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Wiederaufrüstung Europas - woher kommt das Geld?

11. März 2025

Die "Wiederaufrüstung Europas" ist beschlossen, die EU will die Ausgaben für Rüstung drastisch erhöhen. Schlägt jetzt die Zeit gemeinsamer Schulden, der Eurobonds?

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Europafahne auf einer Militäruniform
800-Milliarden sollen in die Aufrüstung Europas fließen - so wollen es die Staats- und Regierungschefs der EUBild: Depositphotos/IMAGO

Rund 800 Milliarden Euro sollen für die "Wiederaufrüstung Europas" mobilisiert werden, so Vertreter der EU-Staaten auf einem Sondergipfel am 6. März 2025 in Brüssel. Ursula von der Leyen, die Präsidentin der EU-Kommission, will demnächst Details liefern, wie das finanziert werden soll.

Bisher sieht es so aus, als solle der Großteil des 800-Milliarden-Pakets, 650 Milliarden Euro, durch neuen Schulden der einzelnen EU-Länder hereinkommen, nicht durch gemeinsame Schulden. Die restlichen 150 Milliarden sollen Kredithilfen sein, die durch den EU-Haushalt abgesichert werden - was gemeinsamen Schulden schon näher kommt.

Schulden in unbegrenzter Höhe

Friedrich Merz, der voraussichtlich nächste deutsche Bundeskanzler, hat schon einmal vorgelegt. Lange war er ein Gegner neuer Schulden. Jetzt setzt er sich dafür ein, für Rüstung Kredite in unbegrenzter Höhe aufnehmen zu dürfen. "Whatever it takes", sagt Merz dazu.

Friedrich Merz (links) und Ursula von der Leyen sitzen beim Bundesparteitag der CDU nebeneinander
Damals waren beide noch überzeugte Transatlantiker: Friedrich Merz (l.) und Ursula von der Leyen auf dem Bundesparteitag der CDU am 8.5.2024Bild: Michael Kappeler/dpa/picture alliance

Damit es die anderen EU-Länder ähnlich halten, will von der Leyen eine "Ausweichklausel" aktivieren. "Dies wird es den Mitgliedstaaten ermöglichen, ihre Verteidigungsausgaben erheblich zu erhöhen", hatte sie schon auf der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar gesagt.

"Die Ausnahmeklausel hilft dabei, diese Ausgaben mit dem Stabilitäts- und Wachstumspakt vereinbar zu machen", so Jürgen Matthes, zuständig für internationale Wirtschaftspolitik und Finanzmärkte beim Institut der Deutschen Wirtschaft (IW).

Der Pakt schreibt den 20 Ländern der Eurozone klare Obergrenzen für Staatsverschuldung (60 Prozent des BIP) und Haushaltsdefizit (3 Prozent) vor. Doch viele Euroländer sind schon jetzt deutlich höher verschuldet.

Wenn diese Länder bald zusätzliche Schulden machen, wird Brüssel künftig beide Augen zudrücken, anstatt wie bisher mit Strafen zu drohen.

Zinsunterschiede als Alarmsignal

EU-intern verschafft das den Ländern mehr Luft. Ob das auch die Finanzmärkte überzeugt, steht auf einem anderen Blatt.

Denn dort wird vor allem auf die sogenannte Bonität geachtet. Die Fähigkeit zur Rückzahlung drückt sich in Ratings aus, die spezialisierte Agenturen erstellen. Ein schlechtes Rating macht Kredite teurer.

Im Euroraum muss Deutschland für seine Schulden die geringsten Zinsen zahlen. Der Abstand zu den Zinssätzen anderer Länder wird Spread genannt.

Italien muss im Vergleich zu Deutschland eine Risikoaufschlag von 1,2 Prozentpunkten bezahlen. Zu Beginn der Euro-Schuldenkrise ab 2010 war der Abstand sogar noch geringer, stieg dann aber bald auf fast fünf Prozentpunkte an. Für Portugal und Griechenland war der Aufschlag noch höher.

Je höher der Zins, desto weniger finanzieller Spielraum bleibt einem Land für andere Aufgaben, seien es Investitionen, Bildung oder Renten. So entstehen Fliehkräfte, die die Währungsunion während der Schuldenkrise an den Rand des Scheiterns brachten.

Welche Auswirkungen neue Schulden für Verteidigung auf die Spreads haben, sei "noch nicht klar", so Matthes vom IW.

Lehren aus der Schuldenkrise

Ein Risiko besteht aber durchaus. Matthes verweist daher auf ein Instrument aus der Zeit der Schuldenkrise. Mit dem Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) war damals ein Rettungsschirm mit einem Volumen von mehren hundert Milliarden Euro geschaffen worden, um der Eurozone durch den Sturm zu helfen.

Matthes sieht den ESM auch in Zukunft als "Sicherheitsbackup" für die Europäer. "Daher dürfen seine freien Mittel nicht für Verteidigungsausgaben sachfremd verwendet werden."

Zeit für Eurobonds?

