Tanz trotzt Trümmern: Die Kraft des Balletts in der Ukraine
In den vor Bomben geschützten Kellerräumen des Opernhauses von Charkiw spendet das Ensemble der Companie Opera East mit seinem Tanz Trost und Hoffnung. Sie glauben daran: Kunst ist stärker als Krieg.
Ballerinas - Lichtblick im dunklen Keller
Seit der russischen Invasion in die Ukraine am 24. Februar 2022 belasten der Krieg und seine unerbittliche, unausweichliche Nähe viele Menschen in der Stadt Charkiw - physisch und psychisch. Doch es gibt einen Ort in der Metropole, an dem der Krieg - für ein paar flüchtige Stunden - aufhört zu existieren. Dazu gehört dieser Kellerraum, in dem die Ballettschuhe schimmern.
Die Schaukel steht still
In Charkiw ist es schwer, dem Krieg zu entkommen. Eine einsame Schaukel in den Trümmern zerbombter Wohnhäuser erzählt die stumme Geschichte von der Unsicherheit, der die Menschen seit nunmehr drei Jahren ausgesetzt sind. An manchen Tagen, wenn der Wind aus der richtigen Richtung weht, kann man das Feuer der Artilleriegeschosse von der Front, ungefähr 30 km entfernt, hören.
Vorhang auf für die Primaballerina
Antonina Radievskaya, künstlerische Leiterin der Ballettkompanie Opera East, lugt hinter dem Vorhang der Bühne im dunklen, gemauerten Keller des Nationalen Akademischen Opern- und Balletttheaters Charkiw hervor. Hier wurde ein vor Drohnen und Bomben geschützter Raum geschaffen, in dem man für ein paar Augenblicke der bitteren Realität entfliehen kann.
"Wunderbares schenken"
Antonina Radiyevskaya und ihre Ensemblemitglieder verlassen ihre sichere Unterkunft in einem slowakischen Flüchtlingsheim immer wieder, um nach Charkiw zurückzukehren und zu tanzen. "Trotz der Bomben können wir den Menschen etwas Wunderbares schenken", sagt Radiyevskaya. Die Choreographie zu der Musik von Frédéric Chopin geht auf den Choreografen Michel Fokine (1880–1942) zurück.
Perfektion in Schwarzweiß
Chopins Klavierstücke wurden von dem Komponisten Alexander Glasunow (1865–1936) orchestriert. Die erste Aufführung im "Ballettbunker" von Charkiw fand im April statt. Trotz der provisorischen Kulisse wurde die Vorstellung mit klassischem Pomp inszeniert - ein besonderer Augenblick für Charkiws Kulturleben, denn es war die erste, vollständige Aufführung eines klassischen Balletts seit Februar 2022.
Anmut im Abstellraum
Trotz der herausragenden Leistungen des klassischen Balletts in der Ukraine scheint diese Welt, mit Pirouetten, Pas-de-deux und Chiffon-Tutus, zurzeit weit entfernt vom Alltag der Ukrainer in Kriegszeiten zu sein. Der Tag besteht darin, Apps auf Drohnenwarnungen zu prüfen, bei Bombenalarm auf dem Boden einer U-Bahn-Station zu schlafen oder nach Verwandten an der Front zu suchen.
Draußen Blumen, drinnen Ballett
Nur einen Tag vor der russischen Invasion, am 23. Februar 2022, führte das Nationale Opern- und Balletttheater der Ukraine in Charkiw noch das klassische Meisterwerk "Giselle" auf. Als Moskauer Truppen am 27. Februar die Außenbezirke Charkiws erreichten und drohten, die Stadt einzunehmen, schloss das Theater, und ein Großteil der Balletttruppe zog ab. 2024 kehrte das Ensemble zurück.
Klavierklänge im Keller
Alles begann mit einem Probenraum im Keller. Im Oktober 2023 wurde begonnen, in den Tiefen des Theatergebäudes Klavierproben abzuhalten. Im Frühjahr des folgenden Jahres erhielt das Theater die Erlaubnis, ein Publikum aufzunehmen, und es fanden kleinere Ballettaufführungen und Kinderkonzerte statt. Die "Wiederbelebung" des Ballett-Ensembles, erfolgte in kleinen, aber kontinuierlichen Schritten.
Tanzen und auf Frieden hoffen
Die Aufführung einer klassischen Oper sende heute erneut ein Zeichen dafür, dass die Ukraine noch stehe, so Igor Tuluzov, Generaldirektor der Opera East, der Truppe, die die Produktion aufführt. "Wir zeigen der Welt, dass wir wirklich ein autarker Staat sind, unabhängig in all seinen Aspekten, einschließlich der kulturellen Unabhängigkeit", sagt er.