Transatlantischer Spray
17. Februar 2014Ganz Ottawa war Mitte Februar bei Minus 15 Grad im Freien unterwegs und feierte "Winterlude": Ein Familienfest, bei dem auf dem zugefrorenen Rideau-Kanal Schlittschuh gefahren wird. Wer sich aufwärmen wollte, schaute bei der benachbarten Deutschen Botschaft vorbei. Dort wurde gefeiert und des Falles der Berliner Mauer vor fast 25 Jahren gedacht.
Im Innenhof der Deutschen Botschaft in Ottawa hantiert ein DJ an einem Plattenteller und wiegt seinen Kopf zur HipHop-Musik. Er heizt mehreren hundert Gästen ein. Die Botschaftsmitarbeiter verteilen Glühwein und Bratwurst. Die Stimmung ist ausgelassen.
Vier Graffitikünstler - zwei Deutsche und zwei Kanadier - setzen sich ihre Atemschutzmasken auf, greifen zu grell-grünen oder orangenen Spraydosen und besprühen zwei riesige Leinwände. Mit diesem Event macht Botschafter Werner Wendt auf den Mauerfall vor fast 25 Jahren aufmerksam. Die Werke sollen - gemeinsam mit anderen Bildern - im Herbst in einem früheren Regierungs-Bunker in der Nähe von Ottawa ausgestellt werden. Die Botschaft in Kanada lässt sich etwas einfallen, um auch jüngere Menschen auf diesen Teil der deutschen Geschichte hinzuweisen.
Austausch unter Künstlern
Schnell kommen die Berliner Graffitikünstler Christian Voß (Künstlername "Poet") und Arun Singh ("Arunski") mit den Kanadiern, die ihnen bei der Arbeit zuschauten, ins Gespräch. Die beiden Deutschen lebten in den 80er Jahren im westlichen Teil Berlins. Arun Singh hat zum ersten Mal 1986 seine Initialen auf der Berliner Mauer hinterlassen. Damals galt das, was er tat bestenfalls als Subkultur. Inzwischen ist diese Kunstform etabliert, und beide Gäste aus Deutschenland können von dem, was sie tun "gut leben", wie Singh lachend erklärt. Die Kanadier wollen von den Deutschen wissen, wie sie den Mauerfall erlebt haben und wie die Menschen heute in Berlin leben.
Was ihren kanadischen Künstlerkollegen Matthew Dessilet und Guillaume Leipante beim Thema Deutschland einfällt, erinnert mehr an das Münchner Oktoberfest als an die deutsche Hauptstadt: eine vollbusige bayerische Kellnerin im Dirndl mit Bierkrügen in beiden Händen.
Anspielung auf den deutschen Adler
Vieles haben die deutschen und die kanadischen Graffitikünstler gemein: den Hang zu grellen Farben; die Art ihre Künstlernamen in großen, eckigen Buchstaben zu verewigen. Doch es gibt auch Unterschiede. Die beiden Deutschen haben eine unverkennbare Liebe zum Detail, arbeiten mit Collagen, weisen an verschiedenen Stellen in ihrem Werk auf die Berliner Mauer hin. Die beiden Kanadier hingegen bevorzugen die "große Linie" und machen - vielleicht nicht immer ernst gemeinte - Anspielungen auf den deutschen Adler und die Bierzeltkultur.
Mehrere hundert Kanadier verfolgten das Schaffen der Künstler den ganzen Nachmittag hindurch. Die letzten Gäste verließen die Botschaft, als die Sonne unterging; auf Schlittschuhen den zugefrorenen Rideau-Kanal entlang nach Hause.