Ukraine-Verhandlungen: China will, dass Europa dabei ist
20. Februar 2025Die Botschaft Chinas im UN-Sicherheitsrat ist glasklar. "Wir begrüßen alle Bemühungen, den Ukraine-Krieg schnell zu beenden", sagte UN-Botschafter Fu Cong, der turnusmäßig die Präsidentschaft des UN-Gremiums im Februar innehat. Er begrüßte die Einigung zwischen den USA und Russland, über die politische Zukunft der Ukraine zu sprechen. "Wir erwarten auch, dass sich alle Betroffenen und Stakeholder an den Verhandlungen beteiligen. Der Krieg findet in Europa statt. Deswegen ist es eine Selbstverständlichkeit, dass auch Europa zum Frieden beiträgt."
Diese Aussage des Spitzendiplomaten aus China steht im Kontrast zur Position dessen wichtigsten strategischen Verbündeten Russland. Noch am Montag (17.02.) stellte der russische Außenminister Sergej Lawrow vor dem Treffen mit US-Außenminister Marco Rubio im saudi-arabischen Riad klar, er sehe keinen Platz für Europa, das bereits mehrmals die Chance gehabt habe, sich an einer Einigung in Sachen Ukraine zu beteiligen. "Ich wüsste nicht, was Europa am Verhandlungstisch tun würde", sagte Lawrow.
Schneller Frieden in Europa ohne Europa?
Seit dem Ausbruch des Ukraine-Kriegs zeigten sich China und Russland bisher immer als ein Herz und eine Seele. Was hat China bewegt, in der Kernfrage um Europas Beteiligung gegenteilige Position als Russland einzunehmen? Chinesische Politologen gehen derzeit von taktischen Schachzügen in Moskau aus.
"Nach Ansicht des russischen Präsident Putin soll die Ukraine demilitarisiert werden. Mit dieser für Europa unrealistischen Vorbedingung will Russland erschweren und unmöglich machen, dass Europa überhaupt an den Verhandlungstisch kommt", schreibt Kan Quanqiu, politischer Beobachter aus Peking, Europa würde den 'Schutzschild' Ukraine verlieren und deswegen die Verteidigungsetats erhöhen. Das wäre zu teuer und das Risiko zu groß.
So könne Russland eine schnelle Einigung mit Washington erzielen, so Kan weiter. "Früher oder später werden die USA unter Präsident Donald Trump Europa und die Ukraine mit einem Deal verraten." Es wäre eine Einigung unter zwei Erzfeinden des Kalten Krieges im 21. Jahrhundert, bei der es zum wiederholten Mal um das Sicherheitskonstrukt auf dem europäischen Kontinent gehen würde.
Dass sich Europa neuen außenpolitischen Herausforderungen stellen muss, wird spätestens nach der Münchner Sicherheitskonferenz am letzten Wochenende klar. Der Gastredner, der neue US-Vizepräsident JD Vance, erklärte nicht, was die neue US-Regierung tun will, um den Frieden in Europa wieder herzustellen. Er brüskierte europäische Gastgeber mit Vorwürfen, die Meinungsfreiheit in Europa sei auf dem Rückzug. Unmittelbar vor den Bundestagswahlen in Deutschland am kommenden Sonntag wird seine Aussage als Unterstützung für politische Parteien am rechten Rand gedeutet.
USA: Abschied von der Bündnispolitik
Das neue Führungsduo Trump und Vance konnte bei den US-Präsidentschaftswahlen vom November letzten Jahres große Unterstützung im populistischen Lager gewinnen. Heute sind sie, zumindest bis zu den nächsten US-Zwischenwahlen 2027, mit der Mehrheit ihrer republikanischen Partei in beiden Kammern des Parlaments, dem Kongress und dem Repräsentantenhaus, ausgestattet. Dazu kommt noch die Dominanz der Republikaner in Supreme Court. Bei richtungsweisenden, aber kontroversen Grundsatzentscheidungen könnte Präsident Trump praktisch ohne nennenswerten Widerstand durchregieren.
Seit seiner Amtseinführung vor einem Monat versuchte Trump schon mehrmals, die etablierten Normen der USA zu verändern, zuletzt mit dem derzeit gerichtlich gestoppten Versuch, durch Dekret die verfassungsrechtlich garantierte Anerkennung der Staatsbürgerschaft abzuschaffen, wenn jemand in den USA geboren wurde. Nun machte Trump seine Ankündigung wahr, den Krieg in der Ukraine beenden zu wollen. Im Wahlkampf hatte er immer davon gesprochen, dass er dafür nur einen Tag benötigen würde. Die direkte Kontaktaufnahme mit dem von der internationalen Gemeinschaft aufgrund von Kriegsverbrechen sanktionierten Russland ohne Beteiligung von Europa und der Ukraine selbst zeigt, dass sich die USA von der Bündnispolitik der Vorgängerregierung verabschiedet haben und von der multilateralen Zusammenarbeit abrücken.
