China und EU wollen Handel diversifizieren
10. April 2025"Risiken abbauen, diversifizieren und den Handel neu ausrichten" - das Mantra, mit dem man einst weniger abhängig vom Handelspartner China werden wollte, wird nun auf die USA angewendet. Die weitreichenden Zölle von Präsident Donald Trump, die sich derzeit für Waren "made in China" auf schwindelerregende 145 Prozent belaufen, haben Schockwellen durch die Finanzmärkte von Sydney bis Sao Paolo geschickt.
Das Londoner Analysehaus Capital Economics warnte am späten Donnerstag, dass Chinas Exporte in die USA in den kommenden Jahren um mehr als die Hälfte einbrechen würden, wenn die Zölle nicht zurückgenommen werden und das chinesische Wirtschaftswachstum um bis zu 1,5 Prozent verringern würde.
Da viele chinesische Waren speziell für den US-Markt produziert werden, befürchten Ökonomen, dass es schwierig wird, diese Produkte heimischen Kunden zu verkaufen. Stattdessen überdenkt Peking seine Exportstrategie und will sich auf andere Handelspartner konzentrieren, um die Auswirkungen der rückläufigen Exporte in die USA abzufedern.
Neben der Anhebung der chinesischen Zölle auf US-Waren auf zuletzt 125 Prozent überdenkt Peking nun seine Exportstrategie und räumt anderen globalen Handelspartnern Vorrang ein, um den Rückgang der Exporte in die größte Volkswirtschaft der Welt abzufedern.
Zu Beginn dieser Woche versprach der chinesische Präsident Xi Jinping, die "allseitige Zusammenarbeit" mit Chinas Nachbarn zu vertiefen, und forderte am Freitag die Europäische Union auf, sich gemeinsam mit Peking gegen die "einseitige Einschüchterung" durch Washington zu wehren.
Diana Choyleva, Gründerin und Chefökonomin von Enodo Economics, einem in London ansässigen Forschungshaus, das sich auf China konzentriert, glaubt, dass Peking versuchen wird, sein Exportgeschäft mit regionalen Nachbarn anzukurbeln - auch wenn man zu ihnen in der Vergangenheit angespannte Beziehungen hatte.
China möchte Beziehungen zu alten Gegnern kitten
"Die jüngste Wiederbelebung der Wirtschaftsdialoge Pekings mit Japan - dem ersten seit sechs Jahren - und Südkorea deutet darauf hin, dass die Regionalmächte ihre Beziehungen neu bewerten - als Reaktion auf die Verunsicherung durch die US-Handelspolitik", sagt Choyleva im Interview mit der DW. "Während Seoul die Behauptungen der chinesischen Staatsmedien über eine 'gemeinsame Antwort' auf die US-Zölle zurückwies, signalisiert die bloße Wiederaufnahme der trilateralen wirtschaftlichen Zusammenarbeit nach Jahren angespannter Beziehungen einen strategischen Wendepunkt."
Chinesische Medien berichteten am Freitag, dass Xi nächste Woche zu einer Reise durch drei südostasiatische Länder aufbrechen wird, um die Handelsbeziehungen mit Vietnam, Malaysia und Kambodscha zu festigen.
In den vergangenen zwei Jahrzehnten haben China und die Länder Südostasiens ihre Handelsbeziehungen erheblich vertieft. Im Jahr 2023 erreichte das Gesamthandelsvolumen zwischen China und den ASEAN-Staaten nach Angaben der chinesischen Regierung rund 872 Milliarden US-Dollar (794 Milliarden Euro). Und diese Zahl wird weiter steigen, wenn chinesische Unternehmen praktisch vom US-Markt ausgeschlossen sind.
"(Chinesische Hersteller, Anm. d. Red.) werden in Südostasien nach Möglichkeiten suchen, in die sie in der Vergangenheit vielleicht nicht die Zeit, Mühe und Geld investiert haben, weil sie einen lukrativen US-Markt hatten, der alles aufsaugte, was sie produzierten", sagt Deborah Elms, Leiterin der Abteilung Handelspolitik bei der Hinrich-Foundation in Singapur, gegnüber der DW.
Auch Europa muss den Handel diversifizieren
Obwohl die geplanten US-Zölle gegen die Europäische Union für 90 Tage auf Eis gelegt wurden, drohen danach der EU Zölle in Höhe von 20 Prozent auf Exporte in die USA im Wert von bis zu 380 Milliarden Euro (416 Milliarden US-Dollar). Und so erwägen die politischen Entscheidungsträger in Brüssel eine ähnliche Reaktion wie China: Die EU plant, den Ländern des indopazifischen Raums und des globalen Südens die Hand zu reichen, um dem US-Protektionismus entgegenzuwirken.
Während eines dreitägigen Besuchs in Vietnam in dieser Woche betonte Spaniens Premierminister Pedro Sanchez, dass Europa neue Märkte erschließen will und sagte, seine Regierung sei "fest entschlossen", sein Land und Europa für mehr Handel mit Südostasien zu öffnen.
Varg Folkman, politischer Analyst am European Policy Centre (EPC), warnte jedoch, dass Europa Schwierigkeiten haben werde, die Exporte über den Atlantik durch andere Märkte zu ersetzen, da die US-Wirtschaft sowohl "größer als auch wohlhabender" sei.
