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PolitikKosovo

Theater in Kosovo: Keine Kritik an der Türkei

Vjosa Cerkini (aus Prizren)
3. April 2025

Schon zweimal wurden Aufführungen von "Sechs gegen die Türkei" abgesagt - es geht um den Verfall der Demokratie und basiert auf einem wahren Fall. Dramatiker Jeton Neziraj macht die Türkei dafür verantwortlich.

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Ein Mann, der mit dem Rücken zur Kamera auf einer abgedunkelten Bühne steht, trägt eine überdimensionierte türkische Fahne
Das Theaterstück "Sechs gegen die Türkei" wird in einem Theater in der kosovarischen Hauptstadt Pristina aufgeführtBild: Armend Nimani

Das Stadttheater "Bekim Fehmiu" von Prizren ist frisch renoviert und erstrahlt in neuem Glanz. Eine kurze Straße führt von der alten Steinbrücke über den Fluß Lumbardh, dem meistfotografierten Motiv der pittoresken Stadt im Süden Kosovos,  hin zum Theater.

Doch die neuen, mit dunkelrotem Samt bezogenen 380 Sitze blieben nun schon zweimal ungenutzt, einmal im Dezember 2024 und zum zweiten Mal im März 2025. An beiden Tagen sollte das Stück "Sechs gegen die Türkei" des kosovarischen Dramatikers Jeton Neziraj aufgeführt werden.

"Ab dem Moment, als das Theater die Aufführung ankündigte, wurde es Zielscheibe von Angriffen, Drohungen und Druck von verschiedenen Personen in den sozialen Netzwerken", berichtet Neziraj. Die Angriffe kamen aus der türkischen Minderheit von Prizren. So schickte Ertan Simitci, ein Mitglied der Gemeindeversammlung und Vorsitzender der türkischen Kleinstpartei Levizja Novatore (Innovative Bewegung), einen Brief an den Bürgermeister der Stadt, in dem er ihn aufforderte, die Aufführung des Theaterstücks zu verhindern, weil es gegen die Interessen der Türkei gerichtet sei.

Ein Mann mit dunklen Haaren, Bart und Brille gestikuliert, während er spricht
Der kosovarische Dramatiker Jeton Neziraj im Januar 2019Bild: Armend Nimani/AFP/Getty Images

Auch die Türkei selbst intervenierte, so Neziraj. "Der Bürgermeister von Prizren erhielt Besuch vom türkischen Konsulat in Prizren und der türkischen Botschaft in Pristina" sagt er und vermutet: "Dabei wurde er aufgefordert, die Aufführung zu verbieten."

Prizren ist mit rund 90.000 Einwohnern die zweitgrößte Stadt Kosovos. Etwa zehn Prozent der Stadtbevölkerung (8833 Personen) sind ethnische Türken, die hier auf eine fünfhundertjährige Geschichte zurückblicken. Sie unterhalten enge Beziehungen zur Türkei, deren Präsident Recep Tayyip Erdogan im Jahr 2015 - damals war er Ministerpräsident - zum Ehrenbürger der Stadt ernannt wurde.

Sechs türkische Lehrer

Das politische Drama des weit über Kosovo hinaus bekannten Theaterautors Jeton Neziraj  "Sechs gegen die Türkei" basiert auf einem Fall, der das kleine Land 2018 erschüttert hatte. Damals wurden sechs türkische Lehrer, die an einer von der Gülen-Bewegung getragenen Schule in der kosovarischen Hauptstadt Pristina unterrichtet hatten, festgenommen und in die Türkei abgeschoben. Dort wurde der mittlerweile in den USA verstorbene Prediger Fethullah Gülen für den Putschversuch von 2016 verantwortlich gemacht. Seine Anhänger wurden verfolgt. Zehntausende wurden in die Gefängnisse geworfen und ihr Besitz durch den Staat eingezogen.

Schwarz uniformierte Polizisten mit durchsichtigen Schutzschilden und weißen Coronamasken
Die Polizei in Ankara vor dem Sinan Gefängnis, wo gegen 500 Beschuldigte verhandelt wird, die am Putsch von 2016 beteiligt gewesen sein sollenBild: AFP

Auch die sechs Lehrer aus Pristina wurden in der Türkei inhaftiert. Der Fall löste in Kosovo, aber auch darüber hinaus, Empörung aus. Die Vereinten Nationen forderten die Türkei auf, die Lehrer umgehend freizulassen. In Kosovo selbst mussten der Innenminister und der Chef des Inlandsgeheimdienstes zurücktreten.

Jeton Neziraj greift mit seinem Stück "Sechs gegen die Türkei" den Fall der sechs Lehrer auf, will sich mit seiner Kritik aber nicht auf die Türkei beschränken. Er richte sich an "autoritäre Staaten und Regierungen, die durch Terror, Gewalt und Verfolgung ihre eigenen Bürger in den Untergang treiben", so der Dramatiker.

"Die Demokratie ist eine Straßenbahn"

Der Bezug zur Türkei ist jedoch durch die Bühnengestaltung, den Titel und die Handlung evident. So sagt z.B. eine der Hauptfiguren im Stück, den der Autor "Tayyip Efendi" nennt: "Demokratie ist wie eine Straßenbahn - man steigt aus, wenn man das Ziel erreicht hat."

