Gelobtes Land für Berufseinsteiger?
30. Dezember 2013Hasan Aydin war begeistert. Der Wirtschaftsstudent aus Köln machte im Spätsommer 2013 ein Praktikum bei einem politischen Think-Tank in Istanbul: "Ich hatte hohe Erwartungen, als ich dorthin gegangen bin, denn ich konnte mir sehr gut vorstellen nach dem Studium in der Türkei zu arbeiten", so der 25-Jährige im Gespräch mit der Deutschen Welle. Doch dann kam vieles anders als erhofft. Hasan empfand vor allem den Umgang mit seinen Vorgesetzten als befremdlich: "Als ich in Deutschland in einem Unternehmen gearbeitet habe, hat mein Chef auch mal nach meiner Meinung gefragt." In der Türkei habe das komplett gefehlt. "Wenn der Vorgesetzte was gesagt hat, dann musste man das so hinnehmen." Außerdem habe er sich als Deutsch-Türke diskriminiert gefühlt: "Ich war der Neuling, ich war der aus Deutschland."
200.000 Abgewanderte
Hasan ist bei Weitem kein Einzelfall. Knapp 200.000 junge Menschen mit türkischen Wurzeln haben Deutschland allein in den Jahren 2007 bis 2011 verlassen. Das ist das Ergebnis einer Studie der türkisch-deutschen Stiftung für Bildung und wissenschaftliche Forschung (TAVAK) mit Sitz in Istanbul. Nicht immer sind es beruflichen Gründe, die viele junge "Almancilar", "Deutschländer", wie die in Deutschland aufgewachsenen Türken in der Türkei genannt werden, dazu bewegen, ihr Glück in der Türkei zu suchen. Für Beyza Külünk ist es eher Neugier: Sie sei zwar in Deutschland geboren und aufgewachsen, dennoch "habe ich mir die ganzen Jahre auch die Frage gestellt, wie es wäre, mal als 'Einheimische' im Heimatland meiner Eltern zu leben", erzählt die 23-jährige Pädagogikstudentin aus Köln.
Weshalb die Türkei so reizvoll erscheint - das wurde bereits wissenschaftlich untersucht. Der Sozialwissenschaftler Kamuran Sezer vom Futureorg Institut in Krefeld erforscht die Lebenseinstellungen, Gewohnheiten und Einstellungen der türkischen Bildungselite in Deutschland. Einen Grund für deren Abwanderungsdrang sieht er bei vielen in einer verfehlten Integrationspolitik: "Wir haben festgestellt, dass es nicht gelungen ist, dass sich diese jungen, klugen Köpfe mit Deutschland identifizieren können. Als Resultat fühlen sie sich diskriminiert." Dazu komme die Entwicklung in der Türkei: "Die türkische Wirtschaft boomt. Sie ist deswegen angewiesen auf hochqualifizierte Leute." Vor allem Deutschland mit seinen vielen gut ausgebildeten Türkischstämmigen sei da ein wichtiger Markt, um Arbeitskräfte zu aquirieren, so Sezer im Gespräch mit der DW.
Kritik am Chef - unerwünscht
Allerdings würden viele Deutsch-Türken die kulturellen Unterschiede zwischen den Ländern unterschätzen, erzählt er: "Diejenigen Almancilar, die in einem türkischen Unternehmen in der Türkei gearbeitet haben, waren häufig erst einmal frustriert." Vor allem die unterschiedliche Diskussionskultur in den Unternehmen in der Türkei und in Deutschland stoße vielen Deutsch-Türken auf. In der Türkei dürfe der Chef nur ganz vorsichtig kritisiert oder auf seine Fehler hingewiesen werden. Dies sei in deutschen Chefetagen ganz anders.
Auch Beyza merkte während ihres Praktikums schnell, dass sie es mit ihrer deutschen Ausbildung in der Türkei schwer haben würde: "Bei Pädagogik fließen auch immer gesellschaftliche Werte mit ein. Und schon während meines Kurzpraktikums in einem Kindergarten in Istanbul ist mir aufgefallen, dass es sehr große Unterschiede zum deutschen System gibt."
Deutschland als Bezugspunkt
Das Gefühl der Fremde hätten viele der Neuankömmlinge wenn sie zum ersten Mal in die Türkei kämen, um dort zu leben: "Deutsch-Türken bilden eine zusammengehörige Gruppe, die sich von der türkischen, einheimischen Gesellschaft abhebt", so Kamuran Sezer. Deswegen organisierten sie sich auch in sozialen Netzwerken oder ganz real bei sogenannten Rückkehrerstammtischen. Diese gibt es inzwischen in fast allen türkischen Städten und dienen vor allem als Plattform für Neuankömmlinge und als Bezugspunkt zu Deutschland.
Diese Bindung nach Deutschland wäre auch für Beyza sehr wichtig: "Wir sind eben Deutsch-Türken und deswegen denke ich, dass ich niemals die Brücken nach Deutschland abbrechen würde. Am liebsten würde ich an Austauschprojekten mitarbeiten, bei denen es um die Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei geht."
Auch Hasan Aydin hat aus seiner Erfahrung heraus seine "deutsche" Ader entdeckt: "Ich könnte ich mir zwar nach wie vor vorstellen in der Türkei zu arbeiten, aber dann sollte es in einem deutschen Unternehmen sein."