Folkman wies auf einen "großen Widerstand" unter den EU-Mitgliedern gegen neue Handelsabkommen hin und hob die Zurückhaltung Frankreichs hervor, seinen Agrarsektor im Rahmen des Handelsabkommens der EU mit den südamerikanischen Mercosur-Staaten für Brasilien und Argentinien zu öffnen. Über das Abkommen wurde 25 Jahre lang verhandelt und es ist noch nicht ratifiziert.
"Handelsabkommen sind umstritten", sagt er der DW. "Es wird möglicherweise sehr schwierig sein, neue zu implementieren, selbst mit der Dringlichkeit, die wir heute sehen."
Während die EU und China versuchen könnten, den bilateralen Handel anzukurbeln, befürchten Ökonomen und politische Entscheidungsträger, dass Europa Schwierigkeiten haben könnte, gleichzeitig mit dem Doppelschlag viel höherer US-Zölle und der neuen Handelskonkurrenz Chinas, der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt, fertig zu werden.
Chinesisches Überangebot bedroht EU-Konkurrenz
In einem am Dienstag veröffentlichten Kommentar schrieb das Center for Strategic and International Studies (CSIS), ein in Washington ansässiger Think-Tank, dass die US-Zölle gegen China "durchaus zu einer Umlenkung chinesischer Exportgüter in die Europäische Union führen könnten, was zusätzlichen Druck auf europäische Hersteller bedeutet und wahrscheinlich Rufe nach einer protektionistischen Reaktion aus Brüssel aufkommen lassen wird".
Die EU kritisiert seit langem Pekings staatliche Subventionen, die es chinesischen Unternehmen ermöglicht, die europäischen Märkte mit künstlich verbilligten Waren zu fluten. Diese Subventionen, verbunden mit niedrigen Arbeitskosten und enormen Skaleneffekten, setzen europäische Konkurrenten zunehmend unter Druck und haben bereits zu Insolvenzen und erheblichem Stellenabbau geführt.
Elektrofahrzeuge (EV) sind die jüngsten Beispiele. Dank staatlicher Zuschüsse, Steuererleichterungen und günstiger Kredite drängen chinesische EV-Marken wie BYD, Nio und XPeng nun aggressiv in den EU-Markt und unterbieten damit ihre europäische Konkurrenz.
Europas Autoindustrie befindet sich derzeit in einem großen Umbruch, durch den Werksschließungen, der Abbau von Produktionsstandorten und der Verlust von Zehntausenden von Arbeitsplätzen vor allem in Deutschland drohen.
Während Washington einen Zoll von 100 Prozent auf in China hergestellte Elektrofahrzeuge verhängte und damit Chinas Autohersteller effektiv vom US-Markt ausschloss, unterscheiden sich die Zölle in der EU je nach chinesischem Autohersteller. Das Maximum liegt bei 35,3 Prozent und bei BYD bei nur 17 Prozent.
Deborah Elms von der Hinrich-Foundation in Singapur glaubt, dass es zu einem "ersten Schub" von Billigwaren aus Asien in den Rest der Welt kommen könnte, weil die Produzenten "auf einem Berg von Produkten sitzen".
"Aber sie werden nicht weiterhin Waren produzieren, die keinen Gewinn abwerfen, also werden chinesische Firmen schnell auf die Herstellung anderer Produkte umschwenken. Sonst sind sie aus dem Geschäft", sagte sie.
Neues EU-Frühwarnsystem gegen "Dumping"
Jörg Wuttke, der ehemalige Chef des deutschen Industrieriesen BASF in China, warnte vor einem chinesischen "Überkapazitäts-Tsunami", der auf Europa zusteuert. Er hofft, dass dies keine neuen Handelshemmnisse durch die EU auslösen wird. Er forderte eine Verbesserung von "Kommunikation und Vertrauen" zwischen Brüssel und Peking, um neues Warendumping zu vermeiden.
Der Experte für europäische Industriepolitik Varg Folkman bezweifelt, dass die EU weitere Handelsverzerrungen widerstandslos hinnehmen wird: "Die Europäische Kommission hat signalisiert, dass sie die Importe genau beobachten und Maßnahmen ergreifen wird, wenn ein Anstieg aus China oder anderswo sie dazu zwingt."
Im Jahr 2023 hatte die EU Pläne für eine Task Force zur Überwachung der Einfuhren angekündigt, um auf plötzliche Importanstiege zu reagieren, die die europäische Industrie bedrohen könnten. Das Frühwarnsystem wurde geschaffen, um die Risiken gegenüber China zu reduzieren, die sich aus geopolitischen Spannungen oder Problemen mit subventionierten Waren ergeben.
Es gibt aber Befürchtungen, dass auch andere asiatische Export-Nationen und die USA überschüssige Waren zu niedrigen Preisen in der EU abladen könnten. Die Taskforce könnte Brüssel helfen, viel schneller auf Drohungen von unterschiedlichen Seiten zu reagieren, mit Antidumping-Untersuchungen, Zöllen und vorübergehenden Importbeschränkungen.
Brüssel müsste allerdings mit der Kritik rechnen, dass es die protektionistische Politik Donald Trumps widerspiegelt und damit eine Abkehr von der langjährigen Unterstützung der EU für den Freihandel vollzieht, die Normen der Welthandelsorganisation (WTO) weiter aushöhlt und eine Eskalation der globalen Handelsspannungen riskiert.
Der Artikel wurde aus dem Englischen adaptiert und am 11. April aktualisiert