Ukrainische Frontsoldaten: Zwischen Hoffnung und Resignation
5. April 2025Sobald es draußen dunkel wird, treffen die ersten verwundeten Soldaten ein - Gesichter und Hände schwarz von Erde. Sie kommen von einem Frontabschnitt bei Pokrowsk in der Ostukraine, der seit Anfang vergangenen Jahres zu den schwierigsten zählt. Nun suchen sie Hilfe in einem sogenannten Stabilisierungspunkt. Damit sind die Dutzenden Posten entlang der gesamten Frontline gemeint, die die Soldaten medizinisch versorgen sollen.
Die große Politik ist auch hier Thema. "Das hatte keine Auswirkungen auf den Krieg", sagt Militärarzt Iwan über die Waffenstillstandsverhandlungen im Krieg zwischen Russland und der Ukraine, die am 11. März in Saudi-Arabien begonnen haben. "Mir wäre es nur recht, wenn das alles schnell enden würde", betont er. "Wenigstens für einen Tag, was schon gut wäre."
Auf dem Operationstisch liegt gerade ein verletzter Soldat. Der Schützenpanzer, in dem er und mit vier Kameraden unterwegs war, überfuhr eine Minie, die daraufhin explodierte. Die Soldaten konnten erst nach zwei Stunden evakuiert werden. Der Mann erlitt schwere Verletzungen und Brüche an beiden Beinen. Seine Kameraden kamen mit einer Gehirnerschütterung davon.
Während Iwan die Wunden verbindet und Schienen anlegt, machen Sanitäter dem halb bewusstlosen Soldaten Mut und wischen ihm den Schmutz aus dem Gesicht. "Wir haben sein Bein gerettet", sagt einer von ihnen erleichtert.
Nach der schwierigen Nacht ist es am Morgen ruhig im Stabilisierungspunkt, die Ärzte dösen auf den Liegen. Es ist unwahrscheinlich, dass jetzt noch Verletzte gebracht werden.
Warten auf die Ablöse
Unterdessen versammeln sich Infanteristen einer Jägerbrigade im Hof eines Privathauses. Im Morgengrauen sollen sie sich zu den Stellungen begeben und ihre Kameraden ablösen. Während sie auf den Befehl warten, bekommen sie die Nachricht, vorerst bleiben zu dürfen.
Sie gehen zurück in ihre Zimmer, um noch etwas zu schlafen. Die Ablöse bei der Infanterie scheitert oft, erklärt Kommandeur Roman, der einmal 21 Tage in seiner Stellung auf eine Ablösung warten musste. "Es ist schwer, da rauszukommen, das ist die vorderste Frontlinie. Zudem herrscht Personalmangel", sagt er.
Roman erfuhr erst nach einem Einsatz von den Gesprächen über einen Waffenstillstand. "Wenn man da sitzt, wartet man ständig darauf, dass jemand über Funk sagt: 'Jungs, Waffenstillstand!'", erzählt Roman. Er habe jedoch den Eindruck, dass die Kämpfe an der Front während der Gespräche noch zugenommen hätten.
Die Infanteristen seiner Brigade würden bei Pokrowsk die Verteidigung aufrechterhalten. Die Stadt ist nur 70 Kilometer von Donezk entfernt, das die Russen besetzt haben. "Wir bewegen uns nicht, aber das ist schon schwierig genug", sagt Roman. Dass es bald einen Waffenstillstand gibt, glaubt er nicht. "Ich kann es mir nicht einmal vorstellen."
Auch ein weiterer Kommandeur mit dem Rufnamen "Milka" erwartet nichts von den Verhandlungen. "Ich werde nur eines glauben: Wenn meine Jungs von den Stellungen zurückkommen und sagen: 'Sie haben nicht geschossen, es war ruhig'", sagt er.
Der Beginn des Verhandlungsprozesses habe zu Unsicherheit geführt, wwas sich jedoch positiv auf die Motivation der Soldaten ausgewirkt habe, findet Offizier Roman Horodezkyj. Er leitet die Abteilung für psychologische Unterstützung der Soldaten. "Ihnen ist klar, dass alles nur von ihnen abhängt", so Horodezkyj.
Seiner Meinung nach wäre nur die Wiederherstellung der Grenzen der Ukraine von 1991 - also nach der Erklärung der Unabhängigkeit von der Sowjetunion - ein gerechtes Ende des Krieges. "Und alle Kriegsverbrecher müssen zur Verantwortung gezogen werden", fügt er hinzu.
Russischer Vormarsch an ganzer Front
"Ein gerechter Frieden ist meiner Meinung nach unmöglich", sagt ein Soldat mit dem Rufnamen "Haschyk" vom Drohnen-Bataillon. Seine Truppe macht sich auf in Richtung Welyka Nowosilka, westlich von Kurachowe, das die Russen auf ihrem Vormarsch nach Pokrowsk besetzt haben.
"In all dieser Zeit ist viel Territorium verloren gegangen, viele Menschen sind gestorben. Ich persönlich fände es ungerecht, wenn der Krieg einfach nur gestoppt würde." In einem vorübergehenden Waffenstillstand sieht "Haschyk" keinen Sinn. "Das wäre definitiv nur Zeit zur Vorbereitung auf den nächsten Angriff. Nach Ablauf des Waffenstillstands könnten die Russen uns mit größerer Kraft angreifen", erläutert er.
Nach "Haschyks" Beobachtungen haben sich die Verhandlungen auf die Lage an der Front nicht ausgewirkt. "Der russische Vormarsch geht unverändert weiter", sagt "Haschyk" und zuckt mit den Achseln. Es gelinge den Ukrainern aber, die Russen an der ganzen Front aufzuhalten.
Ein Soldat mit dem Rufnamen "Weißer", Kommandeur des Aufklärungstrupps bei Pokrowsk, bezeichnet die Lage an der Front als "permanent schlecht". "Wir sind in der Defensive. Angriffe führen wir nur durch, wenn wir Stellungen verlieren. Da, wo unsere Infanterie nicht standhalten konnte, versuchen wir, die Stellungen zurückzuerobern, noch bevor die Russen ihre Reserven dorthin bringen", ist er überzeugt.
Mit Drohnen den Feind im Blick
Aus einem engen Unterstand beobachten Ukrainer mit Hilfe einer Drohne, wie die Russen im Hinterland Soldaten zusammenziehen. "Wir sehen recht früh, wenn etwas auf uns zukommt", erklärt ein Drohnenpilot mit dem Rufnamen "Huzul". "Wir erfassen die Bewegung feindlicher Ausrüstung, die Standorte der Artillerie und der Soldaten. Die Informationen werden an Angriffsdrohnen und die Artillerie übermittelt, die die Angriffe abwehren", sagt er.
Am Morgen, als der Himmel noch klar ist, können die Piloten den Standort der russischen Infanterie auskundschaften. Doch als der Himmel zuzieht, werden die Drohnenflüge vorerst eingestellt.
Während sich die Drohnenpiloten ausruhen, sprechen sie über ihre Erwartungen an die Friedensgespräche. "Ich persönlich habe leider keine", sagt ein Soldat mit dem Rufnamen "Mirsojan".
"Ich möchte, dass Europa, Amerika und die ganze Welt sich einig sind, dass man dem Aggressor nicht erlauben darf, fremde Gebiete zu besetzen und dort Menschen zu töten. Alles andere wäre ein Signal an alle wie Wladimir Putin, dass sie tun können, was sie wollen. Und dass man sich dann einfach mit ihnen auf eine Art Einfrieren einigen kann."
Adaption aus dem Ukrainischen: Markian Ostaptschuk