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KonflikteAfrika

Warum Afrika Kolonialherrschaft als "Völkermord" einstuft

Kossivi Tiassou
14. März 2025

Die jüngste Entscheidung der Afrikanischen Union, Sklaverei, Deportation und Kolonisierung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord einzustufen, hat Symbolkraft. Doch ist sie rechtlich bindend?

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Vollbesetzter Plenarsaal aus der Vogelperspektive - im Hintergrund afrikanische Flaggen und entlang der Wände stehende Menschen
Zu Beginn des 38. Gipfeltreffen der Afrikanischen Union riefen die Staats- und Regierungschefs zu Fortschritten bei der Wiedergutmachung für den Missbrauch durch die Kolonialmächte in der Vergangenheit aufBild: Solomon Muchie/DW

Das Erbe von Kolonialismus, Sklaverei und systematischer Diskriminierung in Afrika war ein Kernthema beim jüngsten Gipfel der Afrikanischen Union (AU). Im Mittelpunkt des Treffens in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba standen Fragen von Gerechtigkeit und Wiedergutmachung für Afrikaner und Menschen afrikanischer Abstammung.

Im Anschluss an das Gipfeltreffen, das ansonsten von den Konflikten im Sudan und der Demokratischen Republik Kongo beherrscht wurde, gab das algerische Außenministerium eine Erklärung ab. Darin lobte es die Verabschiedung eines Beschlusses, der das Vorgehen der Kolonialmächte in Afrika klar verurteilt. Auch von anderer Stelle gab es positive Reaktionen:

"Die Entscheidung, Sklaverei, Deportation und Kolonisierung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord an den Völkern Afrikas einzustufen, ist ein entscheidender Schritt, ein Sieg für Afrika in seinem Streben nach Selbstbestimmung und Kontrolle über sein eigenes Schicksal", heißt es in einer Erklärung von Robert Dussey, dem togoischen Außenminister, nach der Abstimmung über die von seinem Land initiierte Resolution. Doch was kann sie bewirken?

Mögliche rechtliche Konsequenzen

Die Resolution könnte die Position Afrikas in internationalen Verhandlungen über Erinnerung, Gerechtigkeit und historische Ungleichheiten stärken, schätzt der beninische Historiker Didier Houenoude, Experte für Raubkunst aus der Zeit der Sklaverei und Kolonialisierung. "Das bedeutet, dass die Afrikanische Union von den Kolonialstaaten, also den westlichen Staaten, die am transatlantischen Sklavenhandel beteiligt waren, eine Entschädigung für die Opfer fordern könnte, die unter diesen Praktiken gelitten haben", führt Houenoude aus.

Berlin-Konferenz: Noch immer leidet Afrika unter den Folgen

Der Text schaffe einen rechtlichen Rahmen, der offiziell und international Handlungen wie Sklaverei, Zwangsdeportation und Kolonialisierung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord definiert und betont, dass sie "zum Nachteil" der afrikanischen Bevölkerung "geplant und methodisch ausgeführt" wurden, schreibt die Afrikanische Presseagentur (APA).

Christian Tomuschat, emeritierter Professor für öffentliches Recht und Völkerrecht an der Humboldt-Universität in Berlin, bezweifelt hingegen die Bedeutung des Textes: "Ich respektiere die Ansicht, dass die Kolonisierung ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellt. Man kann eine solche Resolution verabschieden, aber sie hat keine rechtlichen Konsequenzen, auch nicht nach der modernen Völkerrechtsdoktrin", sagt er. "Es gibt klassische Regeln des Völkerrechts, die besagen, dass jedes Unrecht durch Entschädigung wiedergutgemacht werden muss", erklärt Tomuschat, der auch ehemaliges Mitglied des UN-Menschenrechtsrates und der UN-Völkerrechtskommission ist. "Dies ist eine Entwicklung im modernen Völkerrecht, aber sie kann nicht rückwirkend auf das 17., 18. und 19. Jahrhundert angewandt werden."

Was sagt das Völkerrecht?

Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH), ein Strafgericht außerhalb der Vereinten Nationen mit Sitz in Den Haag, ist für die strafrechtliche Verfolgung von Personen zuständig, denen Völkermord oder Kriegsverbrechen vorgeworfen werden. Artikel 7 des Römischen Statuts, das die vertragliche Grundlage für das Gericht darstellt, definiert Verbrechen gegen die Menschlichkeit als "jede der folgenden Handlungen, wenn sie als Teil eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen die Zivilbevölkerung und in Kenntnis des Angriffs begangen wird":

Zu diesen Handlungen gehören demnach Mord, Ausrottung, Versklavung, Deportation, Folter, Vergewaltigung, sexuelle Sklaverei und Apartheid. Diese Definition umfasst auch die Verfolgung einer identifizierbaren Gruppe oder Gemeinschaft aufgrund von politischen, nationalen, ethnischen, kulturellen, religiösen oder geschlechtsspezifischen Kriterien.

Nahaufnahme von antiken Fußfesseln mit Eisenkette auf Steinboden
Der Sklavenhandel weckt in verschiedenen Teilen Afrikas unschöne Erinnerungen. Oft waren europäische Kolonialmächte federführend, aber auch arabische Händler und lokale Profiteure spielten eine entscheidende Rolle - hier eine Gedenkstätte auf dem ehemaligen Sklavenmarkt in Stone Town, Sansibar.Bild: Britta Pedersen/ZB/pdpa-Zentralbild/icture alliance

Über diesen Rahmen hinaus gibt es keine anderen internationalen Rechtsmechanismen, die es afrikanischen Staaten erlauben, verbindliche Entschädigungen zu fordern. Einige Rechtsexperten sind jedoch der Meinung, dass die neue Resolution Initiativen vor Institutionen wie dem Internationalen Gerichtshof (IGH) ermutigen könnte. Der IGH, ebenfalls in Den Haag, ist das Hauptrechtsprechungsorgan der Vereinten Nationen.

Ein symbolischer und politischer Fortschritt

Historiker Houenoude deutet an, dass die angenommene Resolution die Art und Weise, wie Geschichte in afrikanischen Schulen gelehrt wird, neu definieren könnte: "Ich glaube, dass diese entscheidenden Momente der Menschheitsgeschichte von der Grundschule an gelehrt werden und dass die Tatsache hervorgehoben wird, dass ein Verbrechen von einem Teil der Menschheit gegen einen anderen begangen wurde", sagt Houenoude. "Dies wird dazu beitragen, die Identität und das Geschichtsbewusstsein der Afrikaner zu prägen."

Bronze-Skulptur, gehalten von zwei Händen in blauen Handschuhen, Oberkörper im weißen Kittel
Noch heute lagern wertvolle afrikanische Kunstgegenstände in Europa. Diese Benin-Bronze durfte 2022/23 wieder in ihre nigerianische Heimat zurückkehren.Bild: Wolfgang Kumm/dpa/picture alliance

Der beninische Historiker, der sich derzeit im Rahmen seiner Forschungen über geraubte Kunstgegenstände und andere Vermögenswerte aus der Zeit der Kolonialisierung in Dresden aufhält, glaubt, dass der Schritt der Afrikanischen Union auch die Rückgabe dieser Artefakte erleichtern könnte: "Die meisten der in Museen ausgestellten Werke wurden illegal erworben und sollten zurückgegeben werden. Ich persönlich halte die Ausstellung der Überreste von Vorfahren in einem Museum für ein eklatantes Zeichen der Missachtung. Dafür ist ein Museum nicht gedacht. Die Überreste der Vorfahren sollten begraben werden", sagte er.

Mit der Initiative reagiert die Afrikanische Union auf die anhaltenden Forderungen der afrikanischen Zivilgesellschaft und von Diaspora-Organisationen, die sich seit langem für eine offizielle Anerkennung des Leids einsetzen, das Afrikanerinnen und Afrikanern damals zugefügt wurde. Die angenommene Resolution stellt einen symbolischen und politischen Fortschritt dar - doch ihre konkreten Auswirkungen werden wahrscheinlich von den diplomatischen und rechtlichen Maßnahmen abhängen, die die afrikanischen Staaten ergreifen werden.

Adaption aus dem Englischen: Nikolas Fischer