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Vom Landstädtchen zum Weltbad

Gerd Schmitz29. September 2001

1.200 Jahre Bad Kissingen

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Buntes Treiben auf dem Marktplatz von Bad KissingenBild: Bad Kissingen

Der Festumzug war diesmal besonders schön, weil Bad Kissingen ein Jahr lang das 1200-jährige Bestehen feiert. Um 823 wurden die ersten Salzquellen entdeckt. Als um 1500 die Heilwirkung der Kissinger Quellen erkannt wurde, begann die Entwicklung des fränkischen Landstädtchens zum Bad der Fürstbischöfe und des Adels, sodann vom Diplomaten-, Bismarck-, Kaiser-, Magen- und Gallenbad zum Weltbad im 19. Jahrhundert.


Nach fränkischer Art steht mitten auf dem Marktplatz das Renaissance-Rathaus von 1577, das heute für Ausstellungen genutzt wird. Hier lernt der Besucher in einer Zeitreise ausgewählte Facetten aus der Geschichte der Stadt kennen. Zuerst taucht er in die Lebensumwelt der Biedermeierzeit ein. Vom Marktplatz aus geht die Reise dann zurück zur ersten urkundlichen Erwähnung: Das früheste original erhaltene Zeugnis der Stadt, eine Urkunde Kaiser Ludwigs des Frommen aus dem Jahr 841. Im Mittelalter prägten die Henneberger die Geschicke Kissingens. Mit dem Minnesänger, Kreuzfahrer und Klostergründer Otto von der Botenlaube (1175-1244) gelangt der Zeitreisende ins Heilige Land. Stadtarchivar Peter Weidisch:

Von Schweden und Bienenkörben


"Otto von Botenlauben ist einer der wenigen fränkischen Adeligen, der als Kreuzfahrer im Heiligen Land verblieben ist, dort über die Heirat mit Beatrix von Courtenay Besitz erworben hat. Das ist die eine Facette, die andere sind seine Minnelieder, die uns tradiert sind bis in die heutige Zeit, die auch aus germanistischer Sicht sehr interessant sind. Es ist eine beachtliche Burg hier entstanden zur Zeit Ottos von Botenlauben. Das lässt wieder darauf zurückführen, dass er seinen beträchtlichen Besitz in der Levante verkauft hat und mit diesem Vermögen diese Burg ausbauen konnte. Der dritte Aspekt ist die Gründung von Kloster Frauenroth, die er zusammen mit seiner Frau tätigt."

Die unruhigen Zeiten des Bauernkrieges und des Dreißigjährigen Krieges werden in der Ausstellung ebenso erlebbar wie die Errettung der Stadt durch den Einsatz von Bienen. Nach einer Sage sollen 1643 die angreifenden Schweden in die Flucht getrieben worden sein, als die Kissinger von der Stadtmauer herab Bienenkörbe auf sie schleuderten. Fortan war von der Kissinger "Bienenschlacht" die Rede.

1738 baute das Würzburger Genie, der Hofarchitekt Balthasar Neumann die ersten Kuranlagen, die aber längst durch Neubauten ersetzt sind. Die größten Förderer des Bades Kissingen aber waren die Wittelsbacher.

"Nach dem Anschluss an Bayern fängt der enorme Aufstieg von diesem kleinen Landstädtchen zum Weltbad statt. Hier muss Ludwig I. genannt werden, der das Potenzial in den Quellen erkannte und Kissingen zum Bad ausbaute. Hier muss ein zweiter Name fallen, nämlich Friedrich von Gärtner, der Stararchitekt König Ludwigs I. Die Konzeption von Stadt und Bad, schauen Sie sich den Arkadenbau an, der heute noch einen zentralen Punkt einnimmt, dieses Konzept geht zurück auf Friedrich von Gärtner und natürlich auch die Hauptachse der Stadt in Verlängerung der von ihm gebauten Ludwigsbrücke."

"Who-is-Who" des 19. Jahrhunderts


Besucher der Ausstellung erfahren Spannendes und Wissenswertes über das bayerische Königshaus und die Kur, die damalige Mode und die Geschäftswelt, erhalten aber auch einen Einblick in das Leben der zahlreichen Dienstboten. Wie ein Who-is-Who des 19. Jahrhunderts lesen sich die Kurlisten und das Goldene Buch der Stadt.
In den Blickpunkt der Militärgeschichte gerät die inzwischen zum Weltbad aufstrebende Stadt mit der Schlacht bei Kissingen im so genannten "Bruderkrieg" von 1866. Sie spiegelt die Stellung der Bäderstadt zwischen Bayern und Preußen wider:

"Es ist vielleicht etwas überraschend, dass ausgerechnet ein Kurbad, ein Weltbad, in ein Kampfgeschehen verwickelt wurde. So mag es erstaunen, dass am 10. Juli 1866 hier bayerische und preußische Truppen aufeinander trafen und mit Fontane zu sprechen: Diese Schlacht hatte etwas von großer Aktion an sich und vveerrdient, fortzuleben von Kindeskind auf Kindeskind. Durch diese Schlacht geriet Bad Kissingen in die Schlagzeilen der Weltpolitik."