Solange die USA nicht mehr als "natürlicher Partner und Verbündeter", sondern als "ein Land mit teilweise gegenläufigen Zielen" auftreten, sollten Europa und Deutschland "eigene Interessen definieren und Instrumente entwickeln, um ihre Handlungs- und Gestaltungsfähigkeit sicherzustellen, gegebenenfalls auch gegen Widerstand aus Washington", empfehlen Sascha Lohmann und Johannes Thimm von der Berliner Denkfabrik, Stiftung für Wissenschaft und Politik (SWP). "Ein grundlegender Mentalitätswandel ist erforderlich."
Erwartung an China steigt
Über den euro-asiatischen Kontinent hinweg reicht nun das Reich der Mitte der EU die Hand. Auf der Münchner Sicherheitskonferenz sprach Chinas Außenminister Wang Yi nach dem Auftritt des US-Vizepräsidenten und legte auf der Weltbühne den Finger in die Wunde der USA. China allein übernehme rund 20 Prozent der UN-Ausgaben, China setze voll umfänglich das Pariser Klimaabkommen um, China praktiziere keinen Exzeptionalismus, also nicht "das tun, was gerade passt und das lassen, wenn es nicht mehr passen sollte."
Wang warb mit dem für ihn typischen charmanten Lächeln für engeren Schulterschluss zwischen China und Europa. Multilateralismus - das war eigentlich Wangs Hauptthema. "Bei der Gründung vor 80 Jahren zählten die UN 51 Mitgliedsstaaten. Heute befinden sich 193 Mitglieder auf diesem großen Schiff der Völkergemeinschaft", beschreibt Wang die Weltlage in seiner Bildersprache.
"China fördert einen fairen und geordneten Multilateralismus der Weltordnung." Mit Anspielung auf den Dreiklang der europäischen und deutschen Chinapolitik, China sei Partner, Wettbewerber und systemischer Rivale, sagte Wang, China und Europa seien Partner, keine Rivalen. "Schon immer hält China Europa für einen außerordentlich wichtigen Pol in der multipolaren Weltordnung. Zusammen sind wir für Frieden, Sicherheit, Prosperität und Fortschritte." Mit diesen Worten schloss Wang seine Rede.
"Doppelzüngig" und "verlogen"
"Doppelzüngig" und "verlogen", urteilt TV-Kommentator Stephan Bierling, Politikprofessor an der Universität Regensburg über Wangs Aussage. China spreche von einer multipolaren Welt, meine aber seine eigene Einflusszone. China präsentiere sich als Vertreter der regelbasierten Weltordnung, verstoße aber gegen dieselbe Ordnung öfter als alle anderen. "Allerdings fällt jetzt seine Aussage auf etwas fruchtbareren Boden, weil der Vizepräsident Vance überhaupt nichts zur US-Außenpolitik gesagt hat. Er hält die Europäer nicht einmal für satisfaktionsfähig, über die großen Probleme der internationalen Politik zu sprechen", sagt Bierling. Das habe der Karrierediplomat Wang riechen können.
China werde versuchen, liberale Demokratien der westlichen Welt zu spalten, glaubt Asien-Expertin Angela Stanzel von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). "Sollte es zu einem transatlantischen Zerwürfnis kommen, weil die Trump-Administration zum Beispiel die Unterstützung für die Ukraine drastisch reduziert, würde Peking dies sogleich als Gelegenheit sehen, europäische Staaten in Richtung einer strategischen Autonomie zu drängen", warnt die SWP-Expertin mit ihrem Co-Autor Jonathan Michel in einer jüngsten Studie, "Ziel wäre es aus chinesischer Sicht, dass sich Europa in höherem Maße von den USA distanziert und sich seine Beziehungen zu China verbessern." Als Reaktion sollten die EU-Staaten wie Deutschland und Frankreich die EU-Kommission in ihrem geopolitischen Kurs stärken: Risikominimierung im Verhältnis zu China, Schutz vor der Volksrepublik und intensiver transatlantischer Dialog auf neuen Ebenen.
"Donald Trump macht gerne Deals und hat vieles Unmögliche möglich gemacht", sagt Wang Huiyao, Wirtschaftswissenschaftler und Gründungspräsident der regierungsnahen Denkfabrik Center for China and Globalization, über die neue Trump-Administration und sieht dabei etwas Positives für Peking. "Die EU kann mit ihm Geschäfte machen, Russland und China auch. Damit blendet Trump die schwierigen Themen wie Ideologie, Wertegemeinschaft oder Menschenrechte aus."
In der Weltordnung der Zukunft sieht Wang ein Machtdreieck zwischen den USA, Europa und China. "Europa kann zwischen China und Amerika besser ausbalancieren. China findet neue Spielräume in den transatlantischen Beziehungen. Es sind große Chancen dabei, aber auch große Herausforderungen."