"Turkmenistan wird es schwer fallen das einzuhalten, was auf dem Papier steht"
11. April 2003Köln, 10.4.2003, DW-radio / Russisch, Witalij Wolkow
Die Präsidenten Russlands und Turkmenistans, Wladimir Putin und Saparmurad Nijasow, sind am Donnerstag (10.4.) im Kreml in einer Reihe wichtiger Fragen übereingekommen, die das turkmenische Gas, die doppelte Staatsbürgerschaft und die Zusammenarbeit bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus betreffen. (...)
Nach Meinung des ehemaligen Vizepremiers der Regierung Turkmenistans Chudajberdy Orasow (Orasow lebt in Moskau – MD), die er in einem Interview für die "Deutsche Welle" geäußert hat, wird es Turkmenistan sehr schwer fallen, das umzusetzen, was auf dem Papier steht:
"Die großen Gasvorkommen wurden auf dem Territorium Turkmenistans bereits während der Sowjetära erschlossen. Das Gas aus diesen Vorkommen wurde auch größtenteils während der Sowjetzeit verbraucht. Die Gesamtreste betragen derzeit maximal 500 bis 600 Milliarden Kubikmeter. In den Jahren der Unabhängigkeit sind weitere 17 Vorkommen mit einem Gesamtvorrat von 150 Milliarden Kubikmeter Gas entdeckt, jedoch nicht erschlossen worden. Gleichzeitig muss erwähnt werden, dass Turkmenistan laut Prognosen über Gasvorräte von 5 bis 10 Billionen Kubikmetern verfügt, jedoch keinesfalls über 45 Billionen, wie Nijasow behauptet. Es ist schwer zu begreifen, wie jemand vor der Erschließung neuer Vorkommen, ohne die Unterstützung der vorhandenen Infrastruktur und der Pipelines täglich neue Pipelines plant und Gaslieferungen verspricht, ohne die realen Möglichkeiten zu berücksichtigen. (...)"
Neben dem Gas ging es im Kreml auch um andere, nicht weniger bedeutende Fragen. Speziell für die "Deutsche Welle" berichtet darüber Arkadij Dubnow, der bei der Pressekonferenz der beiden Staatsoberhäupter an Donnerstag anwesend war:
"Putin teilte mit, dass er und Nijasow neben dem Gasabkommen übereingekommen seien, das Abkommen über die doppelte Staatsbürgerschaft zwischen Turkmenistan und Russland außer Kraft zu setzten. Putin begründete das damit, dass die Russen und die Russischsprachigen, die aus Turkmenistan nach Russland auswandern wollten, dies längst getan haben, dass ferner in Russland ein neues Staatsbürgerschaftsgesetz angenommen wurde, das mit Abkommen dieser Art in Übereinstimmung gebracht werden müsste."
Arkadij Dubnow:
"Wir können jetzt sicher sein, dass die Führung Russlands in Zukunft Aschgabad nicht auffordern wird, wie das früher der Fall war, die Menschenrechte in diesem Land einzuhalten. (...) Die turkmenischen Bürger, die über einen russischen Pass verfügen, der es ihnen ermöglichte, zur ärztlichen Behandlung, zu einem Treffen mit Angehörigen und Freunden oder einfach, um etwas anderes zu sehen, nach Russland zu reisen, können das nicht mehr tun. Jetzt können sie nur mit einem Visum und einer Genehmigung ihres Landes ausreisen."Welche Punkte enthält das Abkommen über die Zusammenarbeit zwischen der Russischen Föderation und Turkmenistan auf dem Gebiet der Sicherheit?
"Damit klar wird, worum es geht, zitiere ich einen Teil des Artikels 4: ‚Die Seiten arbeiten bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus zusammen... gewähren Mitgliedern terroristischer Organisationen kein Asyl, tauschen operative Information über deren Pläne aus, kooperieren bei der Leistung rechtlicher Hilfe und bei der Auslieferung von Personen, die Terroranschläge auf dem Territorium eines der Länder verübt haben oder planen.‘
Diese Formulierungen stammen von der turkmenischen Seite. Es ist klar, dass Turkmenistan heute auf der Auslieferung von Personen bestehen kann, die ihm oder Nijasow persönlich nicht genehm sind, indem es sie als internationale Terroristen bezeichnet, wie Nijasow das mit den Oppositionellen tut, die angeblich einen Anschlag auf ihn vorbereiteten. Die Frage ist jedoch, wie wird dieses Abkommen ausgelegt?"
Hier die Meinung von Schuchrat Kadyrow, eines führenden Vertreters der Opposition, der allerdings nicht in Russland, sondern in Westeuropa lebt:
"Turkmenistan bereitet sich jetzt intensiv darauf vor, dass der nächste nach Saddam Hussein Turkmenbaschi sein wird. Deshalb werden derzeit massive militärische Vorbereitungen getroffen. Es stellte sich heraus, dass das neutrale Turkmenistan wie bereits in den Sowjetzeiten über eine Truppenstärke von über 100 000 Mann verfügt. Die Behauptungen, die Armee der Republik sei in den Jahren der Neutralität um das Zwei- bis Dreifache reduziert worden, stimmen nicht. In Turkmenistan werden derzeit eifrig die Grenzen gefestigt. In Turkmenistan sollen die Rekruten alle Arten der technischen Waffen, von Panzern bis Raketen, kennenlernen. Wir sind der Ansicht, dass dieses Gasabkommen auch mit der Lage in der Republik in Zusammenhang steht: wenn Russland früher Waffen an den Irak geliefert hat, so wird es jetzt diese Waffen im Austausch gegen Gas an Turkmenistan verkaufen, um seine Grenzen zu festigen und das turkmenische Regime beizubehalten.
Jetzt muss sich Herr Nijasow aber fest an seinem Sessel festhalten. Nach der Unterzeichnung der Vertrages über den Gasverkauf für 25 Jahre wird Russland ihn nicht mehr brauchen. Derzeit hält sich die Macht in Turkmenistan jedoch ausschließlich dank der Hilfe Russlands." (...) (lr)