Wichtig für Kissingens Weltruf war Fürst Otto von Bismarck. Das Saalebad habe ihn zum zweiten Mal der Welt geboren. Bei dieser Behauptung blieb der Mitbegründer des Deutschen Reiches und erste deutsche Reichskanzler auch nach einem Attentat. Am 13. Juli 1874 hatte der Böttchergeselle Franz Kullmann aus Magdeburg Bismarck mit einem Pistolenschuss verletzt: "Diese Sache ist zwar nicht kurgemäß, aber das Geschäft bringt es eben so mit sich", brummte er über sein angeschossenes Handgelenk. Bismarck wurde zu einer Kultfigur. Tausende reisten mit Sonderzügen nach Kissingen, um ihm zuzujubeln. Fünfzehn Mal kam der Fürst, insgesamt über 60 Wochen, zuletzt 1893, um sein stattliches Gewicht von zeitweise 247 Pfund mit Kissinger Kurmolke und Rákóczy-Heilwasser zu reduzieren.

Bad Kissingen
Das Renaissance-Rathaus am Marktplatz, erbaut 1577Bild: Bad Kissingen


Damals schrieb die Wiener Neue Presse: "Der Schwerpunkt des Deutschen Reichs ist nach Kissingen verlegt." Hier unterschrieb Bismarck 1877 das "Kissinger Diktat" über seine Maxime der deutschen Außenpolitik und 1880 seine Entschließung zur Arbeiterversicherung.

Eine weitere Ausstellung im Gewölbekeller des Bismarck-Museums zeigt anhand von historischen Postkarten, Fotos und Dokumenten, wie sich Bad Kissingen zum Weltbad entwickelt hat. Im wesentlichen spielte sich diese Entwicklung in den 100 Jahren von 1830 bis 1930 ab.


Auf den ältesten Ansichten aus dem 18. Jahrhundert sieht man eng aneinander gebaute Häuschen, die sich hinter der Stadtmauer ducken. Außerhalb der Mauern erkennt man barocke Gartenanlagen und den Gesundheits-Brunnen. Postkarten um 1900 senden einen "Gruß aus Kissingen" und lassen das kaiserliche Bad wieder erstehen, mit den großen Luxushotels und ihren Gästen, dem Kurorchester und der Wandelhalle, dem Kurhausbad, dem Maxbrunnen, dem ältesten Kurbrunnen Bad Kissingens, nachweisbar seit 1520, damals "Sauerbrunnen" genannt, 1815 zu Ehren König Maximilians von Bayern umbenannt. Und dann immer wieder der Regentenbau, das 1913 fertiggestellte prächtige Herzstück der neuen Kuranlagen mit Lese- und Spielzimmern sowie Festsälen.
Kuranlagen und Kurgebäude wurden dann an neue Erkenntnisse der Kurmedizin und dem sich wandelnden Zeitgeschmack angepasst: Stadtarchivar Peter Weidisch:

Bad Kissingen
Der Sitzungssaal des MagistratsBild: Bad Kissingen

Florentinische Frührenaissance


"Das spiegelt sich im königlichen Kurhaus wider, das erweitert wurde. Man brauchte mehr Zimmer, man brauchte bessere Zimmer, man wollte Bäder in den Zimmern nehmen. Dieser technische Fortschritt spiegelt sich aber auch wider in dem Neubau von Kurhäusern. Hier sind vor allem drei zu nennen: das Salinenbad, das heute nicht mehr existiert, das ehemalige Aktienbad, in dem sich heute das Spielcasino befindet, und das Kurhausbad, das von einem weiteren großen Architekten hier in Bad Kissingen, von Max Littmann gebaut wurde. Man wollte die modernsten Geräte und Einrichtungen der Zeit haben und hier war Kissingen anderen Bädern voraus."

Durch die Arkaden, die auf Betreiben König Ludwigs I. von Bayern in Formen florentinischer Frührenaissance gebaut wurden, promeniert man ganz traditionell zur Wandelhalle mit der sich anschließenden Brunnenhalle, die nach aufwändiger Sanierung wieder in vollem Glanz erstrahlt. Blickfang bilden außen das leuchtend grüne Dach sowie die Lichtkuppeln und die muschelförmige Drehbühne zum Kurgarten, die damals zu Beginn des 20. Jahrhunderts als technische Sensation galt. Innen sorgen exklusive Wandfliesen und Schablonenmalerei nach historischem Vorbild für eine besondere Atmosphäre.

Im Kurgarten genießt man die verschwenderische Blütenpracht und die wunderschönen Wasserspiele. Im Rosarium in Lebensgröße die Figuren der beiden Männer, die Kissingens Start zum Weltbad ermöglicht haben: der Apotheker Georg Anton Boxberger, der 1737 die Rákóczy genannte Quelle wiederentdeckte, und Balthasar Neumann, der die Quelle mit Eichenholzkufen bis hinab auf den Buntsandsteinfelsenn fasseeen ließ.

