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GesellschaftTürkei

Tödliche Gefahr: Gepanschter Alkohol in der Türkei

5. März 2025

In der Türkei sind seit Jahresbeginn mehr als 160 Menschen durch Alkoholvergiftungen ums Leben gekommen. Deutschland warnt Türkei-Urlauber vor gepanschtem Alkohol. Was sind die Ursachen?

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Im Bild ist ein Mann in einem Restaurant zu sehen. Auf dem Tisch stehen zwei Falschen des Anisschnaps Raki.
Raki-Schnaps - serviert in einem Restaurant in IstanbulBild: Tolga Bozoglu/dpa/picture alliance

Der türkische Anisschnaps Raki ist weit mehr als nur ein alkoholisches Getränk. Er ist tief in der türkischen Gesellschaft verwurzelt und Teil einer lebendigen Ess- und Trinkkultur. Stundenlange Mahlzeiten, herzhaftes Lachen, gemeinsames Singen, Freude und Emotionen prägen gesellige Raki-Abende. Diese Tradition hat auch Dichter und Künstler inspiriert. Der berühmte Poet Orhan Veli Kanik etwa drückte seine Verbundenheit zum Raki mit den Worten aus, er wolle ein Fisch in einer Raki-Flasche sein. Die Popdiva Sezen Aksu widmete dem Raki in ihrem Lied "Sind wir wieder Blumen?" eine Liebeserklärung. Selbst der Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk war für seine ausgedehnten Raki-Tafeln mit Freunden und Künstlern bekannt.

In den vergangenen Jahren wurde diese Tradition jedoch von einer besorgniserregenden Zunahme von Todesfällen durch Alkoholvergiftungen überschattet. Vor allem die Großstädte Istanbul, Ankara und Izmir, aber auch die Urlaubsregionen sind betroffen.

Hohe Besteuerung

Besonders in diesem Jahr ist die Zahl der Todesopfer durch gepanschten Alkohol drastisch gestiegen. Seit Jahresbeginn sind mindestens 160 Menschen ums Leben gekommen. Laut dem türkischen Innenminister Ali Yerlikaya wurden bis Ende Februar 648.000 Liter von illegal hergestelltem Raki, Wodka, Whiskey, Gin und weiteren Schnäpsen beschlagnahmt und etwa 560 Verdächtige festgenommen.

Die Preise für alkoholische Getränke sind in der Türkei aufgrund hoher Steuern in den vergangenen Jahren erheblich gestiegen. Eine Flasche Raki kostet mittlerweile umgerechnet etwa 35 Euro. Angesichts eines Mindestlohns von rund 572 Euro im Monat ist dies für viele Menschen unerschwinglich. Im Vergleich dazu ist Raki in Deutschland mit Preisen zwischen 12 und 18 Euro deutlich günstiger.

Die Preise für alkoholische Getränke sind in der Türkei aufgrund hoher Steuern in den letzten Jahren erheblich gestiegen. Viele brennen ihren Raki oder Wein selbst. Im Bild ist ein Glasballon in einer Küche. Im Hintergrund ein Mann, der seinen Raki zu Hause herstellt.
Wie dieser Mann - der immerhin Chemiker ist und weiß, was er tut - brennen inzwischen viele Türken ihren Raki selbstBild: Lefteris Pitarakis/AP Images/picture alliance

Das Auswärtige Amt weist auf die Gefahr hin

Das Auswärtige Amt in Berlin und Experten warnen eindringlich vor dem Konsum gepanschten Alkohols in der Türkei. Es wird Türkei-Urlaubern geraten, beim Alkoholkonsum äußerste Vorsicht walten zu lassen, vor dem Verzehr genau auf die Originalverpackung der Getränke zu achten und sich zu vergewissern, dass die am Deckel der Flasche angebrachte blau-türkisfarbene Banderole unbeschädigt ist.

Auch die türkische NGO "Beobachtungsplattform Alkoholpolitik" hat vor kurzem auf ihrem X-Kanal zusätzliche Hinweise veröffentlicht: "Meiden Sie Restaurants, die unbegrenzten Alkoholkonsum anbieten, bestellen Sie vorzugsweise eine verschlossene Flasche und öffnen Sie diese selbst, um sicherzustellen, dass die Originalbanderole unversehrt ist."

Die Hauptursache für die Alkoholvergiftungen ist der Einsatz von billigem Methanol, das illegal hergestellten Getränken anstelle des Trinkalkohols Ethanol beigemischt wird. Cagin Tan Eroglu von der Beobachtungsplattform Alkoholpolitik betont, dass gepanschter Alkohol in Geruch, Farbe und Geschmack nicht von regulärem Alkohol zu unterscheiden ist. Methanol ist hochgiftig und kann zu Sehstörungen, Erbrechen, Benommenheit und Organversagen führen, im schlimmsten Fall sogar zum Tod.

