Uneinigkeit über Kosovo-Politik und Zusammenarbeit mit Den Haag
4. November 2004Bonn, 3.11.2004, DW-Radio / Serbisch, Filip Slavkovic
Die serbische Regierung steht unter Zugzwang. Die konservativ-liberale Koalition von
Ministerpräsident Vojislav Kostunica ist in Fragen der Zusammenarbeit mit dem Haager Kriegsverbrecher-Tribunal zutiefst zerstritten. Aber auch in Sachen Kosovo-Politik spricht Belgrad nicht mit einer Stimme. Filip Slavkovic mit Einzelheiten.
Die Uneinigkeit der serbischen Spitzenpolitiker hat sich erneut bei der Parlamentswahl in der UN-verwalteten Provinz am 23. Oktober gezeigt: Der linksliberale serbische Präsident Boris Tadic rief - wie auch die EU und die USA - die Kosovo-Serben zur Teilnahme an der Wahl auf. Regierungschef Kostunica hingegen empfahl - im Einklang übrigens mit Patriarch Pavle -, nicht wählen zu gehen, weil die Sicherheit und die Menschenrechtssituation mangelhaft sei.
Nachdem die serbische Gemeinde im Kosovo die Parlamentswahl am 23. Oktober fast vollständig boykottiert hat, kritisierte dann auch die internationale Staatengemeinschaft scharf die Haltung der Regierung in Belgrad: Sie und die Orthodoxe Kirche wollten alle Bemühungen zur Bildung einer multiethnischen und für alle Bürger sicheren Gesellschaft blockieren, sagte der UNMIK-Chef Sören Jessen-Petersen nach der Wahl. Eine Woche später klang er versöhnlicher, bekräftigte aber auch, dass im Sommer 2005 wie geplant die Verhandlungen über den völkerrechtlichen Status des Kosovo beginnen würden. Das Ergebnis solle bis Ende 2006 stehen.
Der Vizepremier Serbiens, Miroljub Labus, hat sich vor einer Woche für die sofortige Aufnahme der Status-Gespräche ausgesprochen - und wurde sogleich von Ministerpräsident Kostunica zurückgepfiffen. Am Mittwochabend (3.11.) wird nun Jessen-Petersen in Belgrad die Lage im Kosovo erörtern.
Die klare Forderung der albanischen Mehrheit im Kosovo nach vollständiger staatlicher Unabhängigkeit lehnen die dortigen Serben ab. Die Regierung in Belgrad fordert ihrerseits eine "Dezentralisierung", also eine weitreichende Selbstverwaltung der mehrheitlich serbischen Gemeinden. Der politische Berater im Belgrader Außenministerium, Slobodan Samardzic, sagte dazu am Montag (1.11.):
"Sollten die Dezentralisierungsgespräche vorangetrieben werden und sollten die Zusagen an die serbische Gemeinde im Kosovo absehbar werden, so würden die Serben eigene Institutionen schaffen, die im Kosovo Legitimität hätten. Als Gegenleistung könnten sie sich dann an den zentralen Institutionen des Kosovo beteiligen. Für so was wären natürlich Neuwahlen für die serbische Gemeinde notwendig."
Der zweite große Streitpunkt ist die Zusammenarbeit Serbiens mit dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag. Mehr als zwei Dutzend Angeklagte sollen sich noch in Serbien und Montenegro aufhalten, beklagte schon mehrmals Chefanklägerin Carla del Ponte. Sie und der Präsident des Gerichtshofes, Theodor Mehron, fordern immer wieder die serbische Regierung auf, die Gesuchten zu verhaften.
Verhaftungen könnten die politische Lage in Serbien destabilisieren, erwidern im Einklang Regierungschef Kostunica und seine Innen- und Justizminister. Sie setzen vielmehr darauf, dass sich Angeklagte selber stellen oder dass ihnen in Serbien der Prozess gemacht wird.
Für eine engere Zusammenarbeit mit Den Haag setzt sich hingegen Präsident Tadic ein. Bei seinem Besuch in Berlin vor einer Woche warnte er vor möglichen diplomatischen Sanktionen:
"In den nächsten Tagen sollte man mit dem Haager-Tribunal direkten Kontakt aufnehmen, damit wieder Vertrauen zwischen den serbischen Institutionen und dem Haager Tribunal geschaffen wird. Wenn Theodor Mehron und Carla del Ponte dem Weltsicherheitsrat ihren nächsten Bericht vorlegen werden, könnte der unsere außenpolitische Position ab November grundlegend verändern."
Die Belgrader Bürgerrechtlerin Biljana Kovacevic-Vuco glaubt allerdings nicht, dass
sich Kostunicas Haltung gegenüber dem Kriegsverbrecher-Tribunal in absehbarer Zeit ändern wird:
"Die serbische Regierung wird nur dann entscheiden, die Zusammenarbeit zu verbessern, wenn sie zu der Einschätzung kommt, dass es ihrem politischen Überleben nützt. Weil aber das politische Umfeld in Serbien wieder sehr negativ eingestellt ist - nicht nur gegenüber dem Haager-Tribunal, sondern auch gegenüber anderen Forderungen der Staatengemeinschaft -, erwarte ich nicht, dass dies sich ändern könnte."
Die Trotzigkeit Belgrads hat zu erneuten Spannungen mit der nach Unabhängigkeit strebenden Regierung in Podgorica geführt. Montenegro möchte sich aus dem Staatenbund verabschieden und sieht in der sturen Haltung der serbischen Regierung ein Hindernis für den eigenen Weg in die EU. Der Ministerpräsident Montenegros, Milo Djukanovic, beharrt deswegen auf einer Volksabstimmung über die Loslösung von Serbien. Das Referendum ist laut Staatsvertrag ab Frühling 2006 möglich. (fp)