Vom Rosengarten führt ein kleiner Spazierweg in Bad Kissingens Altstadt mit einer verwinkelten Fußgängerzone. Das luxuriöse Luitpold-Casino gilt als eines der schönsten in Deutschland. Zahlreiche Bürgerhäuser, Villen, Kur- und Fremdenheime sind im Jugendstil errichtet. An die russischen Kurgäste, die einst in großer Zahl nach Bad Kissingen kamen, erinnert eine russisch-orthodoxe Kapelle im neu-byzantinischen Stil. Sie wurde 1898 durch die Bruderschaft des Heiligen Fürsten Wladimir zu Ehren des Heiligen Sergius von Radonesch errichtet. Heute leben in Bad Kissingen noch etwa vierzig russische Familien, Übersiedler und Emigranten. Es gibt auch wieder neureiche russische Kurgäste, die aber mit der Kirche nichts zu tun haben. Vater Johannes Tscherwinskij zelebriert mehrmals im Monat einen Abendgottesdienst oder eine Stundenlesung.

Früher hieß der Türmer am Unteren Tor mit dreimaligem Blasen jeden Kurgast willkommen. Das gibt es nicht mehr, auch wenn man seit der Gesundheitsreform und der damit einher gehenden Kurkrise um jeden Gast bemüht ist. 1,6 Millionen Übernachtungen gab es im vergangenen Jahr, 1,9 Millionen waren es in den besten Zeiten.


Mit Gesundheitsurlaub sowie Wellness-, Fitness- und Beauty-Angeboten stellen sich die über 300 Heilbäder und Kurorte in Deutschland den Anforderungen der Zukunft. Denn die Gesundheit steht in der so genannten Bedürfnispyramide der Deutschen ganz obenan. Jeder fünfte Deutsche will in Zukunft einen Gesundheitsurlaub verbringen. Für jedes Alter und jeden Geldbeutel gibt es mittlerweile eine breite Palette von Angeboten - vom Sporturlaub über die Meerwasser-Therapie, Ayurveda oder Traditionelle Chinesische Medizin bis Entspannungstechniken, Massagen oder Diätprogrammen. Was bietet Bad Kissingen? Ebenfalls Kur und Tourismus? Sigismund von Dobschütz, Geschäftsführer der Bayerischen Staatsbad Kissingen GmbH:

"Wir versuchen den Verlust an den so genannten klassischen Kurgästen auszugleichen auch durch Wellness-Angebote, aber unsere Stärke, eigentlich auch bedingt durch die geschichtliche Vergangenheit, ist das kulturelle Angebot. Wir haben zum 16. Mal in diesem Jahr den Kissinger Sommer gehabt, wir werden zum dritten Mal zur Jahreswende den Kissinger Winterzauber haben, wir haben ein eigenes Kurtheater, wir haben herrliche Festsäle aus dem Beginn des 20. Jahrhunderts. Unsere Gäste kommen wegen der Prachtbauten, wegen der hervorragenden Grünanlagen, sie kommen wegen des allgemeinen Ambientes und sie kommen wegen des kulturellen Angebots."

Wir sind im südlichen Teil der Rhön, jenes Berglandes zwischen Werra und Saale, im Grenzland zwischen Hessen, Thüringen und Bayern, das anders als der benachbarte Spessart oder der nahe Thüringer Wald kein Waldgebirge ist. Hier im Norden Bayerns haben sich mehr als ein Dutzend Heilbäder und Kurorte etabliert, die unter dem gemeinsamen Dach "Gesundheitspark Franken" für die vielfältigen Möglichkeiten eines Gesundheitsurlaubs werben: Bad Alexandersbad, Bad Windsheim, Treuchtlingen, Bad Brückenau, Bad Steben, Bad Königshofen, Bad Neustadt.

Bad Kissingen
Neues RathausBild: Bad Kissingen

Von der Periferie ins Zentrum Deutschlands


"Da wird also Franken als Gesundheitsdestination promotet, es wird mit einem Motto unterlegt. Wir haben eine Vielzahl von Kurorten, wir haben eine Vielzahl von Heilquellen und heute bei dem Trend zurück zu Naturheilverfahren, zu Naturheilmitteln ist es durchaus modern, darauf hinzuweisen. Jedermann geht heutzutage gerne ins Fitnesscenter, andere fahren zur Ayurveda nach Sri Lanka. Warum sollen sie also nicht, um etwas für ihre Gesundheit zu tun, auch in den Gesundheitspark Franken kommen."

Die Wiedervereinigung hat Bad Kissingen aus der Grenzlage ins Zentrum Deutschlands gerückt. Und der Abzug der hier seit 1945 stationierten amerikanischen Streitkräfte hat Platz geschaffen. Etwa für den Bau einer neuen Heilbadelandschaft. Unter dem Titel "Format Bad Kissingen" wurde ein bundesweit herausragendes Konzept für die Zukunftsgestaltung der Stadt miit Ideeen und Vorschlägen für die Weiterentwicklung des einstiges Weltbades entwickelt. Es handelt sich um Vorschläge im baulichen, infrastrukturellen, aber auch im Service-Bereich. Und das unter der Devise: "Bad Kissingen im 3. Jahrtausend - ein Kurort startet durch".