Ukraine-Krieg: Ahnungslose Inder mussten in Russland kämpfen
11. Februar 2025Der 32-jährge Azad Yousuf Kumar kommt aus dem Distrikt Pulwama in Südkaschmir. Der studierte Wirtschaftswissenschaftler sei allerdings arbeitslos, erzählt er der DW. Im Dezember 2023 sei er bei der Suche nach Arbeitsmöglichkeiten im Ausland auf einen YouTube-Kanal gestoßen, der lukrative Geschäfte für eine russische Sicherheitsfirma mit vielversprechenden Verdienstmöglichkeiten anbot.
Azad sagt, er sei von den Chancen geblendet worden und habe dem Anbieter hinter dem inzwischen gelöschten Kanal umgerechnet 1.430 Euro Reise- und Bearbeitungsgebühren gezahlt.
Heute weiß Azad, dass alles nur eine Lüge gewesen sei. Mit einem Dutzend Landsleuten zusammen habe er an der russisch-ukrainischen Grenze mehrere Monate lang gegen die Streitkräfte der Ukraine kämpfen müssen.
"Ich habe Nahtoderfahrungen gemacht, darunter Verletzungen während des Kampftrainings", sagt Azad der DW von seinem Wohnsitz im indischen Kaschmir aus. Inzwischen hat er die Fronten verlassen und ist nach Indien zurückgekehrt.
Ohne Erfahrung mitten im Krieg
Azad erzählt DW, dass er unmittelbar nach der Ankunft mit der brutalen Realität des Krieges konfrontiert wurde, als er in der kriegszerstörten Stadt Luhansk stationiert wurde. Luhansk liegt in dem von Russland eroberten Teil der Ostukraine.
Er behauptete, er und andere Menschen hätten unter Artilleriefeuer Schützengraben ausheben müssen, während oft Granaten in unmittelbarer Nähe ihrer Stellungen einschlugen. "Schon nach ein paar Wochen Training erlitt ich eine Schusswunde am Fuß, weil ich die Waffe nicht so gut halten konnte. Später verbrachte ich zwei Wochen im Krankenhaus", sagt Azad.
Im Januar räumte die indische Regierung ein, dass 126 indische Staatsbürger in der russischen Armee gedient hätten. Mindestens 12 Menschen seien bei Kampfhandlungen gestorben, 16 weitere gelten als vermisst. Die Regierung in Neu Delhi zählt bisher 96 Rückkehrer.
"Dass ich nach neun Monaten nach Hause kam, war ein Wunder", sagt Azad Yousuf Kumar im Gespräch mit der Deutschen Welle, "ich war wie viele andere junge Männer aus Indien Opfer eines massiven Beschäftigungsbetrugs geworden. Ja, es gibt schlimme Erinnerungen an meinen beängstigenden Aufenthalt in Russland. Aber meine kleine Tochter spendet mir jetzt Trost."
Wie Azad sagen auch mehrere andere Menschen aus Südindien, dass sie von derselben Agentur betrogen und nach Russland verschleppt worden seien. Die indische Regierung möchte sie nun alle zurückholen. "Wir haben auch unsere Forderung nach einer baldigen Entlassung der verbleibenden indischen Staatsangehörigen bekräftigt", sagte der Sprecher des indischen Außenministeriums, Randhir Jaiswal.
Wieder zu Hause
Syed Ilyas Hussaini, ein 23-Jähriger aus dem südwestlichen indischen Bundesstaat Karnataka, sowie seine Freunde Abdul Nayeem und Mohammed Sameer Ahmed sagten, auch sie hätten unseriöse Jobangebote angenommen, für russische Sicherheitsfirmen zu arbeiten. Im Monat sollen sie zwischen umgerechnet 800 und 1100 Euro verdienen können.
Hussaini hatte für ein Cateringunternehmen am Flughafen von Dubai gearbeitet, bevor er nach Russland wechselte. Dort seien er und seine Freunde gezwungen worden, für ein privates Militärunternehmen zu arbeiten und zusammen mit Männern aus Nepal und Kuba an der russisch-ukrainischen Grenze zu kämpfen.
"Meine Freunde und ich wurden gezwungen, Verträge in russischer Sprache zu unterschreiben. Ich hatte kein Wort verstanden und landete sofort in der russischen Armee", sagt Hussaini der DW. "Unsere Pässe und Handys wurden uns weggenommen. Wir mussten Armeeuniformen tragen. Spätestens jetzt wurde uns klar, dass wir betrogen worden waren. Und wir befürchteten das Schlimmste. Es war Folter und unser Kommandant hat uns schlecht behandelt."
"Wir befürchteten, dass wir nicht lebend nach Hause fahren würden, als der Kollege Hemil Mangukiya aus Surat im Bundesstaat Gujarat bei einem Drohnenangriff getötet wurde, während er einen Graben aushob. Ich dachte, ich würde auch sterben", so Hussaini weiter.
Im März 2024 beschrieb Hussaini, wie er es schaffte, sich ein Smartphone zu besorgen und zusammen mit anderen indischen Staatsbürgern eine Videobotschaft aufzunehmen. Darin schilderten sie ihren Familien und Freunden daheim ihre peinliche Situation.
"Das Video ging viral. Die Regierung und die Politiker wurden auf unsere Notlage aufmerksam. Dann dauerte es Monate, bis wir nach Moskau zurückgeschickt wurden und im September wieder nach Hause kamen", erzählte Hussaini. Das Video wurde inzwischen gelöscht.
Während des zweitägigen Besuchs vonPremierminister Narendra Modi in Moskau im Juli 2024 versprach Russland laut Reuters unter Berufung auf einen indischen Beamten, alle Inder zu entlassen, die fälschlicherweise dazu verleitet worden waren, der Armee beizutreten und dann zum aktiven Kampfeinsatz in der Ukraine gezwungen worden waren. Die Entscheidung, die von Russland nicht offiziell bekannt gegeben wurde, fiel nach Modis Treffen mit Präsident Wladimir Putin.
Russisches Roulette
Mohammad Sufiyan aus Hyderabad im südindischen Bundesstaat Telangana kam im Dezember 2023 am Moskauer Flughafen Domodedowo an. Die Abholer hätten ihm seine Reisedokumente abgenommen. Er sei gezwungen worden, für ein Söldnerunternehmen in der Ukraine zu kämpfen. "Es war eine schreckliche Erfahrung an der Kriegsfront. Auch viele Tage nach meiner Rückkehr habe ich Albträume von Drohnen, die Bomben abwarfen, Kugeln und Menschen, die schrien", sagt Sufiyan der DW.
Sufiyan behauptet, er sei zusammen mit russischen Soldaten auf einem Stützpunkt etwa 50 Kilometer nach der ukrainischen Grenze stationiert gewesen. "Wenn wir protestierten, schoss der Offizier, der unsere Einheit kommandierte, in unsere Nähe, um uns Angst zu machen. Es ist ein Wunder, dass ich dem Tod entkommen konnte", sagt er.
Anmerkung: Die Fotos von indischen Kämpfern in diesem Artikel wurden von den Interviewpartnern zur Verfügung gestellt.