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Tschetschenien hat Russland bereits 100 Milliarden Dollar gekostet

17. April 2003

– Einige machten dabei Millionengewinne

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Moskau, 14.4.2003, NOWAJA GASETA, russ., Jekaterina Ignatowa

Auch wirtschaftliche Forschungsarbeiten können ein "Einreiseverbot" bekommen: zu dem in London stattgefundenen sechsten russischen Wirtschaftsforum ist das Referat "Wirtschaftliche Aspekte des Krieges in Tschetschenien" nicht zugelassen worden. Das Thema des von Iwan Rybkin und Ruslan Chasbulatow vorbereiteten Referats gefiel den VIPs der einheimischen Politik und des Business nicht, die dort zusammengekommen waren. Deshalb weigerten sie sich ganz einfach, das Referat in die Tagesordnung aufzunehmen und beriefen sich auf irgendwelche technische Probleme. Den Verfassern des Referats blieb nur übrig, sich in ein Flugzeug zu setzen und nach Moskau zurückzukehren...

Berechnungen von Rybkin und Chasbulatow zufolge betragen die wirtschaftlichen Verluste durch den Krieg in Tschetschenien bereits über 100 Milliarden Dollar. Vor diesem Hintergrund wirken alle Kennziffern über das Wirtschaftswachstum und das günstige Investitionsklima, die auf dem Forum zu vernehmen waren, sehr blass. Wie die Berechnungen vorgenommen wurden berichtete einer der Verfasser des Referats, Iwan Rybkin, der "Nowaja gaseta".

Frage:

Iwan Petrowitsch, war es Ihre Initiative, Ihr Referat dem Urteil der wirtschaftlichen Öffentlichkeit zu überlassen?

Antwort:

Nein, nicht meine. Vor einigen Wochen schlugen die Sponsoren des Forums mir selbst vor, einen Vortrag zu halten. Ich stimmte zu. 1200 Teilnehmer, da ist doch fast ganz Russland vertreten.

Frage:

Haben die Sponsoren auch das Thema des Vortrages vorgeschlagen?

Antwort:

Nein, das haben wir selbst gewählt. Worüber hätte denn ich, der kein Ökonom ist, noch bei dem Forum sprechen können? Ich schlug Chasbulatow, einem Wirtschaftswissenschaftler, vor, zusammen ein Referat vorzubereiten. Ich konnte ihm nützlich sein, weil ich Zahlen kennen, da ich ja seinerzeit Bevollmächtigter Vertreter des Präsidenten in Tschetschenien war.

Frage:

Wie sind sie auf die Summe von 100 Milliarden Dollar gekommen?

Antwort:

Wir haben die Militärausgaben (für die Kampfhandlungen während der beiden Kriege, die Kosten für die Technik, die in diesen Kriegen verloren ging) sowie den Verlust berücksichtigt, zu dem es infolge der Kampfhandlungen gekommen ist. Nicht berücksichtigt haben wir die Menge des menschlichen Blutes und Leids, da dieses nicht gemessen werden kann. Unseren Angaben zufolge sind in dieser Zeit über 220 000 Zivilisten der Republik ums Leben gekommen. Die Verluste der föderalen Truppen sind bekannt (obwohl sich die Zahlen des Verteidigungsministeriums und des Komitees der Soldatenmütter sehr voneinander unterscheiden, vertraue ich mehr dem Komitee, da dieses sich auf Angaben der Mütter stützt, die Söhne verloren haben).

Frage:

Woher haben Sie diese Zahlen?

Antwort:

Ausschließlich aus offiziellen Kreisen: aus den Reden der Vizepremiers, des Präsidentenberaters Andrej Illarionow, aus den Berichten russisch-tschetschenischer Kommissionen, die eine Bestandsaufnahme der Zerstörungen, sogar der Umspannwerke, vorgenommen haben. Es stellte sich heraus, dass allein in den 3 Jahren und 3 Monaten des letzten Krieges über 40 Milliarden Dollar ausgegeben wurden. In beiden Kriegen zusammen über 100 Milliarden Dollar.

Frage:

Sie bezeichnen das als Krieg?

Antwort:

Wie denn sonst? Es ist ein echter Krieg. Egal, wie man das bezeichnet, alle wissen, dass dort ein Krieg stattfindet.

Frage:

100 Milliarden Dollar - ist das eine reale Zahl? Die offiziellen Kreise neigen schließlich zur Unterbewertung der Verluste...

Antwort:

Natürlich kann niemand die genauen Verluste berechnen. Die Machthaber verheimlichen die genauen Zahlen sorgfältig. Das ist trotz allem eine reale Zahl. Es sind tatsächlich etwa 100 Milliarden draufgegangen.

Frage:

Wenn Sie sich auf offizielle Angaben stützen, wieso hat man Ihnen dann verboten, bei dem Forum aufzutreten?

Antwort:

Weil unsere besten Ökonomen, Vertreter der oligarchischen Strukturen, des mittleren Unternehmertums, des Bankkapitals auf diesem Forum davon berichteten, wie schwer sie es haben, aber trotzdem Gewinne machen und davon Steuern an den Haushalt abführen. Aber diese Gewinne fließen wie in ein schwarzes Loch nach Tschetschenien. Die günstige Konjunktur, die für Russland auf den Weltmärkten wegen der Erdölpreise entstanden ist, wird vom Krieg in Tschetschenien verschlungen. Das bedeutet, dass der Haushalt des Landes vergeudet wird - wie von leidenschaftlichen Kartenspielern. Ferner muss davon ausgegangen werden, dass von diesen "tschetschenischen" Summe sehr vieles veruntreut wird. Es heißt, das bis zu zwei Drittel der Gelder veruntreut werden.

(...) (lr)