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Warum Glücklichsein wichtig für die Demokratie ist

20. März 2025

Kriege, Klimawandel, steigende Preise und zunehmende Einsamkeit: Haben junge Menschen noch Gründe, glücklich zu sein? Die DW hat zum Weltglückstag nachgefragt.

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Drei junge Frauen liegen nebeneinander auf dem Rücken und lachen
Ist das junge Erwachsenenalter heutzutage immer noch eine der glücklichsten Zeiten im Leben?Bild: IMAGO/imagebroker

Joana Meurkens hatte keinen leichten Start ins neue Jahr. Als ihr Vermieter die Miete erhöhte, sah die 26-jährige Schauspielerin und Sängerin sich gezwungen, aus ihrer Wohnung in New York ausziehen. Jetzt wohnt sie abwechselnd bei ihrem Freund und im Elternhaus.  

"Die Miete und Lebensmittel sind teurer geworden, Eier kosten einen Dollar pro Stück, sogar die U-Bahn ist teurer geworden. Ausziehen und Geld sparen war also die bessere Lösung", sagt sie. 

Eierpaletten, darüber steht auf Englisch: Wegen Eierknappheit max 3 Paletten
Supermärkte in den USA limitieren den Verkauf von Eiern - wegen der Vogelgrippe herrscht EierknappheitBild: David Zalubowski/AP Photo/picture alliance

Inflation, Krieg, politische Polarisierung und Einsamkeit: Junge US-Amerikanerinnen und US-Amerikaner wie Joana sind zunehmend unzufrieden mit ihrem Leben. Laut dem diesjährigen Weltglücksbericht ist das junge Erwachsenenalter nicht mehr das, was es mal war - eine der glücklichsten Zeiten im Leben.

Diese Phase im Leben unterliege einer "beunruhigenden Wende", heißt es in dem Bericht. Junge Menschen in Westeuropa und Nordamerika hätten heute "das geringste Wohlbefinden aller Altersgruppen".  

Der Weltglücksbericht, der jedes Jahr am 20. März anlässlich des Weltglückstags der Vereinten Nationen veröffentlicht wird, ist eine weltweite Umfrage, die Länder danach einstuft, wie glücklich ihre Bevölkerung ist.

Dieses Jahr erzielten die USA ihr bisher schlechtestes Ergebnis. Sie landeten auf dem 24. Platz und rutschten im Vergleich zum Vorjahr einen Rang ab. Bis 2023 waren sie immer unter den Top 20 zu finden. Deutschland landete dieses Jahr auf dem 22. Platz, das Vereinigte Königreich auf Platz 23. 

"Hätten wir nur die Jugend betrachtet, würden die USA es nicht einmal unter die ersten 60 schaffen", sagt Jan-Emmanuel De Neve, Forscher am Wellbeing Research Centre der Oxford Universität und Co-Autor des Berichts.  

Demonstrationen als Gemeinschafts-Event

Joana ist von den Ergebnissen nicht überrascht. In den letzten zwei Jahren, sagt sie, sei das Leben nicht nur deutlich teurer geworden, sie und ihre Freunde hätten auch zunehmend Schwierigkeiten, Jobs zu finden. Außerdem seien junge Menschen durch politischen Umwälzungen desillusioniert. 

Junge Menschen halten Schilder mit "Palestinian Lives Matter" und anderen Slogans in die Luft
Junge Protestierende in New York fordern die Freilassung des pro-palästinensischen Aktivisten Mahmoud KhalilBild: Jodi Hilton/NurPhoto/picture alliance

In New York, wo Joana lebt, würden jungen Leute jetzt demonstrieren statt Partys zu feiern, sagt sie. "Genau das ist es, was Leute in meinem Alter jetzt tun. Es gibt ständig Demonstrationen. Ich finde das gut, weil es mir ein Gefühl von Gemeinschaft gibt." 

Gemeinschaft ist der Schlüssel zum Glück  

Vor allem die US-amerikanische Jugend sei aufgrund der zunehmenden Einsamkeit unglücklicher ist als früher, sagt De Neve der DW. Das habe der diesjährige Bericht eindeutig gezeigt. 

"Die Wahrscheinlichkeit, dass Jugendliche heute allein essen, ist doppelt so hoch wie noch vor zwei Jahrzehnten. Die Gewohnheiten scheinen sich geändert zu haben: Wenn ich mir meine Studierenden ansehe, essen sie allein, mit dem Handy in der Hand. Unsere Daten zeigen jedoch eindeutig, dass Menschen, die gemeinsam essen, glücklicher sind", sagt De Neve. Auch gemeinsam wohnen wirke sich positiv auf das Wohlbefinden aus. So seien Haushalte mit mindestens vier Personen glücklicher. 

Der Rückgang sozialer Beziehungen, so zeigen die Daten, führt auch zu politischer Polarisierung und Veränderungen im Wahlverhalten. "Wir haben herausgefunden, dass Menschen, die unglücklich sind, eher für systemfeindliche Parteien stimmen", sagt er.

 

Der belgische Wissenschaftler Jan-Emmanuel De Neve
Jan-Emmanuel De Neve ist Leiter des Wellbeing Research Centre der Oxford Universität und Co-Autor des WeltglückberichtsBild: Wellbeing Research Centre, Oxford

Die zunehmende Isolation führe aber nicht nur zu Unzufriedenheit, sondern auch zu politischer Polarisierung, so De Neve. "Wir haben herausgefunden, dass Menschen, die unglücklich sind, eher systemfeindliche Parteien wählen", sagt er.

