WHO: Über eine Milliarde Menschen sind psychisch krank
3. September 2025Weltweit leiden über eine Milliarde Menschen an psychischen Störungen, wie die Weltgesundheitsorganisation (WHO) in einem aktuellen Bericht feststellt. Das sind 14 Prozent der Weltbevölkerung. Psychische Störungen gehören damit zu den größten globalen Gesundheitsproblemen. Sie betreffen Menschen jeden Alters, jeder Herkunft und Einkommensschicht. Besonders viele Betroffene leben laut WHO allerdings in Ländern mit niedrigem oder mittlerem Einkommen. Und nur wenigen wird angemessen geholfen. So blieben etwa bei einer schweren depressiven Störung weltweit rund 91 Prozent der Betroffenen unterversorgt oder ganz ohne professionelle Hilfe. Ähnliche Versorgungslücken bestehen auch bei anderen psychischen Erkrankungen.
Angst und Depressionen besonders verbreitet
Die häufigsten Erkrankungen sind Angststörungen und depressive Störungen. Gemeinsam machen sie über zwei Drittel aller Fälle aus. Weltweit leben aktuell rund 332 Millionen Menschen mit einer Depression. Rund 359 Millionen leiden an Angststörungen.
Frauen sind häufiger von Angst und Depression betroffen. Männer leiden öfter unter Neurodivergenzen wie Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS), unter Autismus-Spektrum-Störungen und intellektuellen Entwicklungsstörungen. Essstörungen treten ab dem jungen Erwachsenenalter ebenfalls vermehrt auf – hier ist die Prävalenz bei Frauen ab dem 20. Lebensjahr etwa doppelt so hoch wie bei Männern.
Schizophrenie und bipolare Störungen besonders belastend
Erkrankungen wie Schizophrenie und bipolare Störungen sind zwar weniger häufig - rund 23 Millionen Menschen leiden an Schizophrenie. Aber diese Erkrankung ist mit besonders schweren Folgen verbunden: Im akuten Stadium gilt die Krankheit als die gesundheitlich stärkste Einschränkung überhaupt. Und für die Gesellschaft verursacht sie von allen psychischen Erkrankungen die höchsten Kosten pro Person. Außerdem sterben Betroffene im Schnitt neun Jahre früher als andere.
Von bipolaren Störungen sind weltweit 37 Millionen Menschen betroffen, rund einer von 150 Erwachsenen. Die Sterblichkeitsrate ist noch höher als bei Schizophrenie – im Schnitt leben die Betroffenen 13 Jahre kürzer.
Psychische Erkrankungen in allen Altersgruppen
Psychische Erkrankungen beginnen oft schon sehr früh: Rund 14 Prozent der Jugendlichen zwischen zehn und 19 Jahren leben mit einer psychischen Störung. Im Kindesalter, zwischen fünf und neun Jahren, sind es sieben Prozent.
Etwa die Hälfte aller Erkrankungen tritt bereits vor dem 18. Geburtstag auf. Im Alter zwischen 20 und 24 Jahren liegt die Prävalenz aller psychischen Störungen bereits bei 15,8 Prozent und steigt mit dem Alter noch bis in die 40er Jahre an. Im Zeitraum zwischen 2011 und 2021 ist die Zahl psychisch Erkrankter insbesondere bei den 15- bis 29-Jährigen stark angestiegen.
Ein weiterer alarmierender Aspekt ist die hohe Suizidrate – weltweit begeht mehr als eine von hundert Personen Suizid, bei jungen Menschen ist es eine der häufigsten Todesursachen. Auf jeden Suizid kommen weltweit etwa zwanzig Suizidversuche.
Soziale, gesellschaftliche und politische Gründe
Die Ursachen für diese besorgniserregende Entwicklung sind vielfältig: Immer mehr Menschen sind von sozialen Konflikten, Kriegen, häuslicher Gewalt, Mobbing, Ungleichheit, Armut und – immer noch – den Auswirkungen der Coronapandemie betroffen. Nicht zuletzt hat auch die Nutzung sozialer Medien einen immer größeren Einfluss auf die mentale Gesundheit.
