Verteidigung: Ist Europa der Aufgabe gewachsen?
17. März 2025Die Verteidigungsausgaben der europäischen NATO-Mitglieder waren in den meisten EU-Hauptstädten jahrelang überhaupt kein Thema. Das hat sich grundlegend geändert: Jetzt erscheint es überall als ein vorrangiges Anliegen.
Von der Ankündigung der EU, Kredite in Höhe von 150 Milliarden Euro (163,5 Milliarden US-Dollar) für Waffen bereitzustellen, bis hin zu Deutschlands wahrscheinlichem nächsten Regierungschef Friedrich Merz, der verspricht, "alles Notwendige" zu tun, um Europas Verteidigung zu stärken, hat sich in kürzester Zeit ein dramatischer Wandel vollzogen.
Dieser Wandel erfolgt vor dem Hintergrund erneuerter und wachsender Ängste vor einer russischen Aggression in Osteuropa bei gleichzeitigen Zweifeln an der Bündnistreue der USA gegenüber der NATO. Und die in der vergangenen Woche vom Stockholmer Friedensforschungsinstitut SIPRI veröffentlichten Daten haben deutlich gemacht, wie schwierig es für Europa sein wird, sich - ohne die USA - allein zu verteidigen.
Abhängig von den Vereinigten Staaten
Fast zwei Drittel der von den europäischen NATO-Mitgliedern zwischen 2020 und 2024 importierten Waffen kamen aus den USA - ein deutlicher Anstieg gegenüber den 52 Prozent, die zwischen 2015 und 2019 auf die USA entfielen. Über 90 Prozent der Waffenimporte Norwegens, Schwedens, Italiens und der Niederlande kamen aus den USA, während es in Großbritannien über 80 Prozent waren. Von 2015 bis 2019 kamen weniger als 10 Prozent der deutschen Waffenimporte aus den USA, im Zeitraum 2020 bis 2024 waren es jedoch 70 Prozent.
Tim Lawrenson vom International Institute for Strategic Studies sagt, die USA seien seit der Gründung der NATO vor 76 Jahren die wichtigste Militärmacht und der wichtigste Sicherheitsgarant für die europäischen Länder gewesen. Er fügt hinzu, Europa sei "zufrieden damit, von der NATO abhängig zu sein" und vertraue darauf, dass die USA ihren Verpflichtungen nachkommen würden. "Die jüngsten Entwicklungen haben in Europa die Frage aufgeworfen, ob sich dies nun ändern muss", sagt er gegenüber der DW.
Europa spielt bereits mit
Guntram Wolff, Verteidigungsexperte beim Brüsseler Thinktank Bruegel, sieht dagegen auch eine gewisse gegenseitige Abhängigkeit zwischen US-amerikanischen und europäischen Rüstungsunternehmen, die sich in den Zahlen nicht widerspiegele. "So viele Produkte sind in Wirklichkeit NATO-Produkte, die mit Komponenten vieler Verbündeter gebaut wurden", sagt er gegenüber der DW und verweist auf das Beispiel des Lockheed Martin F-35-Kampfjets - ein US-Produkt, das mit Komponenten und mit Unterstützung mehrerer europäischer NATO-Länder gebaut wurde.
Europäische Rüstungsunternehmen seien jedoch besonders anfällig, wenn es um die Bereitstellung sogenannter strategischer Wegbereiter wie etwa Satelliten gehe. "Wenn man über Panzer und ähnliche Waffensysteme spricht, ist die Lücke zwischen den USA und der EU wahrscheinlich nicht so groß", sagt er. "Bei den strategischen Wegbereitern kommt jedoch vieles aus den USA, wie etwa Transporthubschrauber oder Satellitenkommunikation. Wir sind sowohl von der Infrastruktur als auch von den Produkten sehr abhängig."
Es kostet Zeit und Geld ...
Tim Lawrenson ist der Ansicht, dass der Versuch der europäischen Nationen, die Lücke zwischen der in Europa produzierten Menge und der aus den USA importierten Menge zu schließen, "erhebliche Kosten und Zeit erfordert, um die Kapazitäten der europäischen Verteidigungsindustrie für bestehende Produkte auszubauen und neue Produkte zu entwickeln. Insbesondere um Kapazitäten zu ersetzen, die derzeit größtenteils von den USA bereitgestellt werden".
Er wirft auch die Frage auf, ob die europäischen Regierungen einfach einkaufen sollten, wo immer sie können, um Lücken so schnell wie möglich zu schließen, oder ob sie einem 'Made in Europe'"-Ansatz den Vorzug geben sollten, um die europäische Verteidigungsindustrie zu stärken.
