Türkei: Proteste erreichen Erdogans Heimatregion
26. März 2025In der Türkei haben die Proteste gegen die Inhaftierung des Istanbuler Bürgermeisters Ekrem Imamoglu die Heimat von Präsident Recep Tayyip Erdogan erreicht. Wie der oppositionsnahe Sender Halk TV berichtet, versammelten sich Hunderte Menschen in der nordöstlich gelegenen Stadt Rize am Schwarzen Meer, aus der Erdogans Familie stammt.
Auch in den großen Metropolen gingen die Kundgebungen trotz eines Demonstrationsverbots weiter. In Istanbul marschierten überwiegend junge Teilnehmer durch den Bezirk Sisli. Zahlreiche Regierungskritiker trafen sich zudem vor der Stadtverwaltung. Für Samstag rief der CHP-Vorsitzende Özgür Özel zu einer Großkundgebung in Istanbul auf. Dabei würden auch vorgezogene Neuwahlen gefordert, sagte der Parteichef, der Imamoglu unterdessen im Gefängnis besuchen konnte.
Auch Journalisten in Gewahrsam
In der Hauptstadt Ankara gab es ebenfalls neue Proteste. Seit deren Beginn vor einer Woche wurden laut Innenministerium mehr als 1400 Menschen festgenommen, von denen knapp 1000 weiterhin in Gewahrsam sind, darunter auch mehrere Journalisten. Während das Ministerium auf verletzte Einsatzkräfte verweist, werfen Oppositionelle der Polizei ein brutales Vorgehen gegen überwiegend friedliche Demonstranten vor.
Zur Zahl der Verletzten auf deren Seite gibt es keine verlässlichen Angaben. Wiederholt gingen Sicherheitskräfte mit Schlagstöcken, Reizgas und Wasserwerfern gegen Kundgebungsteilnehmer vor. In Istanbul setzte die Polizei nach offiziellen Angaben auch Pfefferspraygeschosse ein; Demonstranten erklärten, es seien auch Plastikkugeln abgefeuert worden.
Präsident Erdogan sagte in einer Rede vor Abgeordneten seiner Partei AKP, die Regierung werde sich von den "Provokationen" nicht reizen lassen. Inzwischen mehren sich allerdings auch kritische Stimmen aus dem Ausland. US-Außenminister Marco Rubio habe gegenüber dem türkischen Amtskollegen Hakan Fidan "seine Besorgnis über die jüngsten Festnahmen und Demonstrationen in der Türkei zum Ausdruck gebracht", teilte eine Sprecherin des State Departments nach einem Treffen beider Politiker in Washington mit.
Die Nachrichtenagentur Reuters meldet indes unter Berufung auf türkische Diplomatenkreise, eine solche "Besorgnis" sei in dem "sehr positiven" Gespräch überhaupt nicht zur Sprache gekommen. Bislang hatten die USA von der türkischen Regierung lediglich die Einhaltung der Menschenrechte eingefordert.
Zweitgrößte Armee der NATO
Hintergrund dürfte auch die Rolle Ankaras als NATO-Mitglied sein: Die Türkei hat die zweitgrößte Armee des Bündnisses, und auf ihrem Gebiet befinden sich zwei wichtige Luftwaffenstützpunkte der Militärallianz. Ziel des Besuchs von Fidan in Washington war auch, die Rüstungszusammenarbeit wieder zu intensivieren. US-Präsident Donald Trump hatte 2020, also während seiner ersten Amtszeit, Sanktionen gegen die Türkei verhängt, nachdem das Land russische S-400-Luftabwehrsysteme erworben hatte.
In der Europäischen Union wurde wegen der Entwicklungen zuletzt erwogen, geplante Gespräche über einen Ausbau der EU-Kooperation mit der Türkei abzusagen. Der Vorsitzende der EVP-Fraktion, der größten Abgeordnetengruppe im Europäischen Parlament, sieht das Land "auf dem falschen Weg". Der Deutschen Presse-Agentur sagte Manfred Weber, der der Christlich-Sozialen Union in Bayern (CSU) angehört: "Die EU will eine enge Partnerschaft mit der Türkei, das kann aber nur auf Basis gemeinsamer Werte funktionieren." Die Justiz als "politische Waffe" zu verwenden, sei mit diesen Werten nicht vereinbar, kritisierte Weber.
Der in der Bevölkerung beliebte Imamoglu, der als wichtigster politischer Gegner Erdogans gilt, war am Mittwoch voriger Woche festgenommen worden. Am Sonntag ordnete ein Gericht wegen Korruptions- und Terrorvorwürfen die Inhaftierung des CHP-Politikers an, kurz darauf wurde er von seinem Amt als Oberbürgermeister suspendiert. Dennoch stellte seine Partei Imamoglu offiziell als Kandidaten für die Präsidentenwahl auf, die regulär für 2028 geplant ist. Der 54-Jährige bestreitet alle gegen ihn erhobenen Anschuldigungen und wirft der Regierung vor, sie wolle ihn mit den Ermittlungen politisch kaltstellen.
jj/se (dpa, afp, rtr)
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