Diesen Satz aus einem verbotenen religiösen Gedicht zitierte Erdogan in einer Rede im Jahr 1998. Damals war er Bürgermeister von Istanbul und wurde für die Verwendung des Zitats abgesetzt und für zehn Monate inhaftiert. Inzwischen steht er seit mehr als zwei Jahrzehnten an der Spitze seines Landes und geht selbst mit zunehmender Vehemenz gegen seine Kritiker vor. Die Absetzung seines aussichtsreichsten Gegenspielers, des populären Istanbuler Bürgermeisters Ekrem Imamoglu Mitte März löste eine Welle von Massenprotesten aus, auf die die Regierung mit Repression und Verhaftungen reagiert.

Vier Schauspieler und Schauspielerinnen stehen auf einer Bühne und halten sich Masken mit den Bildern von Recep Tayyip Erdogan, Wladimir Putin, Donald Trump und Benjamin Netanjahu vor die Gesichter
Eine Szene aus dem Theaterstück "Sechs gegen die Türkei"Bild: Armend Nimani

Mit der Gefahr willkürlicher Verhaftungen sah Jeton Neziraj auch Teile seines Ensembles konfrontiert. Denn er wollte sowohl albanische als auch türkische Schauspieler einsetzen. "Wir hatten zwei türkische Schauspieler ausgewählt - einen aus Istanbul und einen aus Berlin", sagt er. "Doch nachdem sie den ersten Entwurf des Stücks gelesen hatten, verließen sie das Projekt. Sie hatten berechtigte Angst, dass sie nach der Aufführung in der Türkei verhaftet werden könnten."

Erfolgreich in Pristina - abgesetzt in Prizren

In Pristina wurde das Theaterstück bereits mehrfach erfolgreich und störungsfrei in einem nicht-staatlichen Theater aufgeführt. Niemand protestierte dagegen. In Prizren jedoch wird es wohl auch weiterhin nicht gezeigt werden. Dabei bestreitet die Stadt jede Einflussnahme von türkischer Seite. In der offiziellen Stellungnahme des Bürgermeisteramtes heißt es, "dass die Gemeinde Prizren keinerlei Maßnahmen ergriffen hat, um die Theateraufführung zu verhindern oder abzusagen." Die Programmierung von Aufführungen und die Verwaltung künstlerischer Aktivitäten lägen ausschließlich in der Zuständigkeit des Theaters selbst.

Jeton Neziraj hat jedoch keine Hoffnung, dass sich das Theater dem Druck der Politik widersetzen und ihm einen neuen Termin anbieten wird. "Auch wenn wir das Stück noch so oft ansetzen, wird die Stadt immer Gründe vorschieben, um die Premiere zu verhindern." Der Autor, dessen Stücke in mehr als zwanzig Sprachen übersetzt wurden, will nun ein alternatives Theater in Prizren suchen, wo der Bürgermeister und die türkischen Vertreter keinen Einfluss haben.

Ein Mann mit einem dunklen Vollbart steht vor einem Haus, an dem eine goldene Plakette mit der albanischen Aufschrift Theater Bekim Fehmiu angebracht ist
Flamur Krasniqi vor dem Bekim Fehmiu-Theater in Prizren, KosovoBild: Vjosa Cerkini/DW

Flamur Krasniqi, Mitarbeiter des Stadttheaters von Prizren, bedauert dies. "Ich habe mich sehr darauf gefreut, es zu sehen", sagt er, "besonders weil wir hier eine starke türkische Minderheit haben, dachte ich, es wird interessant, denn ich glaube nicht, dass alle Mitglieder der türkischen Minderheit in unserer Stadt die gleiche Meinung wie der türkische Staat oder die politischen Führer haben". Für den Mann mit dem Vollbart steht außer Frage, dass hier die künstlerische und kulturelle Freiheit beeinträchtigt wurde. "Ich bin der Meinung, dass das Theater genau der Ort ist, an dem Revolten, Meinungsverschiedenheiten und unterschiedliche Perspektiven zur Sprache kommen sollten", sagt Krasniqi. "Wenn es im Theater Zensur gibt, dann weiß ich nicht, warum es als Institution überhaupt existiert."

Auch Mergim Cobanaj, der nur wenige Meter vom Theater entfernt wohnt und seinen Kaffee auf einer Bank vor dem Theater trinkt, ist enttäuscht. "Ich sehe das als eine Schwäche der kosovarischen Regierung und des Bürgermeisters, denn er ist der Hausherr in dieser Angelegenheit und sollte so etwas nicht zulassen. Die türkische Seite ist hier nur zu Gast und hat keine Kompetenz, Druck auszuüben. Die Aufführung muss unbedingt stattfinden."

Eine Anfrage an das kosovarische Kulturministerium nach einer Reaktion auf die Absagen des Theaterstücks blieb trotz wiederholter Nachfrage unbeantwortet. Auch die türkische Botschaft in Pristina reagierte nicht auf die Fragen der DW.

Porträt einer jungen Frau mit langen schwarzen Haaren
Vjosa Cerkini Themen: Kosovo, die anderen Westbalkan-Länder und deren Verbindungen zum Westen