Verschiedene Lösungsmodelle aus Deutschland für den Kosovo-Konflikt
16. April 2004Bonn, 16.4.2004, DW-RADIO/Albanisch, Bahri Cani
Nach dem neuerlichen Ausbruch brutaler ethnischer Unruhen im Kosovo vergangenen Monat wird dieser Region wieder das aufmerksame Interesse der Weltöffentlichkeit zuteil. Zeit, um eine mittlerweile fast fünf Jahre alte Befriedungsstrategie zu überarbeiten und zu hinterfragen - denn allem Anschein nach hat sie ihre Ziele nicht erreichen können. Experten und Politiker - z.B. in Deutschland - sind sich jedoch uneins, wie man nun am besten mit dem Problemkind Kosovo umgehen sollte. Ein Background von Bahri Cani:
Die deutsche Politik hat nach dem unerwartet heftigen Gewaltausbruch am 17. und 18. März den Kosovo wiederentdeckt. Wenige Tage nach den blutigen Auseinandersetzungen, bei denen 19 Menschen getötet und mehr als 900 verletzt wurden, haben alle politischen Parteien eilig ihre Vorstellungen zu einer langfristigen Lösung des Kosovo-Problems präsentiert. Mehr im Hintergrund hört man auch Ideen, die von deutschen Forschungsinstituten erarbeitet wurden.
Wim van Meurs, Balkan-Experte und Leiter des Projekts "Kosovo's Fifth Anniversary - on the Road to nowhere" bei der Bertelsmann-Stiftung, sagt, dass die Wissenschaft den Kosovo nie aus den Augen verloren habe: "Bei den Stiftungen und Forschungs-Instituten ist dieses Interesse nicht plötzlich wieder aufgetreten. Politisch gesehen, so traurig das ist, kommt solches Interesse nur nach derartigen Zwischenfällen auf. Vielleicht auch gerade deshalb, weil es ein ‚Jubiläum‘ von fünf Jahren ist."
Im Juni jährt sich das Kriegsende im Kosovo zum fünften mal, und noch immer ist die Region von ethnischen Unruhen geprägt. In der für die Bertelsmann-Stiftung erstellten Studie des Zentrums für angewandte Politikforschung kommen die Experten zu dem Schluss, dass - so wörtlich - der ungeklärte Status des Kosovo nahezu jeden Fortschritt auf dem Weg zu Frieden, Sicherheit und Wohlstand behindere. Zur Lösung dieser Schlüsselfrage sollte der Kosovo daher durch eine neue UN-Resolution auf unbefristete Zeit zu einem Mandatsgebiet der UNO erklärt werden, heißt es weiter. Wim van Meurs: "Der erste Schritt war für mich im Grunde die Tatsache zu sagen, die von allen anerkannt wird - auch von Belgrad -, dass eine Rückkehr des Kosovos unter die Souveränität Belgrads unmöglich ist. Und die Frage, wie man im Kosovo bestimmte Standards, vom Rechtsstaat bis zu den Menschenrechten, durchsetzen kann. Diese beiden werden immer miteinander verknüpft, wenn die Souveränität in Belgrad oder Pristina liegt. Mein Vorschlag mit dem UN-Mandat wäre, dass die volle Souveränität bei der UNO liegt. Man hat ironisch geschrieben: New York wird die Hauptstadt des Kosovo sein."
Die Studie der Stiftung Wissenschaft und Politik bestätigt, dass beide Seiten nach wie vor unverändert auf ihren Positionen beharren: Kosovo-Albaner bestehen auf Unabhängigkeit, die serbische Seite lehnt diese Möglichkeit weiterhin grundsätzlich ab. Weder Belgrad noch Pristina oder Tirana seien jedoch derzeit an einer Eskalation des Konflikts interessiert. Die Eskalation könne aber, so die Experten der Stiftung, mit den Wahlkämpfen für die Präsidentschaftswahlen in Serbien im Juni oder den Parlamentswahlen im Kosovo im Oktober kommen. Sie appellieren an die Politiker sowohl in Pristina als auch in Belgrad, die volle Verantwortung zu übernehmen und durch Verhandlungen die Situation zu entspannen.
Die Politik andererseits schwankt zwischen zwei Extremen. Die Sozialdemokraten möchten den eingeschlagenen Weg "Standards vor Status" nicht verlassen. Das Ziel eines multiethnischen Kosovo könne von der internationalen Gemeinschaft nicht aufgegeben werden. Gernot Erler, stellvertretender SPD-Fraktionsvorsitzender meint, dass ein multiethnisches Kosovo immer noch möglich sei: "Status quo ist keine Politik. Es geht darum, das Prinzip der internationalen Gemeinschaft deutlich zu machen, dass, bevor eine Status-Klärung möglich ist, die Standards von einem vernünftigen Miteinander, von einem friedlichen Zusammenleben, das heißt also die Standards der Menschenrechte und des bürgerschaftlichen Zusammenlebens erfüllt sein müssen. An dieser Reihenfolge wird sich meiner Auffassung nach auch in Zukunft nichts ändern."
Dass es im deutschen Regierungslager keine bis zum Ende definierte Strategie gibt, zeigt der Vorschlag des kleineren Koalitionspartners. Die Vorsitzende der Grünen, Angelika Beer, ist der Auffassung, die Probleme auf dem Balkan sollten durch eine internationale Konferenz gelöst werden: "Ich glaube, dass bei einer internationalen Konferenz sowohl die Regierung als auch die unterschiedlichen Ethnien zusammen kommen müssen, um nach einem gemeinsamen Weg zu suchen. Es ist falsch, nur militärisch dort zu reagieren. Wir müssen die gesamte Region, also Serbien-Montenegro und Kosovo, aber auch Mazedonien und Albanien zusammen sehen und gemeinsame wirtschaftliche Konzepte entwickeln, weil nur mit wirtschaftlichen Entwicklungen Frieden eine bessere Chance hat".
Die Opposition meint - wie üblich - gerade das Gegenteil. Der entwicklungspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagfraktion Christian Ruck meint, die Regierungskoalition müsse ihren Kurs gegenüber dem Kosovo korrigieren. Die Opposition fordert eine möglichst schnelle Klärung der Statusfrage. "Es ist politisch töricht, an einer "Politik des Status Quo" festzuhalten, wenn immer mehr Experten zur Alternative ‚Status vor Standards' raten", so der Sprecher. Die Opposition ist sich aber mit den Grünen einig: man brauche dringend eine internationale Konferenz für den Balkan.
Die "Wiederentdeckung" des Kosovo hat gezeigt, dass die Augen der Politik zu lange nicht in diese Richtung geschaut haben. Die vor Jahren angelegten Lösungswege haben jedoch bisher nicht zu den erhofften Resultaten geführt - noch hat die Politik in Deutschland eine neue gemeinsame Strategie für eine Lösung des Problems definiert. (md)