Große Ausgaben, große Risiken - ist das der Zeitpunkt für eine gemeinsame Verschuldung, also Eurobonds?

Das Prinzip: Wenn sich die Europäer gemeinsam verschulden, sind die Konditionen für die meisten Länder günstiger, als wenn sie sich einzeln verschulden. Sie profitieren von der guten Bonität der "reicheren" Länder - und die wiederum haften im Zweifel für die gesamte Schuldenlast.

Das Thema spaltet die EU seit Jahren. Der Riss verläuft zwischen Nord- und Südländern. Die Nordländer (u.a. Deutschland, Österreich, die Niederlande und Finnland) werfen den Südländern (Frankreich, Italien, Spanien, Portugal, Griechenland u.a.) mangelnde Disziplin in der Haushaltsführung vor und weigern sich, für deren Schulden zu haften.

Auch das EU-Recht verbietet, dass ein Land für die Schulden eines anderen haftet. So steht es im "Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union", Artikel 125.

Porträt Mario Draghi hinter einem Rednerpult
"Whatever it takes" - mit diesen Worten rettete Mario Draghi, damals Chef der Europäischen Zentralbank, die Währungsunion vor dem Zerbrechen. 2024 legte er einen vielbeachteten Bericht zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit vor und sprach sich für gemeinsame Schulden ausBild: Yves Herman/REUTERS

Um Eurobonds zur Finanzierung der Verteidigung nutzen zu können, wäre also eine Änderung der EU-Verträge nötig. Das wäre nicht nur langwierig, sondern würde auch Einstimmigkeit erfordern. Fraglich, ob das realistisch ist.

Gemeinsame Schulden gibt es schon

Doch es gibt bereits erprobte Formen gemeinsamer Kreditaufnahme, wenn auch mit begrenzter Haftung.

Etwa das 750-Milliarden-Konjunkturpaket, das die EU während der Corona-Pandemie aufgelegt hat. Damals, im Jahr 2021, verschuldete sich die EU erstmals als Gemeinschaft. Die Haftung für einzelne Länder ist dabei auf ihren Anteil am EU-Haushalt begrenzt. Für Deutschland wäre das rund ein Viertel der Summe.

Auch der bereits erwähnte Rettungsschirm ESM oder sein Vorgänger EFSF waren Formen gemeinsamer Schulden.

Nötig, unwahrscheinlich, zweckmäßig?

"Ob eine gemeinsame Verschuldung nötig wird, ist noch abzuwarten", sagt Finanzexperte Matthes vom IW.

Der Ökonom Clemens Fuest, Präsident des Münchner Ifo-Instituts, hält es dagegen für "sehr unwahrscheinlich", dass Verteidigungsausgaben durch gemeinsame Schulden finanziert werden.

Das Instrument sei "ungeeignet, weil Verteidigungsausgaben nationale Ausgaben sind und weil für eine EU-Verteidigungspolitik erst ein Konzept entwickelt werden müsste, es jetzt aber schnell gehen muss", so Fuest per Email an die DW.

Viktor Orban steht vor Mikrofonen in Brüssel
Ungarns Premier Viktor Orban weigerte sich beim EU-Gipfel am 6. März 2025, die gemeinsame Erklärung der Europäer zur Unterstützung der Ukraine zu unterzeichnenBild: Frederic GARRIDO-RAMIREZ/European Union

Jens Boysen-Hogrefe, stellvertretender Leiter der Konjunkturabteilung beim Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW), hält gemeinsame Schulden dann für "zweckmäßig", wenn damit gemeinsame militärische Aufgaben finanziert werden. Doch "nicht bei allen EU-Ländern" sei klar, "ob sie gemeinsamen Verteidigungsaufgaben auch nachkommen würden bzw. dies in wenigen Jahren tun würden".

Wie hält es Merz mit Eurobonds?

Ratsam sei eine Konstruktion, an der sich auch Nicht-EU-Staaten wie Großbritannien oder Norwegen beteiligen könnten. Zudem sollten Entscheidungen ohne Einstimmigkeit getroffen werden können, damit Länder wie Ungarn mit einem Veto nicht alles blockieren können, so Boysen-Hogrefe. Auch die Europäische Entwicklungsbank EIB, die den EU-Ländern gemeinsam gehört, könne "eine wesentliche Rolle" spielen, um Rüstungsprojekte zu finanzieren.

Wie genau die Europäer ihre Wiederaufrüstung finanzieren, ist derzeit noch offen. Ebenso wie die Frage, ob Friedrich Merz seine grundsätzliche Ablehnung gemeinsamer Schulden überdenkt. "Ich werde alles tun, um zu vermeiden, dass sich die Europäische Union in eine solche Verschuldungsspirale hinein begibt", sagt er noch im September 2024 zu Eurobonds. Eine Anfrage der DW ließ Merz unbeantwortet.

Andreas Becker
Andreas Becker Wirtschaftsredakteur mit Blick auf Welthandel, Geldpolitik, Globalisierung und Verteilungsfragen.
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