Ukrainische Armee: Massiv geschwächt ohne US-Hilfe?
7. März 2025Auch in der Nacht zu Freitag meldete Kyjiw schwere Luftangriffe aus Russland - wieder einmal. Praktisch kein Tag vergeht, ohne dass irgendwo im Land die Sirenen heulen, Raketen einschlagen, Menschen getötet oder verletzt werden. Dieses Mal habe Russland erneut die Energie- und Gasinfrastruktur im Westen und Norden der Ukraine massiv mit Drohnen und Raketen attackiert, teilte Energieminister Herman Haluschtschenko auf Facebook mit.
Am Tag zuvor war die Stromversorgung rund um das südukrainische Odessa betroffen. Ebenso traf es ein Hotel im zentralukrainischen Krywyj Rih, der Heimatstadt des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Die ukrainische Luftwaffe erklärte, Russland habe dort mit zwei Raketen und über 100 Drohnen angegriffen. 68 dieser Drohnen habe die ukrainische Luftabwehr abschießen können. Doch mindestens eine der beiden Raketen kam durch. Sie schlug in ein fünfstöckiges Hotel ein, nach ukrainischen Angaben starben vier Menschen.
Luftabwehr auf US-Hilfe angewiesen
In Zukunft könnte Kyjiw das Abfangen solch massiver russischer Luftschläge noch schwerer fallen als ohnehin schon. Denn bislang wurde die ukrainische Armee gerade hierbei massiv von den USA unterstützt - noch deutlich stärker als von ihren anderen Bündnispartnern. Doch damit ist vorerst Schluss. Um Selenskyj an den Verhandlungstisch für eine Waffenruhe zu zwingen, setzte Donald Trump Anfang dieser Woche erst die US-Militärhilfen aus und kappte nur einen Tag später auch die Weitergabe von US-Geheimdienstinformationen an die Ukraine.
Für den Politikanalysten Dmitri Alperowitsch vom Silverado Policy Accelerator, einem US-Thinktank für Geopolitik, werden die Folgen dieses Beschlusses unmittelbar spürbar sein: "In bestimmten Dingen werden die Ukrainer dies sofort merken. Denn sie bekommen weit weniger Daten über den Abschuss von Marschflugkörpern und Drohnen auf ihr Territorium, die der eigenen Luftabwehr helfen könnten." Noch drastischer formuliert es Gustav Gressel: "Keine Weitergabe von Geheimdienstinformationen bedeutet unmittelbar mehr Tote und Verletzte auf Seiten der Ukraine", sagte der Militärexperte der österreichischen Landesverteidigungsakademie der DW. Denn ohne die Satellitenaufklärung der USA geht der ukrainischen Luftabwehr wertvolle Vorwarnzeit über Flugbahnen und Angriffsziele verloren - und sie käme dann oft schlichtweg zu spät.
Keine Aufklärung mehr über Truppenbewegungen?
Von den USA erhobene Satellitendaten und abgefangene Fernmeldesignale unterstützen die ukrainische Armee bei der Überwachung frontnaher russischer Truppenbewegungen. Sie helfen auch, mögliche Angriffstaktiken und Ziele russischer Bodenoffensiven entlang der über 1000 Kilometer langen Front in der Ostukraine zu entschlüsseln. "Ukrainische Kräfte können sich dann rechtzeitig vorbereiten und reagieren", erklärt der ehemalige Chef des Bundesnachrichtendienstes, Gerhard Conrad, gegenüber dem Nachrichtenmagazin Focus online. Sollten solche Informationen künftig jedoch fehlen, dann "tappen die Ukrainer im Dunkeln": Russische Frontdurchbrüche und Geländegewinne würden somit deutlich wahrscheinlicher.
