaschi müssen sich Personen, die im Besitz der turkmenischen und russischen Staatsbürgerschaft sind und ihren ständigen Wohnsitz in Turkmenistan haben, innerhalb von zwei Monaten für eine der beiden Staatsbürgerschaften entscheiden. Diejenigen, die innerhalb dieser Frist den zuständigen Behörden keine Entscheidung mitteilen, werden automatisch als turkmenische Staatsbürger betrachtet.
Es sei daran erinnert, dass das Protokoll zum Beschluss, das Abkommen über die doppelte Staatsbürgerschaft zwischen Russland und Turkmenistan außer Kraft zu setzen, von den Präsidenten beider Länder während des Besuchs von Turkmenbaschi in Moskau unterzeichnet wurde. Bei dieser Gelegenheit wurde übrigens auch der große Vertrag über die Lieferung turkmenischen Erdgases an Russland unterzeichnet. Das Abkommen von 1993 gab den ethnischen Russen und anderen Bürgern der ehemaligen Sowjetunion die Möglichkeit, neben der turkmenischen auch die russische Staatsbürgerschaft zu besitzen. Die Entscheidung, das Abkommen außer Kraft zu setzen begründete das russische Staatoberhaupt wie folgt: "Diejenigen, die auswandern wollten, sind bereits nach Russland ausgewandert." Gibt es also über nichts, oder besser gesagt, über niemanden zu diskutieren? Dazu der Führer der oppositionellen Bewegung "Watan", Chudajberdy Orasow:
"Heute sagen in Aschgabad Turkmenen und Russen zu einander bitter: Sie und uns hat man gegen Gas getauscht. Angaben zufolge, die uns vorliegen, haben innerhalb von neun Jahren mindestens 150 000 Einwohner Turkmenistans die doppelte Staatsbürgerschaft erhalten. Außerdem haben nach Angaben von Reuters weitere 100 000 Menschen einen entsprechenden Antrag bei der russischen Botschaft in Aschgabad gestellt. Die Menschen in Turkmenistan und Russland werden nicht verstehen, warum ein solches Dokument, das die Interessen Hunderttausender berührt, überhaupt unterzeichnet wurde. Bekanntlich kann ein Gesetz nicht rückwirkend gelten. Wenn es schon unterzeichnet wurde, warum dann ohne einen Mechanismus zu dessen Umsetzung? Wird die Verordnung Nijasows, die aus drei Punkten besteht, nun über das Schicksal Hunderttausender Menschen entscheiden? Man muss betonen, dass man Wladimir Putins Erklärung, wonach diejenigen, die es wollten, nach Russland ausgewandert seien, etwas korrigieren muss. Ausgewandert sind diejenigen, die dazu in der Lage waren. Zurückgeblieben ist der Teil der russischsprachigen Bevölkerung, der am ungeschützten ist."
Abkommen zur Bekämpfung der russischsprachigen Opposition
In der Presse wurde mehrmals darauf hingewiesen, dass Turkmenbaschi, der in Moskau die Außerkraftsetzung des Abkommens über die doppelte Staatsbürgerschaft erreichen wollte, das Ziel verfolgt, der turkmenischen Opposition im Ausland den Boden unter den Füßen zu nehmen und deren Vertreter zu zwingen, entweder Turkmenen zu bleiben, worauf man eine Auslieferung aus Russland verlangen kann, oder russische Staatsbürger zu bleiben, wonach Ansprüche auf eine politische Rolle in Turkmenistan hinfällig werden. Dazu Chudajberdy Orasow:
"Turkmenbaschi braucht diese Vereinbarung, weniger um die organisierte turkmenische Opposition zu bekämpfen, sondern eher dafür, um gegen die russischsprachige Bevölkerung vorzugehen, die wegen ihrer Diskriminierung und wegen der Zerstörung von allem, was mit der russischen Kultur und Sprache zusammenhängt, aber auch wegen Nijasows Äußerungen, der historische Fakten über die Rolle Russlands in der Geschichte Turkmenistans leugnet, oppositionell eingestellt ist."
Russland legt kein Umsetzungsverfahren vor
Sind sich die russischen Behörden der Folgen des zwischen den Präsidenten Russlands und Turkmenistans unterzeichneten Dokuments überhaupt bewusst? Diese Frage stellten wir dem russischen Journalisten Arkadij Dubnow:
"Was Maßnahmen betrifft, die die russischen Behörden wegen der Außerkraftsetzung des Abkommens über die doppelte Staatsbürgschaft zwischen Russland und Turkmenistan ergreifen wollen, so liegen bislang der Konsulatabteilung des Außenministeriums und anderen Organisationen, die sich mit dieser Frage befassen, keine entsprechenden Dokumente vor. Es herrscht der Eindruck, dass man in Russland, als man die Vereinbarung mit Turkmenistan unterzeichnete, nicht beachtete, auf welche Weise es umgesetzt werden soll und wie die Bestimmungen für diejenigen aussehen sollen, die eine doppelte Staatsbürgschaft besitzen und in Russland leben. Deswegen kann man nur vermuten, welche Verwirrung in den Köpfen der Menschen herrschen muss.
Was die Maßnahmen betrifft, die in Aschgabad ergriffen werden, so muss man auf einen sehr verwunderlichen Absatz in Nijasows Erlass ‚Über das Verfahren zur Aufhebung der doppelten Staatsbürgerschaft‘ hinweisen, der absolut dem Geiste sogar dieser beispiellosen Vereinbarung widerspricht. In Absatz 3 heißt es: ‚In der Zeit, in der die Staatsbürgerschaft eines der beiden Länder gewählt werden muss, gelten für Personen, die im Besitz einer doppelten Staatsbürgerschaft sind und ihren ständigen Wohnsitz auf dem Territorium Turkmenistans haben, für die Aus- und Einreise die Bestimmungen, die für turkmenische Staatsbürger gelten. Für Personen, die ständig im Ausland leben, gelten die Ein- und Ausreise- sowie Aufenthaltsbestimmungen in Turkmenistan, die für ausländische Staatsbürger gelten."
