Was die Teilnahme Deutschlands an den Kampfhandlungen der USA in Afghanistan bedeuten kann
8. März 2002Moskau, 6.3.2002, STIMME RUSSLANDS, deutsch
Seit mehreren Tagen ist der deutsche Verteidigungsminister Rudolf Scharping auf seine Kollegen aus dem Pentagon sauer. Der Grund: Die Amerikaner haben durchblicken lassen, dass Angehörige der Bundeswehr an der gemeinsam mit den USA geführten Kampfoperationen in Afghanistan teilnehmen. Ein Kommentar von Jurij Igrinjow:
Wie die Heilige Schrift warnt, kommt alles Geheime einmal an den Tag. Der Bundesminister für Verteidigung Rudolf Scharping hatte am Montag die Journalisten davon zu überzeugen versucht, dass die Bundeswehr dort "medizinisch-sanitäre Unterstützung" erweise. Aber selbst wenn das so ist, kann der Aufenthalt deutscher Soldaten auf dem Territorium Afghanistans dennoch weder vom moralischen noch vom Rechtsstandpunkt gerechtfertigt werden.
In Russland, und nicht allein in diesem Land, zwingt die Erfahrung zweier Weltkriege des 20. Jahrhunderts, die außenpolitischen Aktivitäten Deutschlands aufmerksam zu verfolgen. Um so mehr, wenn dabei der militärische Aspekt präsent ist. Wir erinnern uns noch gut an die Losung: "Von deutschem Boden darf niemals wieder ein Krieg ausgehen!" Jahrzehntelang erklangen diese Worte aus Berlin und Bonn wie Beschwörungen. Ein Grund, weshalb in unserem Lande nicht nur die Politiker, sondern auch die Bevölkerung die Idee der Wiedervereinigung Deutschlands unterstützten, war ja gerade der Glaube, dass es den Deutschen mit dieser Losung ernst sei.
Allerdings hatte das vereinte Deutschland mit dem christdemokratischen Kanzler Helmut Kohl an der Spitze bereits Mitte der 90-er Jahre mit seiner Balkan-Politik gegen dieses Gebot verstoßen. 1999 hatte Deutschland als Mitglied der NATO unmittelbar an der Aggression gegen Jugoslawien teilgenommen. Das geschah bereits zu Zeiten des sozialdemokratischen Kanzlers Gerhard Schröder und seines sozialdemokratischen Verteidigungsministers Rudolf Scharping. So war zum Ende des 20. Jahrhunderts in Europa auch von deutschem Territorium wieder ein Krieg entfesselt worden.
Das alles geschah unter dem Deckmantel der Losung, "eine humanitäre Katastrophe im Kosovo abwenden zu helfen". Nun beruft man sich auf die Notwendigkeit, den "Waffenbrüdern" nur "medizinisch-sanitäre Hilfe" zu erweisen. In beiden Fällen wurden Bundeswehreinheiten unter Verletzung des Grundgesetzes des Landes ins Ausland geschickt.
Im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland heißt es in Artikel 87a, der Bund stelle Streitkräfte zur Verteidigung auf. Artikel 115a konkretisiert das. In diesem Artikel der deutschen Verfassung ist der Verteidigungsfall beschrieben. Danach muss das Bundesgebiet mit Waffengewalt angegriffen werden. Und es sind nicht etwa Regionen in anderen Ländern der Welt gemeint.
Die Anwälte der militärischen Aktivitäten Deutschlands außerhalb der eigenen Landesgrenzen berufen sich auf die Entscheidung des Bundestages. Doch diese Kasuistik – das ist weder Moral noch Recht. Das deutsche Parlament kann jegliche Entscheidung ausschließlich auf der Basis des Grundgesetzes treffen. Deshalb hat der Bundestag, als er für die Entsendung der Bundeswehr ins Ausland stimmte, ebenfalls das Grundgesetz verletzt.
Alles Geheime kommt eben ans Tageslicht. Im Oktober 1993 hatte erst der Tod des Sanitätsfeldwebels Alexander Arndt in Kambodscha die Tatsache aufgedeckt, dass deutsche Soldaten ins Ausland geschickt worden waren. Unser Berliner Hörer Gustav Wittmann schrieb damals: "Nun ist es passiert, was befürchtet werden musste: Im Auftrag wird 'pflichtgemäß' gestorben. Der Tod des deutschen Soldaten Alexander Arndt in Kambodscha macht in erschreckender Weise die Konsequenz jener Politik deutlich, die darauf ausgelegt ist, die deutsche Bundeswehr über den nationalen Verteidigungsauftrag hinaus als Hilfstruppe der USA in die Welt zu schicken."
Welche Schlüsse hat damals die Bundesregierung aus dieser Geschichte gezogen? Die Agentur dpa schrieb dazu: "Außenminister Kinkel und Verteidigungsminister Rühe versicherten, der Mord an Alexander Arndt werde keine Konsequenzen für den Einsatz der Bundeswehr in Somalia und anderswo haben." Schaut man heute zurück, so ist festzustellen, dass diese Worte und diese Position das Präludium für die Teilnahme Deutschlands an der NATO-Aggression 1999 gegen Jugoslawien waren.
Das neue Balkan-Abenteuer forderte Zig Milliarden deutsche Mark. Außerdem forderte es den Tod von über 30 Bundeswehrsoldaten, Hunderte wurden verletzt, verstümmelt oder erlitten Strahlenschäden durch die dort eingesetzte Munition mit abgereichertem Uran.
Vor anderthalb Jahren sagte der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder über seinen Vater, der 1944 in Rumänien gefallen war, folgende Worte: "Er war ein niedriger Soldat, keine Sorte des Führers, und wurde zum Schlachten wie jeder andere gesandt." Es ist interessant, was der Vater Gerhard Schröders heute seinem Sohn sagen würde, wenn er wüsste, dass dieser jetzt "niedrige Soldaten wie auch viele andere zum Schlachten ausschickt". (TS)