Jugend im Krisenmodus 

Joanas Jugend war von politischen Umwälzungen geprägt: "Ich war in meinem letzten Schuljahr, als Trump zum ersten Mal gewählt wurde", sagt sie. "Dann kam die Pandemie, der Unterricht fand online statt, und an meinem 21. Geburtstag konnten wir nicht einmal in eine Bar gehen. Wir haben Partys auf Zoom gemacht." 

Auf einer Skala von 1 bis 10 bewertet Joana ihr Leben mit 6, entsprechend dem amerikanischen Durchschnitt von 6,7. Ihr Leben fühle sich wie ein ständiger "Krisenmodus" an, sagt sie. 

Eine junge Frau stützt ihr Gesicht auf die Hand
Joana Meurkens ist 26 Jahre alt und lebt in New YorkBild: Stephanie Rodriguez

Um die ständigen Krisen zu bewältigen, greifen viele aus Joanas Generation zu Medikamenten. Laut einer Studie, in der 221 Millionen Rezepte für junge US-Amerikanerinnen und US-Amerikaner untersucht wurden, sind die Verschreibungen von Antidepressiva von März 2020 bis Dezember 2022 um fast 64 Prozent gestiegen.

"Ich habe das Gefühl, dass heutzutage alle auf Antidepressiva und Beruhigungsmitteln sind", sagt Joana.

Finnland zum achten Mal auf Platz eins

Fast 7.000 Kilometer entfernt kommt die 33-jährige Finnin Lisa* (Name geändert) gerade von einem langen Arbeitstag nach Hause und teilt ihre Gedanken zum Weltglücksbericht mit der DW: "Ich persönlich bin immer etwas überrascht, wenn ich höre, dass Finnland den ersten Platz belegt, weil es hier im Winter sehr dunkel ist", sagt sie. 

Lisa lebt in Helsinki und bewertet ihr Leben mit 7, nah am Durchschnitt ihres Landes von 7,7. "Einen Minuspunkt gibt es für das Pendeln. Ich brauche 45 Minuten zur Arbeit", sagt sie. "In Helsinki ist das viel." 

In den vergangenen Jahren ist Russland wegen des Angriffskriegs in der Ukraine zu einer zentralen Sicherheitsbedrohung für Finnland geworden. Obwohl das gerade für die jüngere Generation ein Grund zur Besorgung ist, ist das Thema im Land ein Tabu, sagt Lisa. Über einen möglichen Krieg zu sprechen empfinden viele als beängstigend. Die junge Frau hofft darauf, dass die finnischen Institutionen es schaffen, Frieden zu bewahren.

Sicherheit durch den Sozialstaat

Die durchschnittliche Haushaltsgröße in Finnland liegt knapp unter zwei Personen. Lisa lebt wie der Durchschnitt der finnischen Bevölkerung allein. Oft isst sie auch allein, weil sie nach einem langen Arbeitstag nicht immer die Energie oder Zeit hat, sich zu verabreden, erklärt sie. 

In Lateinamerika und der Karibik liegt die durchschnittliche Haushaltsgröße zwischen 3 und 5 Personen. Vermutlich wird dort auch deshalb am meisten zusammen gegessen. Dennoch sind nur zwei Länder aus der Region unter den ersten 20 vertreten: Costa Rica und Mexiko

Die finnische Bevölkerung ist sehr zufrieden, obwohl sie eher individualistisch ist. Wie passt das mit den Erkenntnissen über die Bedeutung sozialer Bindungen zusammen? 

Eine Frau, ein Kind und ein Mann sitzen an einem Tisch uns essen
Laut dem Weltglücksbericht sind Menschen, die zusammen essen, glücklicherBild: Colourbox

"Zufriedenheit hängt nicht nur von gemeinsamen Mahlzeiten oder der Haushaltsgröße ab, es ist eine Kombination von Faktoren", erklärt De Neve. "Die skandinavischen Länder sind in etwa gleich reich wie die Vereinigten Staaten, aber die Skandinavier verteilen ihren Reichtum mehr um", fügt er hinzu.

Dem Bericht zufolge haben die Menschen in Finnland auch mehr Vertrauen in soziales Miteinander als diejenigen in den USA. "Sie vertrauen zum Beispiel darauf, dass verlorene Geldbörsen zurückgegeben werden", sagt De Neve. Und während die Finnen sich auf ihren Sozialstaat verlassen können, leben Amerikaner oft in Unsicherheit.  

"In den USA ist die Krankenversicherung in der Regel an die Arbeit gebunden. Wer seinen Job verliert, verliert auch seine Krankenversicherung. So können Menschen schnell in schwierige Situationen geraten", erklärt De Neve. 

Zufriedenheit muss ins Zentrum der Politik 

Zufriedenheit ist aber nicht nur eine persönliche Angelegenheit, sie habe direkte Auswirkungen auf Politik und Wirtschaft, sagt De Neve. Unglücklichsein führe zu politischer Polarisierung und verringerter Produktivität und sei letztlich sogar eine Gefahr für die Demokratie. 

"Die Lösung besteht darin, Zufriedenheit in den Mittelpunkt von politischen Entscheidungen zu platzieren und von den Ländern zu lernen, denen es gut geht - etwa Dänemark, Finnland, Costa Rica, Slowenien, Litauen oder Mexiko", sagt De Neve.  

"Ich denke, die Lektionen sind ziemlich klar", fügt er hinzu. "Das Wohlergehen von Gesellschaften basiert auf nachhaltigem Wachstum, das den Planeten respektiert, und auf einer sinnvollen Umverteilung von Wohlstand."

DW Volontärin Djamilia Prange de Oliviera
Djamilia Prange de Oliveira Reporterin mit besonderem Fokus auf Frauenrechten, Kultur, Gesellschaftspolitik und Brasilien.