Warum Deutschland einen Nationalen Sicherheitsrat gründet
12. August 2025Gäbe es den geplanten Nationalen Sicherheitsrat schon heute, stünde Bundeskanzler Friedrich Merz wegen des Stopps von Waffenlieferungen für Israel womöglich nicht ganz allein in der Kritik. "Vermutlich wäre die Entscheidung besser vorbereitet und die Abstimmung geschmeidiger gewesen", sagt Aylin Matlé, Expertin für Sicherheit und Verteidigung bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). "Auch der Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan wäre womöglich nicht so chaotisch verlaufen, weil man ihn viel früher vorbereitet und entschieden hätte", fügt Matlé hinzu.
Warum schafft Deutschland den Nationalen Sicherheitsrat?
Rund 60 Länder weltweit haben Gremien, die dem in Deutschland geplanten Nationalen Sicherheitsrat (NSR) ähneln. Anders als in den USA oder in Frankreich wird in Deutschland aber auch in Zukunft kein Durchregieren in Sicherheitsfragen möglich sein. Dennoch soll ein NSR die Bundesregierung handlungsfähiger in Krisenzeiten machen.
Mit der Einigung der Koalition aus CDU/CSU und SPD auf die Gründung des Nationalen Sicherheitsrates geht eine jahrzehntelange Diskussion zu Ende. Dies liegt zum einen daran, dass Deutschland früher selten in einer Führungsrolle gefragt war und sich daher langsamere Abstimmungsprozesse leisten konnte. Zudem gab es in Sicherheitsfragen in den vergangenen Jahren immer wieder parteipolitische Blockaden in den Koalitionsregierungen, sodass ein effizienterer Entscheidungsprozess notwendig wurde.
"Weil sich Berlin oft auch gar nicht erst entscheiden konnte, hat sich die Bundesregierung bei zentralen Fragen in Europa oft enthalten", sagt Philipp Rotmann vom Global Public Policy Institute (GPPi) in Berlin. Das wiederum habe zu Frustration unter europäischen Partnern geführt. Dabei sei es, so Rotmann, für das Land und zur Sicherung deutscher Interessen notwendig, dass die Regierung schneller und stärker entscheidet.
Seit dem russischen Überfall auf die Ukraine wird das deutlicher denn je. "Die Ampel-Regierung schaffte es zwar, eine Nationale Sicherheitsstrategie zu schreiben, doch die Chance, in diesem Zuge einen Nationalen Sicherheitsrat zu schaffen, hat man vertan", sagt Aylin Matlé. Nun will die Merz-Regierung endlich Fakten schaffen. Der NSR wurde im Koalitionsvertrag verankert und gilt als Lieblingsprojekt des Kanzlers. Schon in der ersten Kabinettssitzung nach der Sommerpause, Ende August, will die Bundesregierung die Gründung des neuen Gremiums beschließen. Im Oktober solle der NSR mit der Arbeit beginnen, heißt es aus Regierungskreisen.
Welche Aufgaben übernimmt der NSR?
Hauptaufgabe des "Nationalen Sicherheitsrats" wird es sein, alle relevanten Informationen und Analysen an einem Ort zu bündeln und zu koordinieren, damit es auf einer möglichst breiten Grundlage zu schnelleren Entscheidungen kommen kann.
Der NSR soll regelmäßig tagen und auch die "strategische Vorausschau und Planung" übernehmen. Damit soll fortgesetzt werden, womit schon die Vorgängerregierung in den vergangenen Jahren begonnen hatte. Die Ampel-Koalition aus Sozialdemokraten, Liberalen und Grünen verfasste eine Nationale Sicherheitsstrategie; die neue Regierung will nun eigene Akzente setzen und die Strategie weiterentwickeln - unter Einbindung von "Denkfabriken, sowie im ständigen Austausch mit den nationalen Sicherheitsräten verbündeter Staaten", so der Plan.
Eine wichtige Aufgabe des NSR wird auch die Entwicklung von Szenarien und Übungen für Krisensituationen sein, zum Beispiel in Form von Krisensimulationen für Flugzeugentführungen oder Anschläge. "Es geht vor allem darum, auch proaktiv Politik zu gestalten und nicht nur auf Ereignisse zu reagieren", erklärt die DGAP-Expertin Matlé.
Dem Nationalen Sicherheitsrat wird der Bundeskanzler vorsitzen. Als ständige Mitglieder sollen im NSR neben dem Chef des Kanzleramtes, in dessen Zuständigkeit die Geheimdienstkoordination fällt, acht weitere Ministerien vertreten sein: Außen-, Innen-, Verteidigungs-, Finanz-, Wirtschafts-, Justiz-, Entwicklungs- und Digitalministerium.
Wenn die Lage es erfordert, können auch weitere Mitglieder der Bundesregierung oder Vertreter der Bundesländer hinzugezogen werden. Auch Vertreter anderer Länder, der NATO und der EU könnten bei Bedarf dabei sein, ebenso wie Chefs von Sicherheitsbehörden, Experten aus Denkfabriken und der Privatwirtschaft. Die Arbeit soll von einer Stabsstelle im Kanzleramt organisiert werden, die drei zentrale Bereiche hätte: die Analyse-Bereiche "Integriertes Lagebild" und "Strategische Vorausschau" sowie die koordinierende "Geschäftsstelle".
Was ändert sich?
Mit dem NSR fallen zwei Gremien weg: der Bundessicherheitsrat, der bisher vor allem die deutschen Rüstungsexporte genehmigt hat, und das Sicherheitskabinett, in dem sich das Kanzleramt mit den Ministerien zu wichtigen Fragen austauscht - beide Aufgaben übernimmt in Zukunft das neue Gremium. Es soll "Kompetenzen und Wissen bündeln, aufarbeiten und koordinieren", heißt es in einem Dokument zur Vorbereitung des Nationalen Sicherheitsrates, das der DW vorliegt. Es gehe darum "politische Entscheidungen im Sinne eines 360-Grad-Blicks" zu treffen, heißt es darin.
Wird das so tatsächlich umgesetzt, wäre dies ein Novum in Deutschland. Denn die Ministerien könnten damit ein Stück ihrer Eigenständigkeit verlieren. "Gleichzeitig könnten sie aber die Entscheidungsprozesse mitgestalten, indem sie früh eigene Vorschläge einbringen", sagt Philipp Rotmann. "Wenn das Wissen aus allen Ressorts im Vorfeld gesammelt und zu einem gemeinsamen Lagebild vorbereitet würde, könnten Entscheidungen effizienter vorbereitet werden", sagt Aylin Matlé von der DGAP. Sie warnt jedoch vor zu großen Erwartungen: "Es ist ein wichtiger erster Schritt, aber wir müssen abwarten, wie sich das Gremium in der Realität entwickelt", fügt die Expertin hinzu. "Wird der NSR in der Lage sein, wirklich ressortübergreifend Szenarien zu entwickeln und Entscheidungen zu treffen oder setzen sich Beharrungskräfte durch - wodurch der Rat als Papiertiger enden könnte?"
De Nationale Sicherheitsrat wird geheim tagen, seine Beschlüsse werden jedoch veröffentlicht. Es sei wichtig, "in einer Demokratie die Bedeutung und die Relevanz dieser einzelnen Entscheidungen zu erklären und den Leuten einen Einblick zu geben", sagt Philipp Rotmann. Genauso wichtig sei es, früh die Parteien einzubinden und offen zu kommunizieren, damit nicht "irgendwelche Verschwörungstheorien und Gerüchte in die Welt gesetzt werden, was in diesem Nationalen Sicherheitsrat passiert."