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PolitikUkraine

Ukraine: Streit um sowjetische Denkmäler in Odessa

19. Februar 2025

Während Russland immer wieder die Hafenstadt bombardiert, debattiert die Bevölkerung über ein Entkolonialisierungsgesetz. Welche russischen und sowjetischen Denkmale sollen entfernt und welche Straßen umbenannt werden?

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Puschkin-Denkmal in Odessa, in Hintergrund das Rathaus mit ukrainischer Flagge
Streitobjekt: Das Denkmal für den russischen Dichter Alexander Puschkin in OdessaBild: Iryna Ukhina/DW

Die Italienische Straße zieht sich durch das ganze Zentrum der ukrainischen Schwarzmeer-Metropole Odessa - vom Bahnhof bis zum Rathaus. Hier herrscht immer reger Verkehr und hier befinden sich das italienische Konsulat, die Philharmonie, das zentrale Kaufhaus und das historische Bristol-Hotel, das jüngst durch einen russischen Raketenangriff beschädigt wurde.

Blick auf die Italienische Straße in Odessa, durch die Menschen spazieren
Blick auf die Italienische Straße in OdessaBild: Iryna Ukhina/DW

Im Jahr 1880, zu Zeiten des russischen Zarenreiches, wurde die Italienische Straße umbenannt, nach dem russischen Schriftsteller Alexander Puschkin. Im vergangenen Juli erhielt sie im Zuge einer Entkolonialisierung ihren ursprünglichen Namen zurück. Das Puschkin-Denkmal gegenüber dem Rathaus steht noch, soll aber abgebaut werden.

Wer fällt unter die Entkolonialisierung?

Das Gesetz "Über die Verurteilung und das Verbot von Propaganda russischer imperialer Politik in der Ukraine und über die Entkolonialisierung der Toponymie", also der Gesamtheit der Ortsnamen, trat im Juli 2023 in Kraft - während des Angriffskriegs Russlands, der im Februar 2022 begann. Als eigentlicher Kriegsbeginn gilt in der Ukraine die russische Besetzung der Halbinsel Krim und von Teilen der Regionen Donezk und Luhansk im Jahr 2014.

Laut dem Ukrainischen Institut für Nationales Gedenken hatte "die imperialistische Politik Russlands in verschiedenen Zeiten die Unterwerfung, Ausbeutung und Assimilation des ukrainischen Volkes, einschließlich seiner Russifizierung, zum Ziel". Daher sieht das Gesetz vor, dass die örtlichen Behörden imperiale Symbole wie Denkmäler, aber auch Ortsbezeichnungen aus dem öffentlichen Raum entfernen, die aus dem Zarenreich oder der Sowjetunion stammen.

Geschieht dies nicht innerhalb gesetzter Fristen, wird die Regionalverwaltung aktiv, was im Falle von Odessa geschehen ist. Nun muss die Stadt Anordnungen zur Umbenennung von Straßen und zum Abbau von Denkmälern umsetzen.

Portrait von Artem Kartaschow, er ist Mitglied der Arbeitsgruppe zur Entkolonialisierung
Artem Kartaschow ist Mitglied der Arbeitsgruppe zur EntkolonialisierungBild: Iryna Ukhina/DW

Artem Kartaschow gehört zur Arbeitsgruppe Entkolonialisierung bei der Regionalverwaltung. Er erläutert, wer unter das Entkolonialisierungsgesetz fällt: "Es sind Personen, die bestimmte Ämter im Russischen Reich innehatten, an der Errichtung der Sowjetmacht auf dem Territorium der Ukraine beteiligt waren, Propaganda für das kommunistische Regime oder das des Zaren betrieben, Russifizierung und Ukrainophobie verbreiteten oder an der Verfolgung von Angehörigen der ukrainischen Unabhängigkeitsbewegung im 20. Jahrhundert beteiligt waren." Unter diese Kriterien fallen mehr als 400 Straßennamen und 19 Denkmale in der Region Odessa.

Brief an die UNESCO

Einige Kulturschaffende aus Odessa appellieren unterdessen an die UNESCO, sich dafür einzusetzen, dass die Entkolonialisierung bis zu Ende des Kriegs aufgeschoben wird. Zu den Unterzeichnern des Briefes gehört der Kunsthistoriker Kyrylo Lipatow.

"Es ist klar, dass die Ereignisse der letzten zehn und insbesondere der letzten drei Jahre eine Änderung der Haltung gegenüber solch einer unangenehmen Erinnerungskultur erfordern", sagt er. Doch aus seiner Sicht "stehen der ukrainische Staat und die Gesellschaft derzeit vor drängenderen und wichtigeren Problemen".

Portrait von Kunsthistoriker Kyrylo Lipatow, er appelliert an die UNESCO
Kunsthistoriker Kyrylo Lipatow appelliert an die UNESCOBild: Iryna Ukhina/DW

Lipatow meint, dass ein Abbau von Denkmälern imperiale Stereotype in den Köpfen der Menschen nicht auslösche. Vielmehr sollten im öffentlichen Raum neue Denkmale errichtet werden, um ukrainische Persönlichkeiten zu ehren, die mit Odessa verbunden seien.