Was bedeutet dies? Das bedeutet, dass noch vor der Inkraftsetzung der Vereinbarung über die Abschaffung der doppelten Staatsbürgerschaft, - das erst nach einem Austausch schriftlicher Mitteilungen beider Seiten in Kraft treten kann, was bislang noch nicht geschehen ist, zumindest von russischer Seite – Aschgabad de facto Maßnahmen zur Umsetzung dieser Vereinbarung getroffen hat. Turkmenische Staatsbürger, die über eine doppelte Staatsbürgerschaft verfügen, können ab sofort nicht mehr die Rechte in Anspruch nehmen, die ihnen der russische Pass gibt. Sie können mit dem russischen Pass nun nicht mehr aus Turkmenistan ausreisen, wenn sie keine Ausreisegenehmigung erhalten haben. Bekanntlich ist eine Ausreisegenehmigung in Turkmenistan für die normalen Menschen kaum zu bekommen. Das ist ganz klar ein Verstoß gegen alle geschriebenen und ungeschriebenen Regeln in den Beziehungen zwischen beiden Staaten. Über diese Situation, die ich nur als Beginn einer bürgerlichen Katastrophe in Turkmenistan bezeichnen kann, sind nach meinem Eindruck in Aschgabad auch ausländische Diplomaten besorgt. Mir ist bekannt, dass die OSZE-Mission im Zusammenhang mit dieser Situation möglicherweise eine Erklärung abgeben wird, in der sie Besorgnis über die Einschränkung der Rechte der Bürger äußern wird, die über eine doppelte Staatsbürgschaft verfügen.
Russischen Bürgern wurde der Zugang zur Botschaft verwehrt
Aus Aschgabad berichtet die Korrespondentin der Deutschen Welle Wiktorija Rodionowa:
Bereits am Mittwoch hat die Turkmen Airlines den Verkauf von Flugtickets nach Moskau für Bürger mit russische Staatsangehörigkeit gestoppt. Von ihnen wird verlangt, eine Ausreisegenehmigung des turkmenischen Innenministeriums vorzulegen. Tickets dürfen nur dann verkauft werden, wenn die Passagiere nur in eine Richtung fliegen. Der Versuch, von der russischen Botschaft eine mehr oder weniger verständliche Erklärung für die Situation zu erhalten, misslang. Die sogenannte Pressekonferenz, die von der russischen Botschaft durchgeführt wurde, zeichnete sich dadurch aus, dass sie gegenüber den eigenen Staatsangehörigen äußerst "human" verlief. Mehr als 1000 beunruhigte Bürger wurden erst gar nicht auf das Territorium der Botschaft gelassen. Die Botschaftsmitarbeiter sprachen mit dem "Volk" durch den Zaun. Es herrschte Lärm und die Situation war angespannt. Deswegen war es unmöglich, eine Antwort auf die Fragen zu erhalten, die die Menschen beunruhigen. Die meisten Fragen lauteten: "Was müssen wir tun?", "Welche Staatsbürgerschaft müssen wir abgeben?" und "Warum hat uns Russland verraten?" Die Botschaftsmitarbeiter versuchten zu erklären, dass von russischer Seite alles unverändert bleibt und dass die Neuerungen ausschließlich auf die Initiative der turkmenischen Seite zurückzuführen sind.
Wer wird Oppositionelle ausliefern?
Wie unser Korrespondent Oras Saryjew aus Kreisenn der Generalstaatsanwaltschaft Turkmenistans erfuhr, erklärte Saparmurat Nijasow am 22. April, an dem Tag, als der Erlass über die doppelte Staatsbürgerschaft unterzeichnet wurde, auf einer Sitzung mit den Leitern der Machtbehörden des Landes, er habe mit Russland, Weißrussland, der Ukraine und einigen anderen GUS-Staaten, aber auch mit der Türkei, eine geheime Vereinbarung über die Auslieferung turkmenischer Oppositioneller getroffen. Nach Angaben dieser Kreise beauftragte Turkmenbaschi auf der Sitzung die Machtstrukturen, innerhalb einer gewissen Frist alle ihm unbequemen Personen nach Turkmenistan zurückzuholen. Den Informationen der Quelle nach sind in den oben genannten Ländern, aber auch in einigen anderen, Einsatzgruppen des Ministeriums für nationale Sicherheit aktiv, die mit entsprechenden Aufgaben betraut wurden.
In diesem Zusammenhang muss an die Meldung erinnert werden, mit der dieser Bericht begann – an die Forderung des offiziellen Aschgabads an Schweden, bekannte Oppositionelle auszuliefern. Der schwedische Justizminister Thomas Bodstroem teilte unsrem Korrespondenten mit, die turkmenische Seite habe bereits am 13. Januar einen entsprechenden Antrag auf Auslieferung von Saparmurat Iklymow gestellt, aber die schwedischen Behörden hätten die angeführten Beweise für die Beteiligung von Saparmurat Iklymow am Anschlag auf Saparmurat Nijasow für eine Auslieferung als unzureichend erachtet. Berücksichtigt worden sei auch die Tatsache, dass Saparmurat Iklymow während des Anschlags Schweden nicht verlassen habe. Eine Auslieferung an Turkmenistan wurde somit abgelehnt. Thomas Bodstroem zufolge wird Stockholm auch diesmal so verfahren. (MO)