Ukraine: Wie es LGBTQ+-Personen im Militär ergeht
2. Juli 2025"Mein ganzes Leben lang bin ich offen mit meiner sexuellen Orientierung umgegangen", sagt Roman Abraschyn, ein 25-jähriger homosexueller Drohnenpilot in der ukrainischen Armee. Als er sich mit 15 Jahren outete, wurde er von Freunden, Eltern und zwei Brüdern unterstützt, von denen einer heute in derselben Einheit dient wie Abraschyn.
Im April 2024 verpflichtete sich der junge Mann zum Dienst in den Streitkräften der Ukraine. Anfangs war Abraschyn kaum mit Vorurteilen oder Diskriminierung konfrontiert. Als sein Umfeld in der Armee von seiner sexuellen Orientierung erfuhr, reagierten die meisten neutral. "Es gab keine komischen Fragen", erzählt Abraschyn. Doch es macht ihm Sorge, dass es in der ukrainischen Armee zwar Hunderte offene LGBTQ+-Soldaten gibt, diese jedoch nicht dieselben Rechte genießen wie ihre heterosexuellen Kollegen.
Keine Rechte für Partner von LGBTQ+-Personen
In einem schmucklosen Gebäude haben sich die Soldaten aus Abraschyns Einheit zwischen Kisten voller Drohnen eingerichtet. Abraschyn selbst ist der Kommandant einer Gruppe von Drohnenpiloten, die meist von Kellern und Untergeschossen aus arbeiten, da sie ständig vom Feind gejagt werden. Seine Einheit ist heute in der Region Sumy stationiert, zuvor war sie in der Region Cherson.
Abraschyn ist seit Kurzem mit einem Zivilisten zusammen, aber in der Ukraine ist es nicht möglich, gleichgeschlechtliche Partnerschaften eintragen zu lassen. Er beklagt, dass im Todesfall sein Partner keinen Anspruch auf eine Entschädigung habe. "Auch wenn ich auf der Intensivstation liege, hat er keinerlei Rechte", sagt der Soldat, der dies als Ungerechtigkeit empfindet. "Wir kämpfen wie alle anderen, sind aber rechtlich nicht gleichgestellt", beklagt er.
Wann kommt das Gesetz über eingetragene Lebenspartnerschaft?
Der Gesetzentwurf zur eingetragenen Lebenspartnerschaft, der seit über zwei Jahren in den Ausschüssen des ukrainischen Parlaments beraten wird, ist eine der zentralen Forderungen der LGBTQ+-Community in der Ukraine. Ein solches Gesetz würde den Partnern zum Beispiel erlauben, von Ärzten Informationen zu bekommen sowie im Todesfall zu erben oder Sozialleistungen zu erhalten.
Eingebracht wurde der Gesetzentwurf von der oppositionellen Abgeordneten Inna Sowsun. Sie sagt im DW-Gespräch, das Gesetz werde vom Rechtsausschuss blockiert. Das Parlament sei ihr zufolge eher konservativ besetzt - knapp ein Drittel der Abgeordneten sei kategorisch gegen eingetragene Lebenspartnerschaften, etwas mehr als ein Drittel sei dafür. Der Rest zögere aus Sorge vor der Reaktion der Öffentlichkeit und Kollegen oder habe gar keine Meinung dazu. "Für LGBTQ+-Soldaten ist das eine dringende Frage, weil sie immer in Lebensgefahr sind", so Sowsun.
Mobbing und Drohungen
Der 19-jährige Dmytro dient seit etwa einem Jahr in der Armee. Er bezeichnet sich als asexuell, mag sowohl Männer als auch Frauen und sucht eher romantische und weniger sexuelle Beziehungen. Als Dmytros Orientierung in seiner Brigade bekannt wurde, gab es Probleme. "Mir wurde körperliche Gewalt angedroht", beklagt er. In einem Chat, in den die DW Einsicht nehmen konnte, rät ihm ein Kamerad, sich "eine andere Einheit zu suchen", und droht damit, die Gründe dafür "deutlich zu erklären, damit das lange in Erinnerung bleibt".
Solche Schikanen trieben Dmytro zu einem Selbstmordversuch, doch Ärzte retteten ihm das Leben. Erst danach erstattete er Anzeige bei der Polizei - erfolglos. "Bis heute gab es noch nicht einmal eine Reaktion", beklagt er. Schließlich gelang es ihm, in eine andere Brigade versetzt zu werden. Der junge Mann sagt, er kenne auch Fälle aus anderen Einheiten, in denen das Kommando versucht habe, einen LGBTQ+-Soldaten schnell an einen anderen Dienstort zu versetzen, nachdem es von seiner Orientierung erfahren habe.
