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PolitikUkraine

Trump/Selenskyj: Wie die Ukraine auf den Eklat reagiert

1. März 2025

Nach dem Eklat im Weißen Haus gibt es viel Zustimmung für Wolodymyr Selenskyj. Das Vertrauen in Trump ist dahin. Einige Ukrainer haben bereits begonnen, Geld für eine atomare Wiederbewaffnung ihres Landes zu sammeln.

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Wolodymyr Selenskyj und Donald Trump sitzen im Oval Office, beide drehen ihren Kopf voreinander weg
Zwei die wohl keine Freunde mehr werden: Wolodymyr Selenskyj (li.) und Donald Trump im Oval Office im Weißen HausBild: Saul Loeb/AFP/Getty Images

Die meisten Ukrainer haben den Besuch von Präsident Wolodymyr Selenskyj in Washington genau verfolgt, wo die Ukraine und die USA ein Rohstoffabkommen unterzeichnen sollten. Aus US-Sicht sollte es den Weg für Verhandlungen über einen Frieden in der Ukraine ebnen. Doch der Streit zwischen Selenskyj und US-Präsident Donald Trump sowie Vizepräsident JD Vance stellte alles auf den Kopf.

Wahrheit, Waffen und Garantien

Wolodymyr Wjatrowytsch, Abgeordneter der Oppositionsfraktion "Europäische Solidarität", findet, Selenskyj habe die Wahrheit über Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine mit der klaren Botschaft verteidigt: Wer den Krieg begonnen hat, wer die Schuld trägt und wer der Aggressor ist. Das Weiße Haus wolle jedoch diese Wahrheit nicht hören.

"Trump und Vance haben über den Krieg gelogen und wollten, dass Selenskyj diese Lüge öffentlich übernimmt. Es ist gut, dass dies nicht passiert ist, denn die Wahrheit ist einer der wichtigsten Bestandteile des Krieges. Natürlich brauchen wir auch amerikanische Waffen, um kämpfen zu können, aber wir brauchen auch die Wahrheit, um zu verstehen, wofür gekämpft wird", so Wjatrowytsch auf Facebook. Sein Fraktionskollege, der Abgeordnete Oleksij Hontscharenko, hingegen kritisiert auf Telegram Selenskyjs Verhalten und spricht von "Horror" und einem "Ende der Beziehungen mit Trump".

Unterstützung für Selenskyj äußern seine engen Mitarbeiter wie der Leiter des Präsidentenbüros Andrij Jermak, Premierminister Denys Schmyhal, Innenminister Ihor Klymenko und der Chef der regierenden Fraktion "Diener des Volkes", David Arachamija. Sie alle betonen die Notwendigkeit echter Sicherheitsgarantien für die Ukraine.

"Sicherheit bedeutet Leben, eine Zukunft ohne Sirenen, ohne Verluste, ohne Angst um die, die wir lieben. Ohne echte Garantien wird der Krieg wiederkommen. Er kommt immer dorthin zurück, wo man Möglichkeiten für einen neuen Angriff lässt", schreibt Andrij Jermak auf Telegram und dankt zugleich dem amerikanischen Volk für die Unterstützung der Ukraine. Denys Schmyhal schreibt auf Telegram, der ukrainische Präsident habe Recht, wenn er sage, dass Frieden ohne Sicherheitsgarantien unmöglich sei. "Dies ist eine Bedrohung für den gesamten europäischen Kontinent", so der ukrainische Premier.

"Verschiebungen in der Geopolitik"

Nach dem, was in Washington passiert sei, würden nicht nur die USA und Russland, sondern auch die Ukraine künftig mit am Verhandlungstisch sitzen, um den Krieg zu beenden. Das glaubt Serhij Herasymtschuk vom Forschungszentrum "Foreign Policy Council - Ukrainian Prism". "Auch Europa wird nun mit am Tisch sitzen, denn Europa hat sich mehrheitlich für eine Seite entschieden", sagt er der DW. Alle europäischen Staats- und Regierungschefs hätten, mit wenigen Ausnahmen, ihre Unterstützung für Selenskyj bekundet. Weder der Kreml noch das Weiße Haus könnten dies ignorieren, so der Experte.

Während des Streits im Weißen Haus: Selenskyj (l.) vs. Trump und Vance, alle sitzen im Oval Office
"Das wird großartiges Fernsehen sein, das kann ich Ihnen sagen". Der Streit von Wolodymyr Selenskyj (l.) mit Donald Trump und JD Vance spielte sich vor laufenden Kameras ab. Bild: Jim LoScalzo/CNP/ZUMA Press/IMAGO

Zugleich geht er davon aus, dass es nach dem skandalösen Treffen nun weltweit zu "tektonischen Verschiebungen in der Wahrnehmung der USA" kommen werde. Herasymtschuk schließt nicht aus, dass einige europäische Länder eine abwartende Haltung einnehmen werden. Einige südostasiatische Staaten könnten zu dem Schluss kommen, dass Washington für sie ein riskanter Partner sei, "dass es besser ist, freiwillig einen gemeinsamen Nenner mit China zu finden, als darauf zu warten, bis es zu einer Konfrontation kommt, in der die USA sie nicht unterstützen werden".

