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USA kein Partner mehr? Bundeswehr soll aufgerüstet werden

3. März 2025

Nach dem Eklat im Weißen Haus zwischen dem ukrainischen Präsident Selenskyj und US-Präsident Trump sowie seinem Vize Vance ist das politische Berlin geschockt und will Milliarden in die Verteidigung stecken.

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Bundesverteidigungsminister Pistorius vor einer Flugabwehrstellung vom Typ Patriot
Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius vor einer Flugabwehrstellung vom Typ PatriotBild: Kay Nietfeld/dpa/picture alliance

Deutschland: Politisch in Schockstarre? Das kann man durchaus so sagen. Nach einem Wochenende, das dem wirtschaftsstärksten europäischen Land wie noch nie zuvor vor Augen geführt hat, dass sich die geopolitische Lage grundlegend ändert, längst geändert hat.

Spätestens jetzt sind die maßgebenden Politikerinnen und Politiker in der Bundesrepublik hektisch damit beschäftigt, den neuen Zeiten gerecht zu werden. Das heißt vor allem: Sich klarer als bisher zu positionieren, vor allem gegenüber den USA und Russland. Und aufzurüsten.

Masala: "USA auf lange Zeit nicht mehr verlässlich"

Der renommierte Politikwissenschaftler Carlo Masala geht davon aus, dass die USA "auf absehbare Zeit kein verlässlicher Werte- und Interessenspartner" für Europa sein werden. Das sagte der Professor an der Universität der Bundeswehr in München am Montagmorgen im Deutschlandfunk.

Und fügte hinzu: "Aber sie werden sicherlich in dem einen oder anderen Fall mit uns mehr Interessen haben als mit anderen. Ich glaube, ein unabhängig-souveränes Europa macht sich dann als Partner in solchen Fällen für die USA attraktiver."

Major: "USA werden zum Sicherheitsrisiko für Europa"

Hintergrund war der heftige Eklat, der sich am vergangenen Freitag im Weißen Haus in Washington abspielte, als US-Präsident Donald Trump vor laufenden Kameras den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj abkanzelte und ihm die Solidarität aufkündigte.

Wolodymyr Selenskyj und Donald Trump im Oval Office
Beispiellos: Wütend redet US-Präsident Donald Trump auf den ukrainischen Präsidenten Selenskyj einBild: Saul Loeb/AFP/Getty Images

Für Deutschland heißt das, wie Claudia Major von der Stiftung Wissenschaft und Politik ebenfalls im Deutschlandfunk sagte: "Wir müssen anerkennen, dass unser wichtigster Verbündeter sich gerade nicht mehr wie ein Verbündeter verhält, sondern zu einem Sicherheitsrisiko für Europa wird."

Scholz in London im Schatten von Macron und Starmer

Und das alles passiert in einer Zeit, in der Deutschland nach der Bundestagswahl vor acht Tagen nach einer neuen Regierung sucht, aller Wahrscheinlichkeit nach unter der Führung des konservativen CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz. Einem Politiker, der noch nie ein öffentliches Amt innehatte. Das Land befindet sich politisch in einem Zwischenstadium, ausgerechnet jetzt.

Der noch amtierende Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD)  stand am Sonntag nicht im Zentrum, als Frankreichs Präsident Emmanuel Macron  und der britische Premier Keir Starmer bei einem Treffen in London die Linien vorgaben: Sie stärkten Selenskyj den Rücken und überlegten, von sich aus eine Waffenruhe zwischen Russland und der Ukraine vorzuschlagen.