Der Historiker Taras Hontscharuk weist darauf hin, es gebe in Odessa aus Russland finanzierte Denkmäler, die Personen gewidmet seien, die eigentlich mit der Geschichte der Stadt nichts zu tun hätten. An bekannte Ukrainer hingegen, die in der Stadt gewirkt hätten, werde nicht erinnert, bemängelt er.

Portrait von Historiker Taras Honcharuk, er fordert neue Denkmäler in Odessa
Der Historiker Taras Honcharuk fordert neue Denkmäler in OdessaBild: Iryna Ukhina/DW

Als Beispiel nennt Hontscharuk ein Denkmal für Wladimir Wyssozkij, einen Schauspieler, Sänger und Dichter, der trotz strenger Zensur der Kommunisten verbotene Themen ansprach. Ein Denkmal für ihn, das in der Nähe der Filmstudios von Odessa stand, wurde im Dezember entfernt. "Er war ein Moskauer Schauspieler, der in der ganzen Sowjetunion bekannt war, aber in Odessa nur eine Filmrolle gespielt hat", sagt der Historiker.

Ein Denkmal verdient hätten aus seiner Sicht eher der ukrainische Regisseur Oleksandr Dowschenko, der als Gründer des poetischen Kinos gilt und in Odessa seine ersten Filme drehte. Oder der Regisseur und Schauspieler Les Kurbas, der zu den bedeutendsten Vertretern der ukrainischen Avantgarde zählt, und der ukrainische Schriftsteller Jurij Janowski, der das "ukrainische Hollywood an der Schwarzmeerküste der 1920er Jahre" beschrieb.

Was passiert mit abgebauten Denkmalen?

Gegner der Entkolonialisierung sprechen von einer Zerstörung des kulturellen Erbes der Stadt. Protestaktionen organisiert der Journalist Leonid Schtekel, der vor allem die Umbenennung der Straßen kritisiert, die nach den sowjetischen Schriftstellern Walentin Katajew, Ilja Ilf, Isaak Babel und Konstantin Paustowski benannt waren. "Das sind Menschen, die der Stolz der Odessaer Kultur waren", findet er.

Portrait des Journalisten Leonid Schtekel, er ist gegen den Abbau von Denkmalen  in Odessa
Der Journalist Leonid Schtekel ist gegen den Abbau von Denkmalen in OdessaBild: Iryna Ukhina/DW

All die Schriftsteller würden aber unter das Entkolonialisierungsgesetz fallen, sagen die Mitglieder der zuständigen Arbeitsgruppe bei der Regionalverwaltung. Artem Kartaschow betont, dass zum Beispiel Isaak Babel alle möglichen Kriterien des Gesetzes erfülle. Er selbst habe im Vorwort zu seiner Erzählsammlung "Reiterarmee" geschrieben, dass er in der Tscheka, der ersten sowjetrussischen Geheimpolizei, gedient habe. "Er verherrlichte die Sowjetmacht, die er auf dem Territorium der Ukraine errichtete, und er verfolgte Angehörige der ukrainischen Unabhängigkeitsbewegung im 20. Jahrhundert", so Kartaschow.

Denkmal für den sowjetischen Schriftsteller Isaak Babel in Odessa
Denkmal für den sowjetischen Schriftsteller Isaak Babel in OdessaBild: Iryna Ukhina/DW

Nach ihrem Abbau werden die Denkmäler an verschiedenen Orten aufbewahrt - darunter in Museen und Ausstellungen. Kartaschow betont, es gehe darum, keine Glorifizierung mehr mit ihnen zu betreiben. Stattdessen sollte in Odessa an jene Menschen erinnert werden, die "einst die sowjetische oder imperiale Propaganda auslöschen wollten". Sowjetische Generäle würden nun beispielsweise durch Persönlichkeiten des heutigen Krieges ersetzt.

Odessas Multikulturalismus

Die Gegner der Entkolonialisierung behaupten zudem, dass die Umbenennungen den für Odessa typischen Multikulturalismus verletzen würden. Gegner ihrer These betonen jedoch, dass gerade die Entkolonialisierung neue Chancen biete, jenen Multikulturalismus wiederzuentdecken.

"Odessa blühte auf, als es eine multikulturelle Stadt war, doch dann wurde sie ausschließlich russischsprachig", sagt Switlana Bondar vom ukrainischen Institute for Central European Strategy, einer Denkfabrik die 2019 in Uschhorod gegründet wurde.

Ihrer Meinung nach gibt es in Odessa heute viel mehr Straßen, die nach Vertretern ethnischer Minderheiten benannt sind. "Mit der Entkolonialisierung tritt Odessas Multikulturalismus erst zutage, der in der Sowjetzeit verloren gegangen ist", betont Bondar.

Adaption aus dem Ukrainischen: Markian Ostaptschuk.