Andere, wie die Ukraine, würden versuchen zu kämpfen, so der Experte. "Ich hoffe, dass die Europäische Union und die Ukraine in diesem Kampf gemeinsam positive Ergebnisse erzielen", betont er und merkt an, dass Selenskyjs Streit mit Trump und Vance in Europa einen heftigen "Trigger" ausgelöst habe. Schon bald sollte Europa klare Botschaften zur Unterstützung der Ukraine und zu konkreten Maßnahmen vorlegen. Gleichzeitig befürchtet Herasymtschuk, dass die USA der Ukraine nun ihre militärische Hilfe verweigern könnten. Die NATO-Verbündeten könnten dies aber verhindern, meint er.

Diskussion in den sozialen Medien

In den sozialen Medien streiten die Ukrainer darüber, wie Selenskyj im Weißen Haus empfangen wurde und ob er sich dort richtig verhalten hat. Natalija Lyhatschowa, Chefredakteurin der Internetzeitung "Detector Media", nimmt auf Facebook Selenskyj in Schutz: "So kann man nicht mit dem Präsidenten eines Landes reden, das bereits Abertausende Menschenleben nicht nur für unsere Freiheit, sondern auch für die Freiheit, den Frieden und das Wohlergehen der westlichen Welt geopfert hat."

Auch Ilja Neschodowskyj, Direktor des "Instituts für sozioökonomische Transformation", findet, dass die Ukraine bei dem Treffen gedemütigt wurde. "Dass Selenskyj unsere Würde verteidigt hat, ist richtig, aber dass er sich auf einen Streit eingelassen hat, ist ein Fehler. Das Abkommen hätte uns keine Sicherheit garantiert, Trump wollte uns weder vor noch nach diesem Abkommen weitere Waffen liefern", schreibt der Experte auf Facebook. Er glaubt, Trump könnte die Sanktionen gegen Russland teilweise aufheben. Doch es würde sich dann die Frage stellen, im Tausch gegen was?

Wolodymyr Selenskyj bekommt stehenden Applaus bei seiner Rede vor dem US-Kongress im Dezember 2022
Applaus für Wolodymyr Selenskyj bei seiner Rede vor dem US-Kongress im Dezember 2022Bild: Win McNamee/Getty Images

Trump und die Vertreter seiner Administration hätten bei dem Treffen vor laufenden Kameras alles getan, um ihre Wähler zufriedenzustellen, glaubt Serhij Koschman von der ukrainischen gesellschaftlichen Bewegung "Wir sind Europäer". "Da sitzt Selenskyj, dem die ganze zivilisierte Welt in den Parlamenten als Vertreter der heroischen Ukraine stehende Ovationen gezollt hat, und Trump sagt ihm offen: 'Du bist ein Nichts', 'Putin wird nur auf mich hören'. Natürlich kann man das nicht einfach so hinnehmen", schreibt er auf Facebook.

"Ein Stück, aufgeführt von zwei Schauspielern"

Der Journalist Serhij Rudenko glaubt, dass Trump inzwischen klar ist, dass er seine Versprechen gegeBudapester Memorandumbdtdnüber seinen Wählern, was die Beendigung des Ukraine-Krieges angeht, nicht erfüllen kann. Deshalb wolle er die Verantwortung dafür auf Selenskyj abwälzen. "Das ist ein Stück, das von zwei Schauspielern aufgeführt wird, von Trump und Vance. Sie brauchen kein Rohstoffabkommen. Sie brauchen nur einen Sündenbock für ihre Unfähigkeit und Feigheit gegenüber Wladimir Putin. Dafür haben sie Selenskyj ausgesucht", so Rudenko.

In den Netzwerken gehen Memes viral, in denen das Treffen zwischen Selenskyj und Trump mit Kinofilmen verglichen wird. Es werden auch Witze darüber gemacht, wie man auf Provokationen der US-Administration reagieren würde. Einige Ukrainer sammeln, als Scherz, Geld für eine atomare Wiederbewaffnung ihres Landes. Der Mitbegründer der Monobank, Oleh Horochowskyj, teilte mit, seine Spendenkampagne für die Produktion von Atomwaffen habe in den ersten 30 Minuten zwei Millionen Hrywnja (rund 46.000 Euro) gebracht. Am Morgen schrieb er auf Telegram: "10 Millionen in 10 Stunden!"

Mit einem gemeinsamen Händedruck besiegeln (r-l) US-Präsident Bill Clinton, der russische Präsident Boris Jelzin und der ukrainische Präsident Leonid Krawtschuk am 14. Januar 1994 im Moskauer Kreml das Abrüstungsabkommen.
1994 schlossen die USA, Russland und die Ukraine ein Abrüstungsabkommen, zudem wurde das Dreier-Abkommen über die Abrüstung aller ehemals sowjetischen Atomwaffen auf dem Gelände der Ukraine unterzeichnet.Bild: Supinski/epa/picture-alliance

Die Ukraine, aber auch Belarus und Kasachstan hatten 1994 mit der Unterzeichnung des Budapester Memorandums und dem Atomwaffensperrvertrag alle Atomwaffen, die sich nach dem Zerfall der Sowjetunion auf ihrem Territorium befanden, an Russland abgegeben. Dafür wurden ihnen vor allem von den USA und Russland ihre territoriale Integrität garantiert.

Adaption aus dem Ukrainischen: Markian Ostaptschuk