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Politik

USA ziehen Diplomatenfamilien ab

30. Oktober 2016

Das US-Außenministerium hat wegen der Terrorbedrohung die Abreise der Familien der Mitarbeiter des Generalkonsulats in Istanbul angeordnet. Zudem wird US-Bürgern von Reisen in die Türkei abgeraten.

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Türkei Konsulat der USA in Instanbul
Bild: Getty Images/B. Bronstein

Wie das Außenamt mitteilte, deuteten Informationen auf anhaltende "aggressive Bemühungen" von Extremistengruppen in der Türkei hin, US-Bürger in Gegenden Istanbuls anzugreifen, in denen sie wohnten oder die sie häufig aufsuchten.

Demnach bezieht sich die Anordnung nur auf das Generalkonsulat in Istanbul, das aber geöffnet bleibe. Andere diplomatische Vertretungen der USA in der Türkei seien nicht betroffen. Ob die Familienangehörigen das Land verlassen sollten, wurde nicht mitgeteilt.

Die Anordnung erfolgte im Rahmen der zweiten Reisewarnung des "State Department" für US-Bürger in der Türkei innerhalb einer Woche. Zuvor hatte das Außenministerium in Washington US-Bürger auf die Gefahren einer Türkei-Reise aufgrund der Bedrohung durch "einheimische und internationale Terrororganisationen" hingewiesen. Das "State Department" riet insbesondere von einem Aufenthalt im kurdisch dominierten Südosten des Landes auf. Dort gehen die türkischen Streitkräfte seit Monaten mit einer groß angelegten Offensive gegen die Kämpfer der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans, PKK, vor, die immer wieder Anschläge auf die Sicherheitskräfte verüben.

Verstärkte Polizeipräsenz nach dem Anschlag auf das US-Konsulat in Istanbul 201
Verstärkte Polizeipräsenz nach dem Anschlag auf das US-Konsulat in Istanbul 2015Bild: picture alliance/AP Photo/L. Pitarakis

Erdogan will Todesstrafe

Wie aggressiv und unübersichtlich die Lage in der Türkei ist, zeigen die Machtdemonstrationen des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Der türkische Staatschef forciert weiter sein Bemühen um die Wiedereinführung der Todesstrafe. Vor Anhängern in der türkischen Hauptstadt, die in Sprechchören immer wieder die Bestrafung der Putschisten vom Juli mit der Todesstrafe forderten, stimmte er die Türkei auf die Änderung im Justizwesen ein. Unmittelbar nach dem gescheiterten Umsturzversuch hatte der Präsident bereits die Wiedereinführung dieser Strafe erwogen. Die Europäische Union warnte daraufhin wiederholt, dass dies das Ende der 2005 begonnenen Beitrittsverhandlungen bedeuten würde.

Autokrat: Recep Tayyip Erdogan
Autokrat: Recep Tayyip ErdoganBild: picture-alliance/abaca

Die EU wird ignoriert

Diese Warnungen wischte Erdogan in seiner Rede bei der Einweihung einer Bahnstation in Ankara nun beiseite: Die Kritik des Westens "zählt nicht", sagte er vor seinen Anhängern. "Es zählt, was mein Volk sagt." Die türkische Regierung werde den Abgeordneten einen Gesetzentwurf über die Wiedereinführung der Todesstrafe übermitteln, sagte Erdogan. Den genauen Zeitpunkt beziehungsweise einen Zeitplan nannte er aber nicht. Erdogan: "Bald, bald, habt keine Sorge. Es wird bald geschehen". Die Todesstrafe war in der Türkei 2004 abgeschafft worden - im Rahmen der Bemühungen Ankaras um eine Annäherung an die EU. 

"Säuberung" der Gesellschaft

Nach dem gescheiterten Putschversuch vom 15. Juli hatte Erdogan ein massives Vorgehen gegen Anhänger des in den USA lebenden Predigers Fethullah Gülen angekündigt, den er als Drahtzieher des Umsturzversuchs betrachtet. Mehr als 35.000 Menschen wurden seitdem inhaftiert. Zudem ließ der Präsident "Säuberungen" im Staatsdienst vornehmen: Zehntausende Mitarbeiter der Sicherheitskräfte, der Justiz, der Medien und des Bildungswesens wurden aus dem Dienst entfernt. Von den USA fordert Erdogan die Auslieferung von Gülen.

Weiteres Ausreiseverbot gegen Oppositionelle

Auch geht die massive Einschüchterung von Politikern der Opposition weiter. So hat nun ein türkisches Gericht die stellvertretende Vorsitzende der prokurdischen Partei HDP, Figen Yüksekdag, mit einem Ausreiseverbot belegt. Da gegen sie wegen "Terrorpropaganda und Mitgliedschaft in einer bewaffneten Terrororganisation" ermittelt werde, dürfe sie das Land bis auf weiteres nicht verlassen, meldete die amtliche Nachrichtenagentur Anadolu. Nach Auffassung des Gerichts besteht demnach die Gefahr, dass sich Yüksekdag ins Ausland absetzen könnte. 

Gebannt von der türkischen Justiz: Die HDP-Politikerin Figen Yuksekdag
Gebannt von der türkischen Justiz: Die HDP-Politikerin Figen YuksekdagBild: Getty Images/AFP

"Willkürliche Entscheidung"

Die HDP kritisierte die Entscheidung als "vollkommen willkürlich" und kündigte an, Berufung einzulegen. Die türkische Regierung wirft der linksliberalen HDP vor, der politische Arm der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) zu sein, was die Partei zurückweist. Gegen etliche HDP-Abgeordnete, darunter auch Yüksekdag und Co-Parteichef Selahattin Demirtas, laufen Ermittlungsverfahren. Um gegen sie ermitteln zu können, hatte das türkische Parlament im Mai auf Wunsch der Regierung die Immunität vieler Oppositionsabgeordneter aufgehoben. Auch kurdische Kommunalpolitiker geraten immer wieder ins Visier der Justiz. In der vergangenen Woche wurden die beiden Bürgermeister der Kurdenmetropole Diyarbakir wegen angeblicher Verbindungen zur PKK festgenommen. Demirtas verurteilte dies öffentlich und handelte sich damit neuen juristischen Ärger ein. Die Staatsanwaltschaft leitete Ermittlungen gegen den HDP-Politiker ein, um zu prüfen, ob Demirtas in seiner Rede Staatschef Recep Tayyip Erdogan beleidigte. Im Zuge der Ermittlungen zum Putschversuch wurden inzwischen weitere 15 Redaktionen, einschließlich mehrerer kurdischer Agenturen, geschlossen. Zudem wurden weitere 10.000 Mitarbeiter der öffentlichen Verwaltung entlassen.

cgn/kle (afp, dpa, dpae, rtr)