Was bringt Russland die Militärpräsenz in Armenien und der Erwerb von Betrieben dieses Landes?
22. Oktober 2002Moskau, 22.10.2002, NESAWISSIMAJA GASETA, russ., A, Sawizkij, W. Minin, M. Chodarenkow
Der in der letzten Woche zu Ende gegangene Besuch des Befehlshabers der Luftstreitkräfte der Russischen Föderation, Generaloberst Wladimir Michajlow, in Jerewan ist ein weiteres Glied des breitangelegten Plans der Umwandlung Armeniens in das wichtigste Aufmarschgebiet Russlands im Kaukasus. Davon, dass es solch einen Plan gibt, zeugen die Ereignisse der letzten Monate.
Der Grund für die Aktivierung der militär-politischen Zusammenarbeit Moskaus und Jerewans im Jahr 2002 ist klar: die rasche Verschlechterung der Beziehungen Russlands zu Georgien. So sei nach Ansicht des Generalsekretärs des Rates für kollektive Sicherheit, Walerij Nikolajenko, "Russland gezwungen, das verletzte Gleichgewicht der Kräfte im Transkaukasus durch engere Kontakte zu Armenien auf dem militärischen Gebiet wieder herzustellen".
Bedeutend trägt zur Annäherung Russlands und Armeniens auch die oberste politische Führung bei. Es genügt daran zu erinnern, dass der Administrationsleiter des Präsidenten der Russischen Föderation, Aleksandr Woloschin, im September 2002 Jerewan aufsuchte. Es ist bekannt, dass dieser nicht oft mit internationaler Tätigkeit beschäftigt ist, sondern sich auf die Lösung politischer Probleme konzentriert. Symptomatisch ist, dass praktisch gleichzeitig mit ihm der Verteidigungsminister Georgiens David Tewsadse in Jerewan weilte. Möglicherweise ging es dabei um die Verlegung von Truppen aus Georgien nach Armenien. (...)
Zu den hohen Amtspersonen Russlands, die äußerst aktiv dabei waren, Kontakte zwischen Moskau und Jerewan in den letzten Monaten zu knüpfen, gehören der Sekretär des Sicherheitsrates Wladimir Ruschajlo und der Minister für Industrie und Wissenschaft Ilja Klebanow. Der erste suchte Armenien Ende Mai 2002 auf und gab bekannt, dass Waffen an dieses Land geliefert werden. Bemerkenswert ist, dass diese Information nicht konkretisiert wird, obwohl Waffen bereits geliefert werden. (...)
Betont werden muss, dass Jerewan nicht nur seine Kontakte zu Moskau aktiviert, sondern parallel auch einen aktiven Dialog mit Washington führt. In diesem Jahr startete das Programm der amerikanischen Hilfe für Jerewan, das mit 4,5 Millionen Dollar bewertet wird. In einem Jahr werden in Armenien NATO-Manöver stattfinden. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird in den USA davon ausgegangen, dass es gelingen wird, Armenien dank großer finanzieller Möglichkeiten "auf seine Seite" zu ziehen und nicht zuzulassen, dass dieses sich in ein russisches Aufmarschgebiet im Kaukasus verwandelt, von dem aus Moskau Prozesse in einer strategisch wichtigen Region beeinflussen kann. (...)
Die Schulden sind fast vergessen
Die "Nesawissimaja gaseta" hat bereits über die Tilgung der Schulden Armeniens bei Russland (101 Millionen US-Dollar) durch die Übergabe einiger armenischer Betriebe an die Russische Föderation berichtet. Ein entsprechendes Rahmenabkommen war am 17. Juli dieses Jahres in Jerewan zwischen Ilja Klebanow und dem Verteidigungsminister und Sekretär des Sicherheitsrates Armeniens Sersch Sarkissjan als Kovorsitzender der russisch-armenischen Regierungskommission für wirtschaftliche Zusammenarbeit unterzeichnet worden.
Bis jetzt können die Seiten jedoch nicht übereinkommen, was das von Armenien angebotene Wärmekraftwerk Rasdan, die drei Forschungsinstitute und der "Mars"-Betrieb Wert sind. (...) Ungeachtet dessen sind die russisch-armenischen Verhandlungen in der letzten Zeit rasch aktiviert worden, um Protokolle über die Übergabe und Übernahme der erwähnten Objekte zu unterzeichnen, obwohl bekanntlich weder die Kosten, noch die künftigen Eigentümer bekannt sind.