Olaf Scholz in der letzten Reihe beim Treffen der europäischen Regierungschefs mit dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj
Olaf Scholz in der letzten Reihe beim Treffen der europäischen Regierungschefs mit dem ukrainischen Präsidenten SelenskyjBild: Justin Tallis/AFP/Getty Images

SPD-Chef Klingbeil spricht von einem Weckruf 

Dass es dabei schon eine Einignung gab, wurde am Montag zwar dementiert, aber dass Deutschland eher zurückhaltend auftrat, hat Gründe: Nach der Neuwahl ist der bisherige Bundeskanzler zwar noch geschäftsführend im Amt, bis sein Nachfolger gewählt ist. Scholz soll sich aber mit weitreichenden politischen Beschlüssen und Äußerungen zurückhalten, so ist es in Deutschland Sitte. Und weitreichend ist gerade alles, was zum Thema Russland, Ukraine und USA zu sagen wäre.

Dennoch sagte der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil am Montag, Deutschland stehe in diesen aufwühlenden Zeiten nicht am Rande, schließlich sei Scholz in London beim Treffen mit Selenskyj ja dabei gewesen.

Er fügte hinzu: "Auf die nächste Bundesregierung kommt eine große europapolitische Verantwortung zu. Zusammen mit Polen und Frankreich wird es auf diese drei Länder ankommen, dass wir Stabilität in Europa schaffen." Den Eklat in Washington nannte Klingbeil, von dem es im politischen Berlin heißt, er wolle nächster Außenminister werden, einen "Weckruf."

Vom Sondervermögen zur Ausnahme aus der Schuldenbremse

Aufgewacht ist das politische Berlin also schon. Plötzlich werden Maßnahmen offen diskutiert, die noch vor kurzem undenkbar schienen: Von riesigen neuen Milliarden-Programmen ist die Rede, um die Bundeswehr in die Lage zu versetzen, das Land allein, ohne die USA und im Verbund mit anderen europäischen Ländern zu verteidigen.

Und um die Ukraine weiter zu unterstützen in ihrem Kampf gegen das angreifende Russland, sollte die bislang massive US-amerikanische Unterstützung ganz oder teilweise wegfallen. Summen von bis zu 400 Milliarden Euro werden genannt. Noch in der vergangenen Woche war von 200 Milliarden Euro die Rede gewesen. Geld, das Deutschland, welche Summe am Ende auch immer steht, nicht aus dem Haushalt finanzieren kann, sondern als Schulden neu annehmen muss. Von einem "Sondervermögen" war die Rede.

Am Mittwochabend trat CDU-Chef Merz gemeinsam mit dem Vorsitzenden der bayerischen Schwesterpartei CSU, Markus Söder, sowie den SPD-Chefs Lars Klingbeil und Saskia Esken vor die Presse. Die Botschaft: Der Bund soll praktisch unbegrenzt in die Bundeswehr investieren können, indem Verteidigungsausgaben größtenteils aus der Schuldenbremse ausgenommen werden.

Beschluss nur mit dem alten Bundestag möglich

Für den von Union und SPD geplanten Schritt ist eine Grundgesetzänderung nötig. Eine solche müsste das Parlament, der Bundestag, aber mit einer Zweidrittelmehrheit beschließen. Im alten Bundestag, der 2021 gewählt wurde, wären die künftigen Koalitionspartner dazu mindestens noch auf die Stimmen der Grünen angewiesen, die von der Regierung in die Opposition wechseln. Im neuen Bundestag findet sich, vor allem wegen der hohen Stimmengewinne der in Teilen rechtsextremen Alternative für Deutschland (AfD) und der Linken, für einen solche Beschluss keine Zweidrittelmehrheit mehr. Noch wenige Tage sind dafür Zeit, am 24. März muss sich der neue Bundestag erstmals zusammenfinden.

Bis Ostern will Friedrich Merz seine neue Regierung aus CDU, der bayerischen Schwesterpartei CSU und der SPD unter Dach und Fach haben.  Aber erst einmal muss Merz weiter mit der SPD über eine mögliche Koalition verhandeln.

 

Dieser Artikel wurde erstmals am 3. März 2025 veröffentlicht und am 4. März mit den neuen Plänen von Union und SPD aktualisiert.