Tour de France: Der Anteil Sloweniens an Pogacars Dominanz
27. Juli 2025Für ein Land mit nur knapp über zwei Millionen Einwohnern ist Sloweniens Erfolg im Sport erstaunlich. So gewannen slowenische Athletinnen und Athleten bei den letzten Olympischen Winterspielen 2022 in Peking sieben Medaillen. Der Slowene Luka Doncic ist einer der besten Spieler der nordamerikanischen Basketball-Profiliga NBA. Und nicht zu vergessen, stammt auch der weltbeste Radfahrer, Tadej Pogacar, der sich seinen vierten Sieg bei der Tour de France gesichert hat, aus dem kleinen europäischen Land. Ist Slowenien einfach nur mit dem Glück gesegnet, eine seltene Generation begabter Sportler hervorgebracht zu haben oder steckt noch etwas anderes dahinter?
Professor Gregor Jurak arbeitet an der Universität der Hauptstadt Ljubljana. Der Sportwissenschaftler glaubt, dass es eine Reihe von Gründen gibt, warum Slowenien ein großartiger Ort für junge Aktive ist, um sich im Leistungssport zu entwickeln. "Die gesamte Bevölkerung ist ziemlich fit, weiß über die körperliche Leistungsfähigkeit Bescheid und ist ziemlich motiviert", sagt Jurak der DW.
Mütter als "Managerinnen der Freizeit"
Es beginnt in den Schulen. Sportlehrerinnen und Sportlehrer müssen vor ihrem Dienstantritt eine fünfjährige Fachausbildung absolvieren, was deutlich länger ist als in vielen anderen europäischen Staaten. An slowenischen Schulen gibt es auch vergleichsweise mehr Sportunterricht, und die Klassen sind mit maximal 20 Kindern oder Jugendlichen relativ klein. Die Sportanlagen sind gut ausgebaut.
Mädchen werden ab der sechsten Klasse von Jungen getrennt unterrichtet, was laut Juraks Forschungen die Chancen der Mädchen verbessert, eine gute körperliche Fitness zu entwickeln. Die Schulen arbeiten zudem mit Sportvereinen zusammen. Zusammengenommen eine sehr gute Grundlage für die körperliche Gesundheit junger Menschen.
"Wir haben in unseren Studien auch herausgefunden, dass vor allem die Mütter in den Familien den Lebensstil der Kinder bestimmen. Und da unsere Mütter körperlich sehr aktiv sind - sie gehören zu den aktivsten in Europa -, geben sie diese Gewohnheiten tatsächlich an ihre Kinder weiter", sagt Jurak. "Sie sind die Managerinnen der Freizeit."
Körperliche Entwicklung Heranwachsender wird erfasst
Hinzu kommt das staatliche SLOfit-Programm. Dabei wird seit 1987 jährlich in allen Grundschulen und weiterführenden Schulen die körperliche und motorische Entwicklung der Kinder und Jugendlichen erfasst.
Jurak ist der leitende Forscher bei SLOfit. Nach seinen Worten profitieren sowohl die Familien als auch die Schulen von dem Programm. Eltern könnten die körperliche Entwicklung ihrer Kinder besser einschätzen, außergewöhnliches sportliches Talent identifizieren und gezielt fördern, so der Wissenschaftler. Das gelte auch für das Lehrpersonal, das zudem Heranwachsenden helfen könne, die körperliche Schwierigkeiten hätten.
Nicht nur Fußball
Nach der Trennung von Jugoslawien im Jahr 1991 wurde der Sport zu einem wichtigen Bestandteil der nationalen Identität Sloweniens, insbesondere der Wintersport. Die geografische Vielfalt des Landes - Berge, Hügel, Ebenen und reichlich Grünflächen - bot dafür gute Voraussetzungen.
Sportwissenschaftler Jurak glaubt zudem, dass es dem Land gut tut, dass im Gegensatz zu anderen europäischen Staaten der Fußball nicht die gesamte Aufmerksamkeit auf sich zieht. "Ich halte es für eine der schlechten Seiten des Fußballs, dass er so stark kommerzialisiert ist und dass er alle anderen Sportarten verdrängen kann. In Slowenien ist das nicht der Fall", sagt Jurak. "Vielleicht ist das einer der Vorteile für unsere jungen Sporttreibenden. Sie werden nicht so stark der Kommerzialisierung ausgesetzt, die sich auch negativ auf ihre Persönlichkeit auswirken könnte."
Das Land versuche, auch andere Aktivitäten zu fördern, etwa Sloweniens beliebteste Sportart, das Bergsteigen. Auch Radfahren sei beliebt, so Jurak, allerdings eher als Freizeitbeschäftigung denn als Wettkampfsport.
Talent + Entwicklung = Pogacar
Und was ist mit Tadej Pogacar, der den Radsport derzeit fast so dominiert wie einst die belgische Legende Eddy Merckx? Laut einem Artikel des britischen Radsportmagazins "Rouleur" hat Pogacar eine maximale Sauerstoffaufnahme - ein Maß für die körperliche Leistungsfähigkeit - von erstaunlichen 89,4 Millilitern pro Minute und Kilogramm Körpergewicht. Normalerweise liegt dieser Wert bei einem Radprofi im Tour-de-France-Peloton zwischen 70 und 85 Millilitern.
Erklären allein seine Physiologie und sein Talent Pogacars Dominanz ober spielt auch seine Herkunft aus Slowenien eine Rolle? Für Jurak ist die Antwort klar: "Er ist ein Supertalent, aber wäre er ohne dieses Umfeld ein solches Supertalent? Wahrscheinlich nicht."
Dieser Artikel wurde aus dem englischen Original "How Slovenia helped Tadej Pogacar become Tour de France star" adaptiert und am 27. Juli 2025, nach der letzten Etappe der Tour de France 2025, aktualisiert.