Auch die Fähigkeit der Ukraine, gezielte militärische Gegenschläge im Hinterland durchzuführen, würde deutlich eingeschränkt. Denn die USA lieferten bislang auch zahlreiche Daten für den Betrieb eigener Raketensysteme und Marschflugkörper. "Nun bekommen die Ukrainer auch weniger Informationen, um selbst Missionen tief im Feindesland - etwa gegen Munitionsdepots, Kommandozentralen und Ziele in Russland - selbst durchführen zu können", so Politikanalyst Alperowitsch zur DW.
Weiteres Druckmittel Starlink?
Doch die USA stellten bislang nicht nur militärische Ausrüstung und nachrichtendienstliche Informationen bereit, sondern auch den Internetzugang für das ukrainische Militär: Weil Russland seit Kriegsbeginn auch die Kommunikationsinfrastruktur gezielt ins Visier nimmt, hat sich ausgerechnet das US-amerikanische Starlink als quasi unverzichtbar für die ukrainische Armee erwiesen. Über sein weitverzweigtes Satellitennetzwerk ermöglicht Starlink die Nutzung des Internets auch in sehr abgelegenen Regionen - oder eben dort, wo andere Netzzugänge zerstört sind. Dazu benötigen die ukrainischen Streitkräfte lediglich kleine tragbare Terminals, mit denen sie eine Verbindung zu den Starlink-Satelliten herstellen können. Große Teile der Kommunikation, der Zielerfassung und der Drohnensteuerung laufen über dieses Netzwerk.
Zwischenzeitlich gab es jedoch auch Befürchtungen, die USA könnten der Ukraine auch den Zugang zu Starlink verwehren. Der Starlink-Besitzer und enge Trump-Vertraute Elon Musk trat entsprechenden Berichten auf seiner eigenen Kommunikationsplattform X bereits entschieden entgegen.
Und doch: Ein Abschalten von Starlink hätte quasi unmittelbar einen zumindest teilweisen Zusammenbruch der ukrainischen Kommunikationsinfrastruktur an der Front zur Folge.
Was können die Europäer auffangen?
Noch ist unklar, ob es sich bei der US-amerikanischen Maßnahme um einen kompletten oder nur teilweisen Nachrichtenstopp handelt. Auch über die Dauer des Geheimdienstembargos ist nichts bekannt. US-Analyst Dmitri Alperowitsch ist sich sicher: "Andere könnten da einspringen, die Briten, die Niederländer und andere haben fantastische Fähigkeiten, Daten innerhalb Russlands zu sammeln. Sie könnten einiges von dieser Lücke schließen."
Aufgrund fehlender technischer Ausstattung ist jedoch fraglich, ob europäische Staaten in gleichem Umfang Daten bereitstellen könnten wie die USA. Das Satellitensystem Iris2 etwa, die europäische Antwort auf Elon Musks Starlink, soll erst 2030 fertiggestellt sein. Unklar ist, inwiefern der französisch-britische Betreiber Eutelsat mit seinen derzeit rund 650 Satelliten einspringen könnte. Zum Vergleich: Starlink verfügt über mehr als 7000. Und auch in Sachen militärischer Aufklärung verfügen die Europäer nicht über dieselben Kapazitäten wie die USA.
Dennoch arbeitet die Ukraine selbst eigenen Angaben zufolge bereits an alternativen Zugängen zu Geheimdienstinformationen anderer Staaten. Frankreichs Verteidigungsminister Sebastien Lecornu hat der Ukraine seinerseits angeboten, mit Kyjiw nachrichtendienstliche Erkenntnisse auszutauschen.
"Es braucht jedoch alles noch Zeit, bis das alles technisch realisiert wird", erklärt Militärexperte Gustav Gressel der DW. "Man muss nun bei vielen Dingen Workarounds finden, und das wird schwierig. Viel hängt davon ab, wie brauchbar die Lösungen sind, die ja zum Teil noch unerprobt sind. Aber es wird an Lösungen gearbeitet. Auch wenn diese schlechter sind als das, was es bislang gab."