USA lehnen Verhandlungen mit den Taliban ab
15. Oktober 2001In Afghanistan gehen die Luftangriffe der USA in die zweite Woche. An Bord des Flugzeugträgers "Enterprise" sagte ein US-Offizier, es gehe jetzt um die Zerstörung von Zielen, die bei früheren Angriffen verfehlt worden seien. Bei Angriffen am frühen Montagmorgen sind ein Stützpunkt der Taliban-Miliz in Dschalalabad und der Flughafen von Masar-i-Scharif bombardiert worden. Zudem wurde die Hauptstadt Kabul abermals bombardiert. Das berichtete die in Pakistan ansässige Nachrichtenagentur AIP unter Berufung auf einen Taliban-Sprecher. Über zivile Opfer wurden keine Angaben gemacht.
US-Präsident George W. Bush bekräftigte am Sonntag die Forderung nach bedingungsloser Auslieferung des mutmaßlichen Terroristenführers Osama bin Laden. «Das ist nicht verhandelbar», sagte er zu einem Vorschlag der Taliban-Führung, Bin Laden nach Beweisen seiner Schuld und der Einstellung der Luftangriffe an ein Drittland auszuliefern. Es gebe keine Notwendigkeit, über Schuld oder Unschuld zu diskutieren, erklärte Bush im Weißen Haus: "Wir wissen, dass er schuldig ist."
Anzeichen für politischen Wechsel in Afghanistan mehren sich
US-Präsident George W. Bush hat am Sonntag mit seinen nationalen Sicherheitsberatern über die Zukunft Afghanistans nach einem Ende des US-Militäreinsatzes gesprochen. Nach einem Zeitungsbericht wollen die USA eine breite Koalitionsregierung in Afghanistan unterstützen. Die USA wollen sich nicht direkt am politischen Neuaufbau Afganistans beteiligen. Präsident Bush sagte, den nötigen Rahmen für politische Stabilität in dem Land könnten die Vereinten Nationen schaffen. Die USA unterhalten seit Wochen Kontakte zur afghanischen Nordallianz, der innerafghanischen Opposition.
Powell trifft Taliban-Vertreter
US-Außenminister Colin Powell will an diesem Montag in Pakistan nach Angaben einer arabischen Zeitung eventuell den als Außenminister fungierenden Taliban-Führer Wakil Ahmed Mutawakil treffen. Die in London erscheinende Zeitung «Al-Hayat» berichtete in ihrer Montag-Ausgabe, Mutawakil wolle sich möglicherweise von den Taliban lossagen und sich an Gesprächen über die Bildung einer neuen Regierung in Afghanistan beteiligen. An diesen von Pakistan organisierten Verhandlungen sollten auch Abgesandte des afghanischen Ex-Königs Sahir Schah und der Nordallianz teilnehmen, hieß es.
Unmittelbar vor dem Besuch von Powell sind in der Hafenstadt Karachi zwei Polizisten von Unbekannten erschossen worden. Die Beamten hätten in der Nacht zu Montag vor einer Moschee Wache gehalten. Sie wurden von einem vorbeifahrenden Motorrad aus erschossen. Islamistische Gruppen haben überdies für Montag zu einem landesweiten Generalstreik aufgerufen, um gegen den Powell-Besuch und die Luftangriffe auf Afghanistan zu protestieren.
Unterdessen meldete der katarische Fernsehsender Al Dschasira, der als Außenminister der Taliban fungierende Wakil Achmed Mutawakil habe unerwartet die Vereinigten Arabischen Emirate besucht. Mutawakil sei nach einem Zwischenstopp in Pakistan überraschend in Abu Dhabi eingetroffen. Offiziell wurde der Besuch nicht bestätigt. Der ehemalige Taliban-Geschäftsträger in Abu Dhabi, Asis Abdurrahman, sagte dem Sender, der Besuch Mutwakils sei in Abstimmung mit Taliban-Führer Mullah Omar erfolgt. Dagegen meldete die amtliche Nachrichtenagentur der Emirate, WAM, Mutawakil gehöre nach Meinungsverschiedenheiten mit Omar zu "den Dissidenten in der Taliban-Führung".
Taliban prangern die USA an
Die Taliban führten am Sonntag eine Gruppe internationaler Journalisten in das bei Dschalalabad gelegene Dorf Chorum. Dort sollen bei Angriffen am Mittwoch bis zu 200 Menschen getötet worden sein sollen. "Ich habe bei diesem Angriff meine vier Töchter verloren, meinen Sohn, meine Frau", berichtete ein Bauer.
Nach Taliban-Schätzungen kamen seit Beginn der Angriffe vor einer Woche mehr als 300 Menschen, überwiegend Zivilisten, ums Leben. Nach Angaben des US-Verteidigungsministeriums war am Samstag versehentlich ein Wohngebiet nahe dem Flughafen der Hauptstadt Kabul getroffen worden. In Kabul gab es am Sonntag nur noch sporadisches und schwaches Luftabwehrfeuer.