Verantwortlichkeit für Übergriffe
Und doch sagt Dmytro, dass sich die Haltung in der Armee allmählich verändere. Er machte beim Militär auch positive Erfahrungen. "Als der Kommandeur einer Brigade von meiner sexuellen Orientierung erfuhr, unterstützte er mich und sagte, er würde mich nie beleidigen oder diskriminieren", sagt Dmytro.
Neben dem Gesetzentwurf zur eingetragenen Lebenspartnerschaft besteht die ukrainische LGBTQ+-Gemeinschaft auf der Einführung einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit für Straftaten, die auf Intoleranz, insbesondere Homophobie, beruhen. Dmytro kritisiert, dass Übergriffe auf LGBTQ+-Personen meist als 'Rowdytum' abgetan und zu milde bestraft würden. Ein Gesetz, das Hassverbrechen gegen LGBTQ+-Personen in den Vordergrund stellt, liegt seit 2021 im Parlament und wird seitdem erörtert.
Wie steht die Gesellschaft dazu?
Der Veteran und Leiter der NGO "LGBT+ Militärs und Veteranen für Gleichberechtigung" Viktor Pylypenko war einer der ersten Soldaten in der Ukraine, der sich offen zu seiner Homosexualität bekannt hat. Er fordert das Parlament auf, Gesetze zur Unterstützung der LGBTQ+-Gemeinschaft nicht weiter hinauszuzögern. Pylypenko beklagt, Politiker würden immer sagen, die ukrainische Gesellschaft sei nicht bereit für Veränderungen, was er aber nicht nachvollziehen könne.
Der Aktivist erinnert daran, dass Umfragen zufolge die Unterstützung für LGBTQ+-Personen zunimmt. Laut einer Studie des Kyiv International Institute of Sociology (KIIS) vom Juni 2024 sind mehr als 70 Prozent der Ukrainer dafür, dass LGBTQ+-Personen die gleichen Rechte wie alle Bürger haben sollten. Der gleichen Umfrage zufolge besitzen 14 Prozent eine positive Einstellung gegenüber der LGBTQ+-Community, 47 Prozent eine neutrale und 32 Prozent eine negative. Der letzte Indikator ist seit 2015 kontinuierlich rückläufig.
Gleichzeitig wurde eine Wohltätigkeitsveranstaltung der Organisation KyivPride Anfang Juni von den üblichen, wenn auch kleinen Protesten begleitet. Aktivisten machten in der Nähe des Außenministeriums in Kyjiw auf die Rechte von LGBTQ+-Personen aufmerksam und sammelten dabei Geld für die ukrainische Armee. Daneben versammelten sich Anhänger traditioneller Werte. Die Orthodoxe Kirche der Ukraine kritisierte später, dass die LGBTQ+-Aktion in der Nähe der St.-Michael-Kathedrale stattfand und bezeichnete sie als "kirchenfeindliche Provokation".
Wie viele LGBTQ+-Militärangehörige gibt es?
Der von Viktor Pylypenko geleiteten NGO gehören über 600 Militärs und Veteranen an. Nach ihren Angaben dienen schwule, lesbische, bisexuelle, transsexuelle, queere oder asexuelle Menschen in mindestens 59 Einheiten der ukrainischen Armee. Ihre genaue Zahl lässt sich nicht ermitteln, da viele nicht über ihre Orientierung sprechen. Ausgehend von Schätzungen in anderen Ländern könnte laut einer Studie von Pylypenkos NGO der Anteil von LGBTQ+-Personen in der ukrainischen Armee fünf bis zehn Prozent betragen.
Laut Pylypenko fehle es in der ukrainischen Armee an Regeln gegen Diskriminierung, durch die nicht nur die Rechte von LGBTQ+-Personen, sondern die aller Militärs besser geschützt werden. Er hofft, dass sich die Situation durch die geplante Schaffung eines Militärombudsmanns verbessern wird.
Drohnenpilot Roman Abraschyn glaubt, dass Veränderungen umso schneller eintreten, je mehr LGBTQ+-Menschen über sich und ihre Probleme sprechen. "Das ist wichtig, auch wenn es eine Welle des Hasses gibt", sagt er. Der Soldat Dmytro stimmt ihm zu. Beide wollen, wie die meisten Soldaten, dass der Krieg endet. "Ich möchte nur, dass meine Brüder, meine Lieben, Zivilisten und Kinder nicht mehr sterben", sagt Dmytro.
Adaption aus dem Ukrainischen: Markian Ostaptschuk