Demnach geht es eher um die Zeit als um die Fähigkeiten. "In drei Jahren würde es für Europa sehr schwierig sein, allein bereit zu sein", sagte Wolff und fügte hinzu: "In fünf Jahren sieht die Sache schon anders aus." Lawrenson argumentiert, dass es in "normalen Zeiten zwei, drei Jahre für komplexe Produkte" dauern würde, aber in Zeiten mit höherem Druck "könnten sich diese Zeiträume etwas verkürzen, aber nicht wesentlich."
... sofern das Geld auch kommt
Frankreich und Deutschland sind sich uneinig darüber, ob EU-Verteidigungskredite für Ausrüstung auch außerhalb der Gemeinschaft ausgegeben werden dürfen, darunter auch von europäischen NATO-Mitgliedern wie Großbritannien oder Norwegen, die nicht der EU angehören. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen erklärte, die Kredite sollten innerhalb Europas, auch von Ländern wie Großbritannien, aber nicht außerhalb des Kontinents ausgegeben werden. "Diese Kredite sollten Käufe bei europäischen Herstellern finanzieren, um unsere eigene Verteidigungsindustrie zu stärken", sagte sie vor dem Europäischen Parlament.
Obwohl Europas kollektiver Verteidigungs- und Luftfahrtsektor kleiner ist als der der USA, ist er beileibe kein 'kleiner Fisch'. Im Jahr 2023 erzielte er einen Umsatz von 290,4 Milliarden Euro (316 Milliarden US-Dollar), verglichen mit 829 Milliarden US-Dollar in den USA. Es herrscht Zuversicht, dass Europa über das industrielle Knowhow und die Fähigkeiten verfügt, einen Verteidigungssektor von Weltklasse aufzubauen, insbesondere wenn die europäischen Finanzierungszusagen eingehalten werden.
Deutschlands entscheidende Rolle
Und dabei kommt Deutschland eine Schlüsselrolle zu. Die Ausrichtung einer künftigen Bundesregierung wird allgemein als potenziell transformativ angesehen, und Experten sind überzeugt, dass Europas größte Volkswirtschaft gut aufgestellt ist, um die Nachfrage zu decken. Die Neuausrichtung des Verteidigungssektors könnte dem Land sogar helfen, aus seinen Deindustrialisierungstendenzen herauszukommen. Wolff glaubt, eine wachsende Verteidigungsindustrie könne "attraktive Gehälter bieten und Arbeitnehmer aus anderen Branchen, einschließlich der Automobilindustrie, anziehen".
Hans Christoph Atzpodien, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie, stimmt dem zu und sagt, dass die Qualifikationen von Beschäftigten in der Automobilindustrie oft den Anforderungen von Rüstungsunternehmen entsprechen. Er warnt jedoch davor, dass Ausbildungsprogramme und Sicherheitsüberprüfungen den Prozess verlangsamen könnten: "Die Fristen für die Erteilung dieser Genehmigungen sind derzeit bei weitem nicht kurz genug, um eine schnelle Umstellung des entsprechenden Personals zu ermöglichen", sagte er der DW.
Einigkeit wird entscheidend
Tim Lawrenson glaubt, die Erhöhung der deutschen Verteidigungsausgaben könne die anderen großen Akteure Europas - Frankreich und Großbritannien - dazu bewegen, dasselbe zu tun. "Wenn Deutschland eine deutliche Budgeterhöhung durchsetzen würde, wäre dies ein starker Katalysator für die beiden anderen Länder, mehr zu tun. In gewisser Weise würden sie sich fast verpflichtet fühlen, diese schwierigen Entscheidungen zu treffen."
Das wirft die seit langem bestehende Frage auf, ob Europas Regierungen und Rüstungsunternehmen zum Wohle des Kontinents zusammenkommen können. Lawrenson hält die Zusammenarbeit in der Entwicklung und sogar bei der Beschaffung im Verteidigungssektor für schwierig. "Wir müssen einen Weg finden, die Länder davon zu überzeugen, europäische Produkte zu kaufen, ob allein oder gemeinsam, auch wenn es sich nicht um ein gemeinsam entwickeltes Produkt handelt", so Lawrenson.
Hans Christoph Atzpodien stimmt dem zu und zeigt sich überzeugt, dass es möglich sei, die europäischen Streitkräfte auszurüsten. Dies hänge jedoch weniger von den Unternehmen als vielmehr von ihren Kunden, den nationalen Regierungen, ab. Die müssten "den politischen Willen entwickeln, ihre Bedürfnisse wirklich zu harmonisieren, um größere Mengen zu erreichen."
Dieser Beitrag wurde aus dem Englischen adaptiert.