In einer Küche ist ein Glas Raki auf dem Tisch. Mit Wasser gemischt wird Raki zu einem weiß-milchigen Getränk. Es ist hochprozentig und nicht für jedermann. Deswegen wird es auch "Aslan sütü", Löwenmilch genannt.
Mit Wasser wird Raki zu einem weiß-milchigen Getränk. Deswegen wird er auch "Aslan sütü", Löwenmilch, genanntBild: Lefteris Pitarakis/AP Photo/picture alliance

Kritik an der Alkoholpolitik und ihre Auswirkungen

Eroglu kritisiert die türkische Steuerpolitik, die zu einem massiven Preisanstieg bei alkoholischen Getränken geführt habe. Seit 2013 werden die Mehrwert- und Verbrauchersteuern alle sechs Monate automatisch erhöht, was zu unverhältnismäßigen Preiserhöhungen geführt habe. Hinzu komme die galoppierende Inflation. Diese Entwicklung habe viele Bürger gezwungen, sich auf dem Schwarzmarkt nach günstigeren Alternativen umzusehen. Mittlerweile machen die Steuern fast zwei Drittel des Endpreises aus.

Ozan Bingöl, ein anerkannter Steuerexperte, präsentierte vor Kurzem Zahlen: "Betrug nur die Verbrauchersteuer vor 15 Jahren noch rund 51,5 Türkische Lira pro Liter Alkohol, so liegt sie derzeit bei fast 1366 Lira - ein Anstieg um unglaubliche 2553 Prozent", schrieb er Anfang Februar auf X.

Ein Bewohner der westlichen Stadt Izmir bestätigt im Gespräch mit der Deutschen Welle, dass das Ausgehen inzwischen auch für ihn zu einem Luxus geworden ist. Da der Kauf von Alkohol auf dem Schwarzmarkt mit großen Risiken verbunden sei, brenne er seit fast zehn Jahren seinen Raki und gelegentlich auch Wein selbst. Er erinnert daran, dass eine Flasche Raki vor zehn Jahren noch etwa 18 Euro kostete. Er ist der Ansicht, dass die islamisch-konservative Regierung das Steuersystem als repressives Instrument einsetze, um die liberale Bevölkerung zum Alkoholverzicht zu zwingen und in ihre Privatsphäre einzugreifen. Die Regierung spalte mit diesem Thema auch die Gesellschaft und verteufele die Bürger, die nicht ihren Vorstellungen entsprächen.

Im Bild sind Menschen zu sehen in Istanbul. Am Bosporus sitzen sie draußen an Tischen und trinken Raki.
Restaurant am Bosporus: Das Ausgehen ist wegen der steigenden Preise für Viele in der Türkei zum Luxus gewordenBild: Bulent Kilic/AFP/Getty Images

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan macht tatsächlich keinen Hehl daraus, dass er ein frommer Muslim und kein Freund von Alkohol ist und spricht dies häufig in seinen Reden an. Für ihn ist das Nationalgetränk der Türkei der Joghurtdrink Ayran.

Forderungen nach einer Lockerung

Nach den jüngsten Todesfällen durch gepanschten Alkohol haben sich die türkischen Berufskammern der Lebensmittel- und Chemieingenieure mit eindringlichen Appellen an die Regierung gewandt. Sie betonen, dass die extrem hohen Steuern nicht zu einem geringeren Alkoholkonsum geführt haben, sondern vielmehr zu einer Gefahr für die öffentliche Gesundheit geworden sind. Die Kammern fordern die Behörden auf, die Kontrollen zu verstärken, um die illegale Produktion einzudämmen. Gleichzeitig appellieren sie an die Regierung, die drastischen Steuersätze, die mittlerweile ein Vielfaches der Produktionskosten ausmachen, zu senken, um die Bürger vom Schwarzmarkt fernzuhalten.

Auch Cagin Tan Eroglu von der Beobachtungsplattform Alkoholpolitik weist darauf hin, dass die hohen Steuern nicht den gewünschten Effekt eines geringeren Konsums erzielt haben, sondern, wie die jüngsten Ereignisse zeigen, sogar zu mehr Todesfällen führen.

Er wirft der Regierung vor, ihre aktuelle Politik aus ideologischen Gründen zu verfolgen und Bürger, die Alkohol konsumieren, als "nicht gute Bürger" zu betrachten. Eroglu kritisiert, dass selbst nach den jüngsten Todesfällen mehrere AKP-Bürokraten pauschal Alkohol als Ursache darstellen, ohne zwischen legaler und illegaler Produktion zu differenzieren. Diese Politik habe mittlerweile auch soziologische Folgen. Der Konsum von Alkohol werde durch die zunehmende soziale Ächtung auf bestimmte liberale Stadtteile beschränkt, als ob er in anderen Regionen nicht existiere. Eroglu sieht darin einen von der Regierung selbst verursachten Kulturkampf.

Seit 2014 ist in der Türkei jegliche Form von Alkoholwerbung verboten. Spirituosenhersteller dürfen auch nicht mehr als Sponsoren auftreten, was zur Einstellung zahlreicher bekannter Festivals führte. Trinkszenen in Filmen und Fernsehserien müssen verpixelt werden.

Laut offiziellen Angaben liegt der jährliche Pro-Kopf-Alkoholkonsum in der Türkei bei etwa zwei Litern. Wie viel gepanschter Fusel getrunken wird, weiß niemand.

Festivalverbot in der Provinz

Elmas Topcu | Journalistin
Elmas Topcu Reporterin und Redakteurin mit Blick auf die Türkei und deutsch-türkische Beziehungen@topcuelmas