Wirtschaftliche Folgen psychischer Störungen
Die wirtschaftlichen Auswirkungen psychischer Erkrankungen sind enorm. Allein durch Depressionen und Angstzustände entstehen der Weltwirtschaft jährlich Produktivitätsverluste von über 1.000 Milliarden US-Dollar.
In Deutschland werden die jährlichen Kosten von psychischen Erkrankungen auf rund 147 Milliarden Euro geschätzt, das macht etwa 13 Prozent der Gesamtkosten des Gesundheitssystems aus.
Dramatische Versorgungslücken
Trotz der Dringlichkeit und der weiten Verbreitung sind die Gesundheitssysteme weltweit nicht ausreichend auf psychische Krankheiten vorbereitet. Im Durchschnitt werden nur zwei Prozent der Gesundheitsbudgets für die psychische Gesundheit aufgewendet.
Entsprechend sind die Versorgungslücken enorm: Die meisten Menschen mit psychischer Erkrankung erhalten keine fachgerechte psychologische oder ärztliche Betreuung. Weltweit erhalten zum Beispiel nur neun Prozent der Menschen mit Depressionen eine angemessene Behandlung. Bei Psychosen erhalten 71 Prozent der Betroffenen keine professionelle Hilfe. Die WHO betont in ihrem Bericht, dass die weltweiten Versorgungssysteme für psychische Erkrankungen nicht nur große Lücken in der Abdeckung, sondern auch deutliche Mängel in der Qualität aufweisen.
In Ländern mit niedrigem Einkommen kommt auf 100.000 Einwohner selten mehr als eine Fachkraft für psychische Gesundheit, und auf einen Psychiater kommen oft bis zu 200.000 Menschen. Auch der Zugang zu bezahlbaren Medikamenten ist vor allem im globalen Süden stark eingeschränkt. “Um dem Mangel an ausgebildeten Fachkräften entgegenzuwirken, ist die Aufgabenverlagerung zu einer wichtigen Strategie geworden, bei der Nicht-Fachkräfte wie Lehrer oder Gemeindegesundheitshelfer geschult werden”, erläutert Shuyan Liu, Professorin für Global Mental Health an der Berliner Charité. "Ein Beispiel hierfür ist die `Friendship Bench´ in Simbabwe, wo ausgebildete Laienberater in der Gemeinde Beratung anbieten, deren Wirksamkeit nachgewiesen ist.”
In wohlhabenden Ländern kommen zwar über 60 Fachkräfte für psychische Gesundheit auf 100.000 Einwohner, aber auch dort warten Betroffenen häufig sehr lang auf eine psychotherapeutische Betreuung.
Besorgniserregend sei laut WHO auch, dass insbesondere junge Menschen bei mentalen Problemen in ihrer Not und auch aus Mangel an Alternativen vermehrt Hilfe bei KI-Chatbots suchten. Shuyan Liu, die den Fachbereich Neurowissenschaftliche Populationswissenschaft an der Charité leitet, sieht diese Entwicklung sehr kritisch: “Eine der Herausforderungen von Chatbots besteht meiner Meinung nach darin, dass sie zwar grundlegende Bedürfnisse erfüllen können, aber nicht auf Empathie und komplexere oder `spannendere´ Bedürfnisse eingehen”, so Shuyan Liu gegenüber der DW. “Um die KI zu optimieren, benötigen sie mehr Aufzeichnungen von Gesprächen zwischen Patienten und Ärzten, da jeder Arzt einen einzigartigen Stil der Kommunikation mit seinen Patienten hat.” .
Weltweiter Handlungsbedarf
Die WHO fordert deshalb ein entschiedenes politisches Umdenken: Psychische Gesundheit müsse als Menschenrecht behandelt und in allen Ländern als prioritäres Ziel festgelegt werden.
Entsprechend fordert die WHO deutlich größere Investitionen in die psychische Gesundheit. Jede Regierung und jeder Politiker sei aufgerufen, Verantwortung zu übernehmen, damit psychische Gesundheit zum politischen Top-Thema wird und alle Betroffenen Zugang zu qualitativ hochwertiger Versorgung erhalten.
Der Artikel wurde am 04.09.25 aktualisiert und um die Stellungnahme von Prof.Dr. Shiyun Liu ergänzt.