Ilja Klebanow wiederholt immer wieder, dass die Aufgabe der Verhandlungen nicht in der Genesung der armenischen Wirtschaft durch die Realisierung gegenseitig vorteilhafter Investitionsprojekte liegt (eben dieses Ziel setzte jedoch Wladimir Putin während seines offiziellen Besuches in Jerewan im Januar 2001), sondern in der Tilgung der armenischen Schulden. Um jeden Preis müssen die 101 Millionen Dollar vom Tisch, obwohl alle Objekte zusammen maximal 35 Millionen Dollar Wert sind. Dabei müssen noch in deren Wiederbelebung hohe Summen gesteckt werden, die vom russischen Haushalt nicht vorgesehen sind.
Was die Verhandlungen angeht, so werden diese streng geheim gehalten. Es wird von der großen Bedeutung der Forschungsinstitute für Russland gesprochen. Es sieht so aus, als ob hinter der Geheimnistuerei um die armenischen Schulden, die in Verluste für den Haushalt Russlands münden kann, politische Gründe stecken.
Nach dem Besuch von Aleksandr Woloschin im September dieses Jahres in Jerewan begab sich Michail Kassjanow in die armenische Hauptstadt, der bis zuletzt sehr vorsichtig war, was die Pirouetten von Ilja Klebanow um die armenischen Schulden angeht. Uns vorliegenden Informationen zufolge wird der Premier praktisch gezwungen, die Protokolle über die Übernahme und Übergabe der Objekte zu unterzeichnen, auch wenn man sich über deren Kosten nicht einigen sollte. All das wird getan, um Präsident Robert Kotscharjan zu unterstützen, gegen den sich praktisch alle wichtigen politischen Kräfte des Landes vereint haben. Die Chancen von Kotscharjan bei den am 19. Februar 2003 bevorstehenden Präsidentschaftswahlen sehen nicht rosig aus. Unter diesen Bedingungen muss er dem armenischen Volk zeigen, dass er "prorussisch" gesinnt ist. (...)
Es stellt sich erneut die Frage, die die "Nesawissimaja gaseta" bereits einmal stellte. Was steckt hinter dem Versuch von Ilja Klebanow, dem russischen Steuerzahler unrentable Objekte aufzuhalsen? Wieso werden nicht gegenseitig vorteilhafte Projekte realisiert, die für die Bürger beider Staaten von Vorteil sind? Es sieht so aus, als ob Wladimir Putin, der einen richtigen und rechtzeitigen Gedanken über die Tilgung der Schulden Armeniens durch Eigentum unterbreitet hatte, nicht darüber informiert wird, in welch hässliches Entchen sich sein schöner Schwan verwandelt hat.
Armenien ist der wichtigster Verbündete Russlands im Kaukasus. Eben deshalb kann es sich Moskau nicht erlauben, sein Ansehen bei der Bevölkerung dieses Landes durch zweifelhafte Projekte zu untergraben.
Das geopolitische Minus ist offensichtlich
Lässt man bei der Bewertung der russisch-armenischen militärischen Union den emotionalen Teil über ewige Freundschaft und Sympathie beider Völker weg und operiert allein mit trockenen operativen und strategischen Begriffen, so fällt es sehr schwer, irgendwelche Vorteile für Moskau durch die Militärpräsenz des begrenzten Kontingents russischer Truppen auf dem Territorium dieser Kaukasus-Republik zu formulieren. (...)
Offizielle Persönlichkeiten Moskaus unterstrichen mehrmals, dass die russische Militärpräsenz in Armenien ausschließlich Aufgaben der Verteidigung lösen und keine Offensiven starten soll. Darin verbirgt sich eine bestimmte Hinterlist, da der vorhandene Gruppenverband weder das eine, noch das andere kann. Er ist nur imstande, die russische Militärpräsenz in der Region symbolisch kenntlich zu machen. Die begrenzte russische Militärpräsenz in Armenien kann real zur Lösung von nur zwei Aufgaben beitragen – entweder Russland in einen Krieg im Falle eines hypothetischen (aber sehr wahrscheinlichen) Zusammenstoßes zwischen Armenien und der Türkei zu verwickeln oder die Beschäftigung der armenischen Bevölkerung zu gewährleisten, die in der Nähe der Orte lebt, in denen die russischen Truppen stationiert sind. Das russische Kontingent ist heute nicht imstande, irgendwelche anderen Aufgaben zu lösen. (...)
Vorteile hat allein die armenische Seite. Die Führung des Landes begreift, dass Armenien in einem hypothetischen Militärkonflikt mit einem stärkeren Nachbarn und unter den Bedingungen der andauernden Transportblockade nicht überleben kann. Deshalb tut sie alles, um die militärische Zusammenarbeit mit Russland zu festigen (vergisst dabei aber auch den Westen nicht). Die Ziele Jerewans sind klar, logisch und werden von den nationalen Interessen diktiert, die die Führung des Landes richtig versteht. Für Moskau sind die Vorteile der Militärpräsenz in Armenien jedoch unklar und können den größten Teil der russischen Öffentlichkeit nicht überzeugen. (...) (lr)