Unter dem Druck russischer Geheimdienste?
9. März 2004Moskau, 9.3.2004, GRANI.RU, INTERFAX, KOMMERSANT
GRANI.RU, russ., 8.3.2004
Die föderalen Truppen in Tschetschenien greifen zu Geiselnahmen, um an Vertreter der Administration von Präsident Maschadow heranzukommen.
Am Sonntag (7.3.) kam Magomed Chambijew – Kriegsminister im Kabinett von Aslan Maschadow – in die Siedlung Zentoroj und übergab seine Pistole mit eingraviertem Namen und den Kampfsatz den Mitarbeitern der "persönlichen Garde" des Präsidenten Tschetscheniens, Achmad Kadyrow. Laut "Kommersant" wurde fast eine Woche lang versucht, ihn festzunehmen.
Dem vorausgegangen war eine breitangelegte Operation der föderalen Kräfte, bei der Druck auf die gesamte Familie Chambijew ausgeübt wurde. Wie der Außenminister von Itschkerija Iljas Achmadow mitteilte, haben die russischen Geheimdienste während einer "Sonderoperation", die in der Siedlung Benoj, in Grosny und anderen tschetschenischen Siedlungen durchgeführt wurde, selektiv 16 Mitglieder der Familie Chambijew festgenommen.
Festgenommen wurde unter anderem Aslan Chambijew, ein Student der Tschetschenischen Universität in Grosny. Unbekannte verfrachteten ihn in ein Auto und fuhren davon. (...) Bereits vorher, am 4. September 2002, entführten russische Geheimdienste den jüngsten Bruder des Ministers, den Arzt Ali Chambijew. Sein Schicksal ist weiterhin unbekannt.
Die Machtorgane erklärten vor Ort, dass alle Festgenommenen "zum Tode verurteilt werden", wenn sich Magomed und dessen Bruder Umar nicht den föderalen Truppen stellen.
Umar Chambijew ist ebenfalls Mitglied der Regierung von Itschkerija (Maschadow-Regierung – MD); er bekleidet das Amt des Gesundheitsministers. Seit dem Jahr 2000 war Umar Chambijew einer der führenden Vertreter der tschetschenischen Opposition in Europa. (...)
"Die massenhaften, politisch begründeten Entführungen sind ein barbarischer Akt des staatlichen Terrorismus, der darauf abzielt, die Bedeutung der legitimen politischen Führung Tschetscheniens zunichte zu machen", heißt es in einer Erklärung des Außenministers von Itschkerija. (lr)
INTERFAX, russ., 8.3.2004
(...) Bei der Staatsanwaltschaft Tschetscheniens wird davon ausgegangen, dass Magomed Chambijew und dessen Stellvertreter Charon Bibulatow, die sich den Machtorganen gestellt haben, freigelassen werden könnten. "Es wird überprüft werden, ob beide Festgenommenen schwere Verbrechen begangen haben", erklärte der stellvertretende Staatsanwalt der Tschetschenischen Republik, Aleksandr Nikitin, am Montag (8.3.) gegenüber "Interfax". "Wenn sie nichts getan haben, was unter irgendwelche Artikel außer Artikel 208 und 122 (Teilnahme an gesetzwidrigen Verbänden oder Waffenbesitz) fällt, können sie auf freien Fuß gesetzt werden", so der stellvertretende Staatsanwalt. "Nach den oben genannten Artikeln gilt das Sich-freiwillig-Stellen und Reue als mildernde Umstände und befreit von der Verantwortung." (...) Oberst Ilja Schabalkin (offizieller Vertreter des regionalen operativen Stabs – MD) erklärte, dass Magomed Chambijew in der letzten Zeit nicht aktiv an Kampfhandlungen auf der Seite der tschetschenischen Separatisten teilgenommen habe. "Am Anfang der antiterroristischen Operation im Nordkaukasus (1999 – IF) war Chambijew aktives Mitglied von Banditenverbänden, in den letzten anderthalb Jahren aber eher passiv. Allem Anschein nach hat er über die Situation in der Tschetschenischen Republik nachgedacht, darüber, was er tun soll und wie er die Waffen niederlegen könnte", sagte Ilja Schabalkin. (...)
NTW zufolge haben Vertreter der tschetschenischen Regierung erklärt, dass Magomed Chambijew sich in der Siedlung Zentoroj gestellt hat. "Magomed Chambijew habe in tschetschenischer Sprache erklärt, dass er sich nach zähen Verhandlungen entschieden habe, den Untergrund zu verlassen. In der Übersetzung hieß es, dass der Ältestenrat eine bestimmte Rolle in dieser Sache gespielt habe, dass er dem Präsidenten Tschetscheniens, Achmad Kadyrow, Glauben schenke und sich entschieden habe, sich zu stellen. "Man darf das Volk nicht mehr quälen, nicht mehr in Kampfhandlungen verwickeln", so die Worte von Magomed Chambijew in der Übersetzung. (...) (lr)
KOMMERSANT, russ., 9.3.2004, Olga Alljonowa
(...)
Feind von Schamil Bassajew
Magomed Chambijew war eine der einflussreichsten Figuren in der Umgebung von Aslan Maschadow. Dieser hatte ihn bereits 1997 zum Kriegsminister ernannt und ihn in den Rang eines Brigadegenerals erhoben. Während des gesamten zweiten Krieges befehligte Magomed Chambijew die sogenannte Ostfront, verteidigte strategisch so wichtige Punkte wie Kurtschaloj, Noschaj-Jurt und Dargo gegen die föderalen Truppen. Wie Personen berichten, die den Brigadegeneral kannten, habe Chambijew widerspruchslos die Befehle von Aslan Maschadow umgesetzt, obwohl er großen Respekt des Präsidenten von Itschkerija genossen habe. Eben ihn habe Aslan Maschadow des Öfteren um Rat gebeten.
Bemerkenswert ist, dass General Chambijew sich ganz am Anfang des Krieges mit Schamil Bassajew zerstritt, der die Wahhabiten unterstützt und nach Tschetschenien Söldner mit Chattab an der Spitze gebracht hat. Bekannt ist, dass sich Magomed Chambijew bei einem Militärrat im Jahr 2000 scharf gegen Schamil Bassajew aussprach, ihm das Scheitern des Feldzugs gegen Dagestan und das Entfesseln des Krieges vorwarf. Schamil Bassajew (...) zog seine Pistole und schoss auf General Chambijew, bekam jedoch auch selbst eine Kugel ab (beide wurden leicht verletzt). Nach diesem Vorfall trennten sich die Wege der Feldkommandeure.
Bekannt ist, dass sich Aslan Maschadow eben dank General Chambijew entschlossen hat, sich von Schamil Bassajew zu distanzieren und in Zukunft darauf zu bestehen, dass er die politische Opposition gegen Präsident Putin vertritt, die nichts mit Straftaten zu tun hat. (...)
"Chambijew war stets gegen die Wahhabiten", sagte der Anhänger Achmad Kadyrows und Abgeordnete der Staatsduma, Chalid Jamadajew. "Deshalb mochte er Bassajew nicht. Aber Maschadow hat er immer unterstützt. Ich würde sogar sagen, dass er in den letzten Jahren dessen rechte Hand war. Damit Maschadows Anhänger auch weiterhin an ihn glauben, lässt er in der Regel einmal im Monat eine Videoaufnahme machen. Darauf ist Chambijew immer in der Nähe von Maschadow zu sehen. Auch auf der letzten Kassette, die vor etwa einem Monat entstanden ist, sitzt Chambijew neben Maschadow." (...) (lr)